wenn außer der Schwerkraft keine weiteren Kräfte wirken, herrscht Schwerelosigkeit
über Tetris im Kopf und die Lücken zwischen den Steinen
Vielleicht habe ich noch 60 vor mir. Ich meine die Jahre, die sich wie Tetrisbausteine vor mir aufbauen und einstürzen werden, mit Lücken dazwischen, die ich mit dem Inhalt meines Gedächtnisses versuchen werde zu füllen. Ich hoffe, dass diese Hohlräume niemals leer bleiben werden, sondern einfach nur schwerelos.
Ich stehe vor einem dunkelblau lackiertem Regal in einem Zimmer südlich von Stockholm und beginne die Dinge darin im Kopf zu sortieren. Was kann weg, was brauch ich und was nicht und was muss in Zukunft die Erinnerungslücken stopfen. Neben mir steht ein Umzugskarton und darauf mit Edding geschrieben: treasures from Sweden
Ich muss anfangen zu packen und komme nur bis zu dem einen Gedanken, was dieses Jahr im Woanders später für mich bedeuten wird, wie sich die nicht beantworteten Briefe, die geschriebenen und mit fliegenden Untertassen und Bierflaschen bemalten Postkarten, die das kitschige Panoramabild Stockholms nach meiner Vorstellung korrigieren, die schwedischen Sprachführer und Briefe von der Bank, wie sich all das Erlebte in Zukunft auswirken, welche mir noch unbekannten Pfade ich eigentlich schon längst eingeschlagen habe und welches Porto ich für diese Kiste Erinnerung bezahlen muss, die doch so viel wertvoller ist als alle Poststempel der Welt auf einmal. Das gehört wohl zum langsamen Abschied dazu, da wird mir mal wieder bewusst, wie viele Erinnerungen man eigentlich braucht, um glücklich und traurig zu sein.
Ich bin überrascht, dass alles in einer Kiste Platz finden wird und frage mich, wie viele Leben ich in Zukunft noch in solche Kisten packen werde. Irgendwann, wenn in sechzig Jahren die Tetrisbausteine sich hinter mir babylonisch übermütig auftürmen und schon an der Himmelspforte kratzen, werden diese Kisten meine Erinnerungslücken füllen. Und während ich im Kopf beim Anblick all der Dinge, die da in meinem Regal ruhen, meine Erinnerungen sortiere, denke ich darüber nach, dass sie schwer sein werden, von Jahr zu Jahr schwerer werden und doch schwerelos bleiben. Gewichtige, aber schwerelose Erinnerungen.