Warum die Iren Zeit haben, Wetten bei Wahlauszählungen abzuschließen
Das irische Wahlsystem ist vor allem eines - kompliziert.
Wie es funktioniert und wie man am besten Wählerstimmen gewinnt, versuche ich einmal darzustellen.
Das irische Wahlsystem gilt wohl als eines der gerechtesten auf der ganzen Welt – angeblich. Doch dafür ist es auch eines der kompliziertesten, das ich kenne und die Stimmauszählung dauert vermutlich viele Stunden, wenn nicht sogar Tage. Warum? Ganz einfach. Die Stimmzettel sehen ein klein wenig anders aus, als bei uns:
In Irland gibt es 42 Wahlkreise. Alle zur Wahl stehenden Kandidaten des jeweiligen Bezirkes werden dann auf dem jeweiligen Stimmzettel aufgeschrieben. Doch jetzt wird nicht etwa nur ein Kandidat von den Wählern angekreuzt und das war es, nein. Jeder stimmberechtigte Bürger über 18 Jahren nummeriert die Kandidaten (im Beispiel A-E) auf seinem Zettel entsprechend der gewünschten Präferenz durch. Beispielsweise:
A - 4
B - 3
C - 1
D - 5
E - 2
Und nun kommt die ganze Schönheit der Mathematik ins Spiel:
Zuerst wird die Quote für den Wahlkreis berechnet, also die Anzahl an Stimmen, die ein Kandidat benötigt, um in das Parlament einziehen zu können. Dazu wird die Zahl der gültigen Stimmzettel durch die Anzahl der Sitze, die der jeweilige Wahlkreis im Parlament hat, plus 1 geteilt. Anschließend wird dazu noch eins addiert und aufgerundet. Das sieht dann also wie folgt aus:
(Anzahl gültige abgegebene Stimmen) : (Anzahl Sitze im Parlament + 1) +1 = Quote
Wurden also 5000 Stimmen abgegeben und der Wahlkreis hat 2 Sitze, berechnet sich die Quote also wie folgt: 5000 : (2+1) +1 = 1666,6667 + 1 = 1667,6667
Welcher Kandidat nun also mehr als 1668 mal auf Position 1 der Liste gewählt wurde, darf in das Parlament einziehen.
Nehmen wir einmal an, das Ergebnis der Auszählung betrug Folgendes: C kam 2125 mal auf Platz 1, E 1440 mal, B 1376 mal, A 98 mal und D 61 mal.
Das heißt lediglich Kandidat C zieht in das Parlament ein. Da er aber nur 1668 Stimmen (s. Quote) dafür benötigt, werden seine überzähligen 457 Stimmen auf die anderen Kandidaten verteilt. Dazu werden alle Stimmzettel, auf denen Kandidat C auf Nummer 1 gesetzt wurde noch einmal zur Hand genommen und auf Position 2 untersucht. Dabei stellt sich heraus, dass 70 % der C-Wähler B als Zweitstimme wählten, 15% A, 9% E und 6 % D. Anhand dieser berechneten Prozentsätze werden die überzähligen Stimmen des Kandidaten C nun entsprechend auf die anderen Kandidaten verteilt. Das heißt Kandidat B bekommt 320 Stimmer dazu addiert, A 69, E 41 und D 27.
Demzufolge sieht das Ergebnis jetzt wie folgt aus:
B 1696 Stimmen
E 1481 Stimmen
A 167 Stimmen
D 88 Stimmen
Daraus folgt, dass Kandidat B nun ebenfalls ins Parlament einziehen darf. Nun werden dessen Zweitstimmen angesehen und wieder entsprechend dem selben Muster auf die übrigen Kandidaten verteilt. Das selbe passiert auch mit den Stimmen des Kandidaten, der auf Position 5 nach der Auszählung stand. Dessen Stimme werden ebenfalls entsprechend der Zweitstimmen seiner Wähler wieder auf die anderen Kandidaten übertragen usw. usw. bis schließlich alle Plätze vergeben sind. Das klingt alles sehr kompliziert und die auszählenden Personen tun mir ganz schön Leid. Dafür hat das System aber den unbestechlichen Vorteil, dass auch vermeintliche Außenseiter oder Parteilose eine gute Chance haben, in das Parlament einzuziehen.
Das Wichtigste für einen Kandidaten ist also, dass er bei den Menschen bekannt ist. Präsenz in der Öffentlichkeit ist darum das A und O. Besonders gut umsetzten lässt sich dieses Konzept bei – man glaubt es kaum - Beerdigungen. Kondolenzerklärungen machen einen guten Eindruck und pflegen die Kontakte zu den Wählern. Das diese Technik der stillen Wahlpropaganda durchaus erfolgreich ist, beweist der Europa-Abgeordnete Gerry Collins. Er gehörte zu den Parlamentariern, die die meisten Stimmen erhalten hatten. Collins war aber auch derjenige, der mit den meisten besuchten Trauerfeiern punkten konnte. Es hieß wohl, dass er an einem normalen Arbeitstag bis zu drei Beerdigungen am Vormittag besuchte, so absurd das auch klingen mag. Andere Politiker hatten den Dreh dann wohl irgendwann so gut heraus, dass sie gerade rechtzeitig zum in der Zeitung abgedruckten Gruppenfoto erschienen und dann wieder gingen.
Es gibt also nichts, was es nicht gibt. Die kommenden Wahlen in Irland versprechen darum sehr spannend zu werden und die Wettbüros werden den Umsatz des Jahres machen. Denn wie sollten die Iren die Zeit zum Auszählen der Stimmzettel sonst totschlagen, wenn nicht mit Wetten auf die Kandidaten? Man muss das komplizierte Wahlsystem und das damit verbundene Warten schließlich sinnvoll auszunutzen! Also dann - auf eine interessante Europawahl!