Wrocław 2016: Teil 3: Kulturzug Berlin - Breslau
Eine Reise nach Breslau/Wrocław
Die Zugverbindungen zwischen Deutschland und Polen waren bis dahin sehr schlecht – eine traurige Tatsache in den deutsch-polnischen Beziehungen. Die gerade mal 360 Kilometer von Berlin nach Breslau/Wrocław musste man bis vor kurzem nur mit einem Auto, einem Bus oder Flieger zurücklegen. Doch zum Glück gibt es seit dem Frühsommer 2016 wieder eine richtige Zugverbindung. Zwar nur an den Wochenenden, dafür aber in Form eines Kulturzuges! "Schuld" daran ist die bereits in meinen früheren Beiträgen erwähnte Tatsache, dass Wrocław in diesem Jahr den Titel Europäische Kulturhauptstadt trägt. Zudem bis April 2017 UNESCO Welthauptstadt des Buches.
Für sage und schreibe 19 Euro kann man in die polnische Metropole von Berlin aus fahren. Ein Wochenendausflug lohnt sich auf jeden Fall, da die Stadt das ganze Jahr ein gigantisches Kulturprogramm bietet. In dem Zug wird man schon durch Musik und Buchlesungen darauf eingestimmt.
Wrocław macht auf mich den Eindruck einer lebendigen Studentenstadt mit seinen hippen Cafés und coolen Jazz Kneipen, malerischen Gassen und einem der größten mittelalterlichen Marktplätze in Polen.
Ein Besuch lässt auch an die über 1000-jährige Geschichte der Stadt denken. Der deutsche und der polnische Name der Stadt leiten sich vermutlich vom Namen des böhmischen Herzogs Vratislav I. ab, der im frühen 10. Jahrhundert zeitweilig über die Stadt herrschte und der Legende nach der Gründer der Stadt ist. So wurde Wrocław unter den Piasten zum Königreich Polen, ging später zum Besitz böhmischer und zeitweise ungarischer Hoheit, gehörte den Habsburgern und schliesslich den Hohenzollern. Die Stadt wurde danach zu einem Teil des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik, um letztenendes nach dem Zweiten Weltkrieg der Volksrepublik Polen zugeteilt zu werden. Spuren der bewegten Geschichte der Stadt sind überall zu sehen. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Innenstadt fast komplett zerstört und musste wieder aufgebaut werden. Es ist klar, dass Wrocław den Launen der Geschichte extrem stark ausgesetzt war. Doch 2016 bekommt man schon den Eindruck, dass die Stadt damit auch lässig umgehen kann.
Bis 1945 lebten 300.000 Deutsche in Breslau. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben, und aus Lviv stammende Polen siedelten sich in der Stadt an. Heute hat Breslau 631.000 Einwohner, nur noch sehr wenige sind Deutsche. Wrocławs Oberbürgermeister Rafał Dutkiewicz, seit 2002 im Amt, machte bereits letztes Jahr Werbung für seine Stadt:
„Breslau wird sich 2016 als moderne, weltoffene und gastfreundliche Stadt in der Mitte Europas präsentieren. Ich bin überzeugt, dass sich gerade unsere deutschen Gäste bei uns besonders wohl fühlen werden!“
Wer dieses Jahr Breslau noch nicht besucht hat, wird es eventuell dank des Kulturzuges nachholen können. Der Kulturzug wurde nämlich wegen der großen Nachfrage noch bis zum 8. Januar verlängert. Wrocław ist ohnehin einen Besuch wert, und zwar nicht nur für Kulturfreunde: Partygänger, Fans von gutem Essen, billigem Bier, stimmungsvollen Cafés, Retro-Neonlichtern, Poster-Design werden hier glücklich.
Beim Schlendern durch die Stadt wird man mit großer Wahrscheinlichkeit dem Wahrzeichen der Stadt, den winzigen Heinzelmännchen aus Bronze begegnen. In den 80ern übte die politische Künstler-Oppositionsbewegung „Orange Alternative“ mit spontanen Aktionen Kritik am sozialistischen Regime in Polen aus. Dabei stellten die Künstler auch einen gusseisernen Zwerg in der Altstadt auf. Wrocławs Studenten haben 2001 begonnen die ersten Zwerge aufzustellen, mittlerweile sind viele Kunstwerke hinzugekommen. Insgesamt 300 „Krasnale“, wie sie auf Polnisch heißen, können auf Zwerg-Touren oder auf Zwerg-Festivals entdeckt werden.