Warum müssen wir immer noch demonstrieren?
Am Sonntag war der 8.März, der seit dem Jahr 1911 als Internationaler Frauen*kampftag Menschen auf die Straße zieht um für die Gleichberechtigung von Frauen weltweit einzustehen. So auch in Berlin, wo ca. 12.000 Teilnehmende ihre Meinung kundtaten. Warum müssen wir im Jahr 2020 immer noch für unsere Rechte aufbegehren?
„I‘m every Womeeeen“ tönt aus den Lautsprechern des Wagens und alle tanzen bunt, wild und ausgelassen zu Whitney Houstons Version des Songs. Es wird Sekt und Bier getrunken. Da sind junge und alte Menschen, Kinder und natürlich vor allem Frauen*. Man sieht rießige selbst gebastelte Vulven, eine Gruppe Clowns, viele bunte Kostüme. Für einen kurzen Moment könnte man meinen es sei eine riesige Party, ein Gefühl das einen oft auf Großdemonstrationen in Berlin begleitet. Doch sie alle haben sich an diesem Sonntag gegen das gemütliche Bett entschieden um entschlossen gemeinsam durch die Hauptstadt zu ziehen um zu zeigen: wir sind viele, wir sind laut aber vor allem: wir sind wütend. Viva la Vulva, Keine kehrt alleine, Unser Feminismus ist antirassistisch oder Zeichnungen von Unterhosen mit roten Perioden Blutflecken zeigen die Vielschichtigkeit der Themen von Diskriminierung auf, welcher Frauen* nach wie vor tagtäglich ausgesetzt sind.
Doch zurück ins Jahr 1911. Clara Zetkin schlug, inspiriert von einer Idee aus den USA, den Frauen*tag in Deutschland vor, um die nächsten Jahre vor allem für eines zu kämpfen: ein gleiches Wahlrecht für Frauen*. Als junge Frau für mich heute eine Selbstverständlichkeit doch nur das Ergebnis eines harten Kampfes von Frauen* vergangener Generationen. In der Weimarer Republik wurde der Frauen*tag verboten und abermals war es der Enthusiasmus der damaligen Frauen*, der dafür sorgte, dass er wieder stattfinden konnte. Eines der entscheidendsten Themen war das Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch. Im Nationalsozialismus wurde der Frauen*tag komplett verboten und Aktionen von der Straße ins Private verlegt. So war eine Form des Protests das Aushängen von roten Gegenständen aus dem Fenster oder an Wäscheleinen. Im geteilten Deutschland nach Ende des 2. Weltkrieges wurde sehr unterschiedlich mit dem Tag umgegangen. So verlor er in der BRD an Bedeutung, wohingegen er in der DDR durch seinen sozialistisch geprägten Charakter wieder begangen wurde, wobei kritisiert wird, dass er dort zu einer Art „sozialistischem Muttertag“ verkam. Seit der Wiedervereinigung 1990 taten sich wieder vermehrt Frauen* aus Ost und West zusammen um gemeinsam für Frauen*rechte zu demonstrieren.
Nach all diesen Jahren des Einsatzes mit Höhen und Tiefen wo stehen wir heute? Im Jahr 2020 sind in deutschen Vorständen 633 Männer und 64 Frauen Entscheidungsträger*innen über die deutsche Wirtschaft.1 Gleichberechtigung? Fehlanzeige. Nach wie vor wird von Männern definiert was Frau*-sein bedeutet und gegenüber dem Mann-Sein herabgesetzt. Weibliche Körper werden von Männern sexualisiert, wenn es um Werbung oder Pornos geht, aber tabuisiert, wenn es ein Haar an der „falschen“ Stelle gibt. Haut zeigen, aber bloß keine Nippel. Kinder gebären, aber bitte nicht über die Periode sprechen. Frauen* leisten nach wie vor den Großteil unbezahlter Arbeit in Haushalt und Kindererziehung, aber haben auf dem Arbeitsmarkt keine gleichberechtigten Chancen was Jobs und/oder Bezahlung angeht. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen wird weiterhin meist nicht strafrechtlich verfolgt und wenn, dann oft ohne Folgen für die Täter. Die Liste könnte ewig so weiter gehen…
Wir müssen weiter für Gleichberechtigung kämpfen und der Frauen*tag ist ein Weg unserer Wut Ausdruck zu verleihen. Wenn Clara Zetkin nächstes Jahr am 8. März für einen Tag zurückkehren würde, 100 Jahre nachdem sie sich für die Gründung dieses Tages eingesetzt hat, dann wünsche ich mir, dass sie stolz lächelt auf alles, was schon erreicht wurde. Aber ehrlich gesagt glaube ich, sie würde sich die Haare raufen, den Kopf schütteln und sagen: „Wirklich? Ihr müsst immer noch für fundamentale Menschenrechte demonstrieren?“ Deswegen lasst uns weiterlaufen, nicht nur am Frauen*tag, auf dem langen Weg zu einer emanzipierten Gesellschaft.
1Quelle: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/frauen-vorstaende-101.html, abgerufen am 09.03.2020