wir vergolden
mit mansu am fenster stehen und erblinden...
einmal eine literarische umsetzung des themas "fremd in europa", weil es so viele berichte gibt und dem thema auch mal eine andere behandlung zusteht. auf basis eigener erfahrungen.
wir vergolden
I
mit mansu am fenster stehen und erblinden, weil die mutter früher gesagt hat, man solle nicht in die sonne sehen, und man gerne sachen macht, die mütter verbieten. ich wundere mich, warum die sonne immer anders ist, ich frage mansu nicht, weil er so etwas sagen würde wie, weil die erde sich drehe oder die erdneigung oder so, und ich weiß nicht einmal, was richtig ist.
mansu sagt: die sonne geht auf, und seine stimme klingt wie ein wunsch. er sagt: die sonne geht auf. und zu. und ich lache und denke, das sei doch ein werbespruch, aber mansu meint es ernst. ich habe versucht, seine ernsthaftigkeit zu integrieren und bin daran gescheitert; das ist ernst und ich sollte mehr lernen. darum hänge ich mich an mansus spröde lippen. münder sind auch immer anders. in österreich ist mansus mund ein tiefer brunnen, aus dem man nur mühsam stücke hervorholt, die heil sein sollten; aber wie sollen sie nach diesem fall. neben mansu schweige ich gerne, weil schweigen ähnlicher ist als alles andere. alles andere ist fremd.
als ich mansu einmal gefragt habe: manchmal ist doch die sonne eine uhr, bei dir ist die sonne doch eine stehengebliebene uhr? hat er genickt und ja gesagt, weil ein ja nie schwer ist, weil sich immer eines zwischen den zähnen versteckt.
mansu steht neben mir in der uni. mansu steht neben mir auf der straße. mansu steht neben mir im supermarkt. mansu sagt: weißt du, dass es verdammt kalt ist in deinem land? ich stelle mir mansu noch goldener vor wenn schnee fällt. dann würde ich gerne draußen sein und der schnee würde durch meine gespreizten hände fallen und neben mir würde mansu von weißem sand erzählen. bestimmt ist mansus anderer mund wie rauschen weißen sandes. ich kann kein arabisch. ich bin so weit, mansu nach arabischen wörtern zu fragen, ich hole sie immer wieder aus meinem mund, der wie ein brunnen ist. mansu lacht und wenn er aufhört zu lachen, habe ich das wort vergessen.
II
ich frage mansu: bist du froh hier zu sein? mansus blicke sind wie die blicke anderer studenten. ich weiß nicht wie, aber ich bin froh darüber, ich rolle mich zu einer kugel zusammen. mansu erklärt, die unis seien hier besser und er habe hier bessere berufsaussichten. und ich sage klar und denke, er habe auch bessere als ich.
mansus finger fahren über die wörter und sie sind dicker, verdecken die wörter und manchmal liegen sie zwischen den zeilen. meine finger sind schmal, aber sie sind langsam. meine langsamen finger stören sich nicht an seinem langsamen mund. ich bin froh, jemanden gefunden zu haben, mit dem ich im selben takt atmen kann.
mansu seufzte einmal: es wird immer jeder an meinem namen sehen, dass ich fremd bin. mansu kopfüber gesehen: die sonnenstrahlen rinnen ihm aus den ohren. mansu bei wolken: mansu ist ägypter. mansu ohne filter: das innere seines kopfes. ich weiß.
ich liege zusammengerollt in der mitte seines zimmers auf dem boden. mansu erklärt mir mathematik. er lächelt und ich kann sein lächeln nicht mehr vergolden. blattgold bröckelt. mansu ist nicht ägypter. mansu ist tunesier. vorher, da habe ich nicht viel über ihn nachgedacht. da habe ich nicht verstanden, dass er eigentlich mansour heißt. da habe ich nicht mit ihm französisch gesprochen. da habe ich nur das wissen genommen, das er mir angeboten hat.
III
mansus tag in österreich:
sechs uhr aufstehen und frühstücken, die ubahn nehmen zur uni und dann sitzen, mathematik, mechanik, physik, technisches zeichnen, dann irgendwann aus haben und lernen, weil man ehrgeiz hat und dann fußball spielen im sommer oder fußball sehen oder serien schauen und dabei deutsch lernen.
mansus tag in tunesien:
zehn uhr aufstehen, ins café gehen und karten spielen, ab eins bis acht am meer liegen oder spielen, volleyball zum beispiel, ab einundzwanzig uhr mit freunden zu hochzeiten gehen, weil die fast alle im sommer sind, erzählt mir mansu, da ist immer fast die ganze stadt eingeladen.
IV
die drei sommermonate ist mansu in raf raf. wenn mansu in österreich raf raf sagt, klingt es wie ein wunsch und für mich so, wie ich mir heimat vorstelle. im sommer bin ich irgendwo, wenn ich dem irgendwo einen namen gebe, dann ist das nur eine vage vorstellung. vage vorstellungen sind nichts ernstes.
wenn mansu wieder in wien ist, dann simulieren wir heimat, vergolden die stadt, aber blattgold bröckelt und außerdem ist die schicht dünn, weil da noch mansus augen sind und mansus mund. mansus augen sind erde unter fünfundvierzig grad celsius.
ich erzähle ihm: im sommer sieht man viele verschleierte frauen in wien. er sagt: das sind touristen. ich sage: ich weiß. die zeitung erzählt mir, dass man den wiener aus einem spiegel herausschiebe und den ausländer hinein, das sagen die demografen oder möchtegerndemografen, sie zeigen auf, die wienbelagerung passiere so nach und nach, bald sei wiens spiegelbild ein ganz anderes. der österreicher werde sich fremd fühlen im eigenen land.
die angst vor dem fremdsein können wir nicht vergolden. weil fremdsein nichts mit einem anderen land und einer anderen kultur zu tun haben muss. fremdsein ist eine variable, die man nicht kennt und nicht bestimmen kann.
V
ich frage mansu, ob es nicht gefährlich sei für touristen dort, ich habe da etwas gehört, bezüglich anschlägen und entführungen. mansu meint nein und er klingt ernst und ein nein liegt nicht zwischen den zähnen sondern weiter dahinter.
mit mansu am fenster stehen und erblinden. meiner mutter mag ich das nicht erzählen; das mit der sonne nicht und mit mansu auch nicht. ich möchte mit mansu nach raf raf, weil das wie ein wunsch ist. mansu meint: manchmal ist alles kalt hier, nicht nur das wetter. und ich möchte diese heiße sonne auf meiner haut spüren bis sie golden wird. ich möchte in ein land, in dem weniger vom fremdsein und vom beiseiteschieben des fremdseins gesprochen wird als in europa.
mansu sagt: es gibt auch die anderen. ich sage: die gibt es immer, aber darum geht es nicht. zwischen mansu und mir sind keine anderen.
irgendwann habe ich begonnen, ihm hilfe zurück zu geben.
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