Wenn eine einfache Zusage einen Stein ins Rollen bringt – über den Preis der Freiheit
Eine Analyse über die Unabhängigkeitsbewegung in Schottland.
Es begann alles ganz harmlos: 1997 stellte die “Labour Party” die Regierung, Tony Blair gewann die Wahl mit einem Versprechen: Schottland erhält mehr Rechte – und ein eigenes, neues Parlament.
Der futuristische Bau ist einen Besuch auf jeden Fall wert – er befindet sich vis a vis in unmittelbarer Nähe zur Residenz des Staatsoberhauptes von Großbritannien – und damit auch Schottlands: Her Majesty The Queen. Sollte Schottland unabhängig werden, ist Elizabeth II wahrscheinlich jedoch nicht mehr das schottische Staatsoberhaupt. Neben dieser Änderungen ergeben sich viele weitere, die ich im Folgenden aufweise.
Bis jetzt ist Schottland als Teil von Großbritannien ein vollwertiges Mitglied von EU und NATO. Es profitiert von dem europäischen Binnenmarkt, der Reisefreiheit in Europa (wenngleich es das Schengen-Abkommen nicht ratifiziert hat) und der Sicherheit und Stabilität des NATO-Bündnisses. Durch ein positives Ergebnis des Referendums am 18. September 2014 wäre die Mitgliedschaft in beiden Bündnissen mit sofortiger Wirkung beendet. Das nun eigenständige Schottland müsste sich in beiden Fällen neu bewerben – man kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass Großbritannien in beiden Fällen eine Aufnahme Schottlands verhindern beziehungsweise deutlich erschweren würde. Auf den ersten Blick gewinnt Schottland Freiheiten – aber langfristig?
Welche Währung soll dann in Schottland gelten? Pfund Sterling? Euro? Eine eigene schottische Währung? Diese Fragen sind jedenfalls noch ungeklärt – haben aber gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und Prosperität eines Landes.
Neben der Währung ist noch eine weitere finanzpolitische Frage von immenser Bedeutung: Die Staatsverschuldung. In der Vergangenheit hat auch Schottland von kreditfinanzierten Maßnahmen der Regierung in London profitiert – in welchem Umfang beteiligt sich eine unabhängige Regierung in Edinburgh an einem kontinuierlichen Rückgang dieser Verschuldung?
Soll das Land eine eigene Notenbank erhalten? Inwiefern soll diese Notenbank ausgestaltet sein? Welche Rechte, Pflichten, Verantwortungen und geldpolitischen Instrumente erhält sie?
Der Austritt aus der NATO bedeutet aber auch einen Vorteil: Der Abzug von nuklearwaffenfähigen U-Booten aus Schottland. Vielen Bürgerinnen und Bürger sind diese U-Boote ein Dorn im Auge – ein Austritt käme den Kritikern entgegen.
Eine ungeklärte Frage ist auch, wie die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger gesichert werden soll. Aus der philosophischen Tradition wurde der Schutz der Bürger und von Eigentum immer als eine Kernaufgabe des Staates definiert. Wie kann ein unabhängiges Schottland diese Sicherheit langfristig gewährleisten? Ist der Betrieb und Unterhalt einer eigenen Armee sichergestellt? Die Einrichtung von Gerichten, Polizeieinheiten ecetera geplant? Neben der Sicherheit im Inland ist ein Staat auch verantwortlich für die Bürger seines Staates im Ausland, dafür gibt es unter anderem Botschaften. Sie repräsentieren Nationen und sind für im Ausland lebende Staatsangehörige eines Staates die erste Anlaufstelle für Pass-, Wahl- und Steuerangelegenheiten. Darüber hinaus organisieren Botschaften im Falle von Bürgerkriegen, Naturkatastrophen oder ähnlichen Fällen die Evakuierung der eigenen Staatsangehörigen. Wer übernimmt diese Leistungen für die Schotten im Falle einer Unabhängigkeit? Die Einrichtung und Unterhaltung eines eigenen Botschaftsnetzes verschlingt Unsummen, eine Kooperation mit einer anderen Nation käme in Betracht. Allerdings dürfen wir davon ausgehen, dass London an einer solchen Zusammenarbeit kein Interesse zeigen würde.
Als das wichtigste Argument der Befürworter ist die eigenständige Verwaltung der Gewinne aus den Öleinnahmen vor der Küste. Seit den 1970er geistert der Slogan “It´s Scotland´s oil“ durch die Medien. Doch diese Betrachtungsweise ist kurzfristig gedacht: Natürlich hilft der steigende Ölpreis zunächst Schottland, das Land kann im Falle seiner Unabhängigkeit mit steigenden Einnahmen rechnen. Doch wer zahlt für einen Unfall? Kann ausgeschlossen werden, dass es keine Naturkatastrophe gibt? Wer zahlt im Falle von menschlichem oder technischem Versagen? Man darf davon ausgehen, dass die unabhängige Regierung in Edinburgh im Falle einer Katastrophe schnell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen dürfte. Aus dem schwarzen Gold kann so über Nacht die schwarze Pest werden.
Diese kurze und prägnante Analyse zeigt, dass viele Punkte noch einer tiefergehenden Klärung bedürfen. Man kann nur hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler sich ihrer historischen Verantwortung bewusst sind und im Sinne der Vernunft abstimmen. Freiheit ist wichtig – doch zu welchem Preis?