Vorurteile

“Viele Leute glauben zu denken, dabei ordnen sie lediglich ihre Vorurteile neu”

Vorurteile machen uns manchmal verschlossen, versperren uns die Sicht und lassen uns voreingenommen sein.
Aber als ich hierherkam, habe ich versucht, unvoreingenommen herzukommen. Ganz funktioniert hat das natürlich nicht, aber ich war/bin für alles offen.

Die meist verbreiteten Vorurteile über die Spanier sind sicherlich einmal, dass sie unpünktlich sind, sich nicht wirklich auf eine Arbeit konzentrieren können, alles hinausschieben und zuletzt, dass sie ständig fiesta machen. Auch ist weit verbreitet, dass sie grundsätzlich dunkle Haare und dunkle Augen haben und außerdem jeden Tag ein Nickerchen (siesta) machen. Weiterhin hält sich hartnäckig das Klischee, dass alle Spanier der typische Macho sind und auch alle völlig Fußballverrückt.

Also vieles hat ein Stückchen Wahrheit, aber eben auch vieles nicht.
Grundsätzlich gibt es pünktliche Spanier und weniger pünktliche. Das hat aber, soweit ich das beurteilen kann, auch mit der Priorität zu tun. Wenn dem Spanier etwas wichtig ist, und er weiß, dass es besser wäre, pünktlich zu sein, dann schafft er das durchaus auch. Trifft man sich aber zum Beispiel mit Freunden in der Bar oder verabredet sich sonst irgendwie, sind 10 Minuten hin oder her kein Problem.
Dass sich Spanier nicht wirklich intensiv auf eine Arbeit konzentrieren können und sich oft ablenken lassen, ist leider meiner Ansicht nach wahr. Dann surft man eben während der Arbeit noch ein bisschen im Internet, und beantwortet noch alle 20 Minuten die WhatsApp Nachrichten. Die Spanier arbeiten sehr lange, und sind meistens  bis spät abends an der Arbeit. Das hat aber etwas damit zu tun, dass sie erstens nicht wirklich effektiv arbeiten und daher auch dementsprechend lange brauchen um etwas zu erreichen und zum anderen hat es etwas damit zu tun, dass gemeinsame Mahlzeiten zu Hause doch einen sehr wichtigen Stellenwert haben. Das bedeutet, die Spanier gehen Mittags für 2-3 Stunden nach Hause und Essen (zusammen mit ihrer Familie).
Und ja, leider schieben sie auch vieles hinaus. Wenn sie es heute nicht machen, dann wird es eben morgen gemacht, und wenn es morgen nicht gemacht wird, dann eben übermorgen…
Wobei man auch da sagen muss, dass es auf die Wichtigkeit ankommt, und ob es sich überhaupt nach hinten verschieben lässt. Aber alles, was man nach hinten hinausschieben kann, wird hinausgeschoben ;)
Das es ständig irgendwo eine fiesta gibt, ist auch nicht soo wirklich weit hergeholt. Und dass die Spanier gerne fiesta machen, ist definitiv wahr :D Wenn man hier mit den Spaniern weg geht, ist es nicht so, dass man spätestens um 3 zu Hause ist. Neeeein, da ist es um 6 früh. Auch kann man sich darauf verlassen, dass wenn dir ein Spanier sagt, dass es aber heute nicht so spät wird, genau das Gegenteil eintrifft.  Aber man kann definitiv unglaublich viel Spaß mit ihnen haben und es wird so gut wie nie langweilig. Aber es macht auch nicht jeder Spanier jeden Tag fiesta, sondern (meistens) am Wochenende.
Nicht alle Spanier haben dunkle Haare und dunkle Augen. Viele, ja. Aber ich habe auch schon blonde Spanier kennengelernt, mit blauen Augen und mit genau derselben hellen Haut, wie ich sie habe (Also ohne Bräune).
Die Siesta. Also zuerst einmal machen sehr wenige Spanier eine siesta. Soweit ich da richtig informiert bin, gilt das, wenn überhaupt für die Spanier die in Andalucía leben, weil es dort im Sommer unglaublich heiß wird. Im generellen gilt die siesta auch eher für ältere Menschen, oder auch für kleine Kinder.
Nein, nicht alle Spanier sind der typische Macho. Aber ich muss zugeben, dass sie eine sehr, sehr süße Art haben, mit Mädchen umzugehen. Sie sind zuvorkommend, und fragen dich auch ständig, ob du dich wohlfühlst und ob alles in Ordnung ist. Natürlich kommt auch das immer auf den Jungen an, aber aus meiner Erfahrung heraus kann ich das im allgemeinen so sagen.
In keinem Fall sind alle fußballverrückt. Die meisten meiner Freunde hier, sind nicht wirklich an Fußball interessiert. Was aber nicht heißt, dass sie sich dann nicht genau so freuen, wenn Spanien gewinnt. Die Spanier sind stolz, das ist definitiv wahr. Aber auf eine sympathische und beneidenswerte Weise.
Prinzipiell reden Spanier sehr laut. Also sie schreien sich quasi gegenseitig an, was aber auch nötig ist, wenn sie sich verstehen wollen, weil ja alle anderen genau so schreien :D Sie reden wild durcheinander und erhöhen dann lieber die Lautstärke, als zu warten, bis jemand anderes zu Ende gesprochen hat.
Man isst grundsätzlich nicht vor 9 zu Abend. Und wenn man hier zu Abend isst, dann sind es 3 Gänge. Vorspeise, Hauptgang und Nachtisch. Dafür essen sie aber auch über den Tag verteilt nicht so wirklich viel. Morgens essen sie einen Keks und trinken den schwarzen Kaffee. Mittags essen sie schon auch was, aber dann mit der großen Pause bis zum Abendessen.
Auch fragen sie dich ständig, wie es dir geht. Sie wollen aber dann nicht, dass du ihnen deine ganze Lebensgeschichte erzählst und wollen auch nicht, dass du sie mit deinen aktuellen Problemen bequatschst. Man antwortet dann einfach ‚gut‘ und gibt die Frage meistens zurück. Aber „Gut, danke“ sorgt, wie ich selbst erfahren habe, meistens für Verwirrung. Wenn man allerdings mit Freunden redet, kann man ihnen natürlich sagen, wie man sich fühlt und wenn einen selbst etwas belastet.
Meiner Meinung nach sind die Spanier sehr liebenswerte Menschen, die dich schnell aufnehmen und dich gerne mit einbeziehen. Vertrauen kann man trotz der offenen Art nicht sofort erwarten, aber sie öffnen sich mehr und mehr mit der Zeit. Sie lieben ihre Familie, stellen sie über alles und sind unbestritten stolz. Sie nehmen das Leben nicht so ernst, haben Freude daran, zu leben und Spaß zu haben. Und ich bin froh darüber, einen Teil der spanischen Kultur und der Mentalität kennengelernt zu haben und hoffentlich auch noch mehr kennenlernen werde.

Lisa