Wo ist meine Heimat?
Als langjährige Freundinnen können wir von uns sagen, dass wir uns außerordentlich gut kennen. Wir sind einander so vertraut, dass wir die kulturellen Unterschiede zwischen uns einfach vergessen.
Mit diesem Text möchten wir uns mit einem Thema auseinandersetzen, das unter uns oftmals nicht angesprochen wird.
Heimat. Was ist Heimat eigentlich? Für jeden von uns hat dieses Wort eine andere, persönliche Bedeutung. Für mich bedeutet Heimat Sicherheit. Vertrauen. Geborgenheit. Heimat ist da, wo meine Familie ist. Heimat ist da, wo ich zuhause bin.
Ich lebe seit 16 Jahren in Neukölln (Berlin), dem Bezirk mit der wahrscheinlich größten Ausländerrate Berlins. Ein Problem für mich? Nein. Ich bin zwar deutscher Abstammung, doch schon als kleines Kind lernte ich, jeden zu tolerieren, zu akzeptieren und die Vielfältigkeit an Kulturen und Unterschieden zu schätzen.
Deutschland ist meine Heimat. Berlin ist meine Heimat, weil ich mein gesamtes bisheriges Leben hier verbracht habe. Ich bin hier aufgewachsen und meine Familie lebt hier. Hier ist mein Zuhause.
Etwas, was ich mich außerdem frage, ist, wie dieses Gefühl, fremd zu sein, überhaupt entsteht. Ich denke, man fühlt sich fremd, wenn man der Einzige ist, der anders ist. Man fühlt sich fremd, wenn man irgendwo neu ist, wo niemand einen kennt. Man fühlt sich fremd, wenn alle eine andere Sprache sprechen.
„Fremd sein“ ist für mich etwas, was oft nicht sehr lange anhält. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Tag in der 7.Klasse. Ich war gerade an die Oberschule gekommen und sehr aufgeregt. Das erste, was mir auffiel: Ich bin die Einzige in meiner Klasse mit deutscher Abstammung. Zu Anfang fühlte ich mich aus diesem Grund ein wenig ausgeschlossen und auch fremd, doch schnell freundete ich mich mit meiner Klasse an. Und ich merkte ein weiteres Mal, dass es gar nicht nötig ist, Angst vor dem Fremden zu haben oder sich selbst fremd zu fühlen.
Ich muss nur meine Haustür öffnen und treffe bereits auf andere Nationen und Kulturen. Wenn ich durch Berlin laufe, insbesondere durch berühmte Orte Berlins, fällt mir immer der große Tumult auf. Viele Menschen, die vielleicht eine andere Heimat als ich haben. Menschen, die eine andere Sprache als ich sprechen. Vielleicht eine Sprache, die ich nicht verstehe. Und dennoch fühle ich mich nicht fremd, denn ich bin diese Vielfältigkeit an Sprachen und Kulturen gewohnt und schätze sie sogar.
Ich lebe gerne hier. Denn hier kommen Sprachen zusammen. Hier kommen Kulturen zusammen.
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“Affedersiniz, Kochstraße nerede biliyormusunuz?“, „Excuse me, could you please tell me where I can find the Brandenburg Gate?“, „Wissen Sie, ob dieser Bus zum Alexanderplatz fährt?“
Berlin.
Als in Deutschland lebende Türkin bin ich mit dem Problem konfrontiert, dass ich in der Türkei als Deutsche, in Deutschland widerum als Türkin betrachtet werde. Trotzdem bin ich mit meinen Wurzeln bezüglich vieler Aspekte sehr verbunden.
Dennoch ist Heimat für mich keine Sache, die man so einfach auf ein Land festlegt. Es ist Vertrauen und Zusammengehörigkeit. Ebenso ist die Sprache entscheidend. Sobald ich mich aufgrund von sprachlichen Kompetenzen in einem Ort nicht wohlfühlen würde, kann ich auch kein Gefühl von Heimat aufbauen.
Aber auch mit dem Ausdruck Sich fremd fühlen bin ich vertraut. Berlin ist eine Stadt, die eng mit dem Wort „Multikulti“ (viele Kulturen) verknüpft ist. Auch ich nehme an regen Konversationen über kulturelle Unterschiede, die mein Interesse wecken, teil. Es selber mitzuerleben, ist etwas ganz anderes. Deshalb sollte man sich nicht nur auf die Aussagen anderer beschränken. Ich bin in fremden Orten eher zurückhaltend, beobachte die Menschen und versuche mich an die Umwelt anzupassen. Doch so schnell klappt das gewiss nicht. Besonders in kleinen Ortschaften falle ich aufgrund meines Aussehens, meiner Kleidung und meines Verhaltens auf. Folglich fühle ich mich zuallererst ausgeschlossen und möchte wieder zurück in das mir Vertraute.
Daraus schließe ich, dass Heimat auch Orte sind, in denen ich viel Zeit verbringe bzw. verbracht habe, Orte, in denen Menschen sind, die mich kennen und ich mit Sicherheit sagen könnte, welcher Bus zum Alexanderplatz fährt.
Umstände, die für mich selbstverständlich sind, können mancherorts für Verwirrung sorgen. Aber genau das ist es, was ich interessant finde beim Reisen. Es fördert Toleranz zu schaffen.
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Wenn die Sommerferien beginnen, verreisen viele in ihre Heimat, wie z.B in die Türkei oder nach Albanien. Sie besuchen ihre Familie und leben eine Zeit lang nach den Traditionen der unterschiedlichen Länder.
Ich war vor ca. 4 Jahren das letzte Mal in Syrien, meinem Ursprungsland. Zu der Zeit sagte meine Mutter, man könne nie wissen, was geschehen werde, daher solle man jede Chance nutzen. Mir war nicht bewusst, wie viel Wahrheit hinter dieser Aussage steckt.
Mittlerweile schätze ich jede Sekunde, die ich in Syrien verbracht habe. Wegen des Krieges ist die Reise dorthin nicht mehr möglich. Aber ist denn Syrien überhaupt meine Heimat?
Ich würde Syrien nur als mein Ursprungsland bezeichnen. Heimat bedeutet meiner Meinung nach, sich wohl zu fühlen und das Gefühl zu haben, dazu zu gehören.
Meine Heimat ist Deutschland. Zwar begegne ich manchmal dem Problem, als Ausländerin abgestempelt zu werden, aber hier fühle ich mich wohl. Wenn ich außerhalb Deutschlands bin, fange ich an zu erkennen, wie schön es hier ist und vermisse vor allem Berlin sehr.
Man könnte sagen, ich fühle mich in meinem Herkunftsland fremd, wohingegen ich mich in Deutschland wohl fühle.
Das liegt daran, dass ich mich an Deutschland gewöhnt habe. Schließlich lebe ich seit 16 Jahren hier. Ich kenne mich gut aus, meine Freunde sind hier und außerdem beherrsche ich die deutsche Sprache besser als die arabische.
Wir sind froh darüber in einer Stadt zu leben, die so berühmt für das Zusammenkommen verschiedener Kulturen ist, und die uns zeigt, was es heißt offen für Neues zu sein.
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