Zwei Wochen östlichstes Polen
Nach zwei Wochen in Bialystok nahe der weißrussischen Grenze verirre ich mich zwar nicht mehr auf dem Weg ins Flüchtlingszentrum und kann Bier bestellen, aber viele andere Fragen haben sich aufgetan.
Vor ungefähr zwei Wochen, einen Tag nach meinem 19. Geburtstag, bin ich mit dem Zug in mein neues Zuhause aufgebrochen. Zehn Stunden Fahrt von Braunschweig nach Bialystok, wo ich die nächsten neun Monate leben werde.
Abgeholt werde ich von den beiden Mentorinnen und der Koordinatorin der Organisation. Es regnet, ist kalt und dunkel: eigentlich genau wie in Deutschland. Das Wetter wird auch weiterhin genau wie in der Heimat bleiben, doch das kann ich in diesem Moment nur ahnen. Der Weg zum Studentenheim, in welchem ich Leben werde, kommt mir lang vor. Es ist zu dunkel, um überhaupt irgendwas zu erkennen.
Das Heim, eines von vier in einer Reihe stehenden Hochhäusern, sieht auf den ersten Blick furchtbar ungastlich aus. Der Grund dafür besteht vor allem darin, dass es sich mitten in Renovierungsarbeiten befindet. Alles ist staubig und dreckig, Türen fehlen, Kippen auf dem Boden.
Als ich mein Zimmer sehe, vergesse ich diesen Eindruck sofort. Es ist groß, hell mit hellem Holz eingerichtet und wirkt auf mich sofort einladend.
Mit Feuereifer mache ich mich daran, es einzurichten. So weit weg von der Heimat will ich mich so gut wie möglich zuhause fühlen können. Also räume ich den großen Schrank ein, stelle zwei der drei Betten zu einem Doppelbett zusammen, schalte die Boxen an und hänge Poster auf. Um halb zwei bin ich fertig und betrachte bei einer Zigarette mein Werk. Ich bin begeistert.
In den nächsten Tagen mache ich vor allem eines: einkaufen. Ich kaufe einen Stepper für das Badezimmer, eine schicke Teflonpfanne sowie Besteck und Geschirr, einen Toaster und eine Herdplatte, zwei Handtücher sowie Bettwäsche. Denn am Anfang habe ich nichts von all dem. Polen ist im Gegensatz zu Deutschland mehr als günstig. Also achte ich das erste Mal in meinem Leben nicht auf Preise oder Angebote. Es ist aufregend und anstrengend in einem.
Letzten Endes geht doch einiges meines eigenen Angesparten dabei drauf, doch ich bereue keinen Cent. Bis heute komme ich jeden Tag gern in mein Zimmer zurück.
Die polnische Organisation zeichnet sich durch zwei Dinge aus: sie lassen mir mit allem viel Zeit und sie erledigen Wichtiges sofort. Noch in der gleichen Nacht erhalte ich Kühlschrank und Mikrowelle, ein paar Tage später mein vermisstes Fahrrad.
Während die anderen Volunteers, zwei Spanierinnen, eine Französin, eine Italienerin und ein Deutscher, bald das Busnetz auswendig kennen, mache ich jeden Weg mit dem Rad. Was alles andere als einfach ist. Von abgesenkten Bordsteinen haben die Polen genauso wenig gehört wie von Blinkern oder Bremsen und so gehe ich bereits am dritten Tag über die Motorhaube eines Autos, welches um die Ecke geschossen kommt.
Während ich die Stadt erkunde, lerne ich sämtliche Baustellen zu umkurven, mich nicht überfahren zu lassen und die Fahrradkette mit ein paar Handgriffen wieder einzusetzen.
Ich bin froh, als ich die wichtigsten Wege endlich zuverlässig drauf habe: zum Einkaufen zu real (was es hier ebenso gibt wie H&M, Rossmann, Zara und Mediamarkt), zu Trainings- und Polnischstunden in die Stiftung und zur Arbeit ins Flüchtlingszentrum.
Im Zentrum bin ich vor allem für den Kindergarten der Zwei- bis Vierjährigen zuständig. Das war eigentlich weniger mein Wunsch, aber ich finde überraschenderweise großen Gefallen daran. Leider fehlt es an Struktur in Kindergarten sowie Erwachsenenbildung (z.B. Englischunterricht) und Aktivitäten zur Integrationshilfe. Das liegt nicht an mangelnder Motivation oder dem Fehlen von Ideen. Leider erfahren wir kurz nach meiner Ankunft, dass das Zentrum wahrscheinlich geschlossen wird. Damit gerät alles ins Stocken. Niemand will jetzt ein Projekt starten und besonders viel Kraft und Geld in eine Idee pumpen. Jetzt heißt es Warten.
Doch die Entscheidungsträger lassen sich Zeit. So geht mein Leben weiter und ich beginne, mich einzuleben. Ich habe genügend Zeit zum Polnischlernen, für meine sportlichen Aktivitäten, Kochen jeden Tag und ich bekomme unglaublich viel Schlaf pro Nacht. Ich lerne ein paar Polen kennen und mache mich mit der national bekannten Musik bekannt. Das Land gefällt mir und ich will nicht gehen. Aber ohne Arbeit will ich auch nicht bleiben.
Die Entscheidung soll uns morgen bekannt gegeben werden - ich bin gespannt.