Zu weit gehen - Warum muss Rap so brutal sein?
Fast alle meine männlichen Freunde oder Kommilitonen hören Rap-Musik. In den letzten Jahren hat sich Rap zum musikalischen Mainstream avanciert, er ist nicht länger Soundtrack einer Subkultur, sondern wird von allen gehört: Studentinnen, Erwachsenen, Ökos oder Sachbearbeitern im Büro. Was fasziniert uns so an dem Grenzüberschreitendem im Rap?
Noch vor wenigen Jahren war Rap die Musik einer Subkultur, er erzählte häufig von dem brutalen Leben in amerikanischen Ghettos, etwas, was im eher beschaulichen Deutschland fast schon deplatziert wirkte. Alles, der Stil, die Attitüde, die Sprüche, kam aus einem deprivierten Milieu, und so schuf Rap auch in Deutschland Anknüpfungspunkte: Diese Erfahrungen machten Jugendliche hier auch, in einem anderen Ausmaß vielleicht, mit weniger Straßengewalt, aber genau das machte es sicher auch umso faszinierender. Mit dem anhaltenden Erfolg vieler deutscher Rappen etablierte sich das Musikgenre, machte sich massentauglicher und wurde tanzbarer. In fast jeden Club wird nun Deutsch-Rap gespielt, in vielen europäischen Ländern haben sich einige Künstler ins Radio und die Bars gespielt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Musikrichtungen profilierte sich Rap häufig durch seine Härte, durch Provokationen und durch das Brechen von Tabus. Es scheint fast, als wollten sich viele Rapper heute in der größtmöglichen Provokation oder Respektlosigkeit übertrumpfen. Es geht dabei auch nicht mehr um bloße Gewalt, teilweise werden konkrete Personen bedroht, wie Bushido in seinem Song „Stress ohne Grund“ auf die Politikerin Claudia Roth schießen lassen will, biss sie „Löcher wie ein Golfplatz" hat, oder es werden respektlose Kommentare über Opfer des Nationalsozialismus gemacht - Und das alles nur, um zu provozieren, um mehr mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, oder um mehr Alben zu verkaufen?
Als Farid Bang für sein Album, welches unter anderem auch diese Songzeile über KZ-Insassen beinhaltete, einen Musikpreis erhalten sollte, wurde allerdings Empörung laut. Viele sprechen sich öffentlichkeitswirksam gegen Farid Bang aus, gegen Antisemitismus allgemein und gegen fast alles, für was Rap-Musik steht. Diese Debatten und die Empörung über solche Grenzüberschreitungen bewirkt aber häufig das Gegenteil: Viele Jugendliche hören jetzt noch genauer zu, das Verbote, das Unerhörte macht die Musik noch reizvoller. Ist also vielleicht die Art und Weise, wie wir mit Rap-Musik umgehen, falsch? In gerade dieser Debatte wurde deutlich, wie sehr Rap, und viele Jugendliche, die sich mit Rap-Musik identifizieren, stigmatisiert wird, und vor allem, wie sehr es die Szene auch als Sündenbock genutzt wurde. Warum diskutieren wir nicht darüber, dass es in Deutschland ein Antisemitismus-Problem gibt? Wenn man allgemeine Probleme auf Randgruppen schiebt, wird das Problem nicht gelöst, und vor allem: Es werden weitere, neue Probleme geschaffen.
Respekt ist eines der zentralen Themen im Rap - Es wird Respekt gefordert, Respekt ausgedrückt und Respekt gezollt. Das erklärt zumindest der Soziologe Dr. Martin Seeliger: Er analysiert die deutsche Rap-Kultur und warum sie so provozieren muss: Innerhalb der Szene verschafft sich häufig der Respekt, der am deutlichsten andere dominiert, Rap im Allgemeinen ist eine sehr von Männlichkeitsidealen dominierte Kultur. Und gerade in Zeiten, in denen viele gesellschaftliche Räume weiter emanzipiert werden, in denen Sprache gegendert und das ganze Konzept von Geschlechtern, von Männlichkeit in Frage gestellt wird, wird die Rap-Kultur immer extremer. Das heißt nicht, dass man alles tolerieren muss - Man kann und sollte gegen gewisse Dinge Stellung beziehen. Aber man muss Rap auch ernst nehmen, genauso wie die ganze Szene und die Jugendlichen, die ihr angehören.
Und auch die Rap-Szene kann sich nicht dagegen wehren, sich zu emanzipieren: Immer mehr Frauen hören Rap, machen Rap und mischen sich ein. Viele Rapper verzichten mittlerweile auf verschiedene Beleidigungen oder Diskriminierungen - Aus dem gleichen Respekt, den sie auch einfordern. Wichtig ist im Umgang mit der Rap-Kultur sie ernst zu nehmen, und auch viele gesellschaftliche Themen, die sie anspricht, ernst zu nehmen. Denn es geht um wichtige Themen: Um die Schwierigkeiten der Integration, um Migration und Flucht, um Armut und Depression und um Gewalt. Rap ist außerdem eine Konfliktkultur - Was natürlich in Zeiten von Konsens und Mehrheit aneckt, aber umso wichtiger ist: Es ist die Chance, sich als Gesellschaft stetig neu zu definieren und seine Werte zu hinterfragen. Und auch, diesen Teil unserer Kultur anzuerkennen und zu integrieren.
Weitere Links
Toller Youtube-Channel, der viele Künstler der Szene darstellt: https://www.youtube.com/channel/UC2f-NhLhAStGWrOpm7Us-2A
Ein historischer Report über Deutsch-Rap: http://www.bpb.de/apuz/265102/rap-und-gegenidentitaeten-in-der-migrationsgesellschaft?p=all
Martin Seeligers Publikation: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-1990-4/deutscher-gangsta-rap/