Von Übergängen, vom Vermissen, vom Englischen und von reflexiven Verben
Linguistik, Sprachwissenschaften & Co. fand ich immer langweilig - bis ich anfing Spanisch zu lernen: Hier einige Dinge, die mir aufgefallen sind.
Ich fand Linguistik und Sprachwissenschaften eigentlich immer recht seltsam. Meine Muttersprache hatte ich doch schon, Fremdsprachen wollte ich viel lieber sprechen als untersuchen. Als ich angefangen habe, Spanisch zu lernen, bin ich jedoch über jede Menge Kleinigkeiten in der Sprache gestolpert, die ich total interessant fand – und die ich hier einmal mit euch teilen möchte!
„Das wird cool!“, „Wenn das Wetter besser ist, können wir das machen!“ und „Ich hoffe, du wirst schnell wieder gesund!“ - wie oft am Tag benutzen wir im Deutschen wohl das Wort „werden“? Wir sagen nicht, dass es cool sein wird, dass das Wetter besser sein wird oder dass du gesund sein sollst – nein, denn das wäre Futur, wir benutzen aber einfach das Verb „werden“. Im Spanischen gibt es dafür keine Übersetzung; in meinem Spanischkurs dreht sich eine ganze Lektion um sogenannte „Verbos de cambio“, Verben also, die eine Veränderung ausdrücken – und davon hat das Spanische von quedarse über ponserse bis zu volverse und vielen weiteren so einige. Als ich anfing, Spanisch zu lernen, fand ich das aber zuerst einmal seltsam. Fragte ich Spanier, ob sie mir „(to) become“ irgendwie aus dem Englischen ins Spanische übersetzen könnten, stutzen sie oft, versuchte ich dann die Bedeutung dieses Wortes zu erklären, stand ich selbst vor einer Herausforderung. „werden“ drückt ganz allgemein den Übergang von einem Zustand zum anderen aus und legt dabei eben Wert auf den Übergang statt auf den Zustand. Für einen Muttersprachler einer Sprache, die dafür keine genaue Übersetzung kennt, ist das aber zuerst einmal schwierig zu verstehen.
„Wir werden euch vermissen“, wollten meine französische Projektpartnerin und ich so gerne zu den Schülern, mit denen wir arbeiten sagen, und doch klappte das nicht so ganz. Im Deutschen kennen wir „Ich vermisse dich!“ und „Du fehlst mir!“. Mehr oder weniger drückt beides wohl dasselbe aus, das unterschiedliche Subjekt kann aber doch Schattierungen des Gefühls ausdrücken. Im Spanischen überwiegt mit „Te echo de menos“ die Version „Ich vermisse dich!“, im Französischen hingegen überwiegt die Version „Du fehlst mir!“. Für meine französische Projektpartnerin war es damit zuerst einmal schwierig zu verstehen, dass sie im Spanischen als Sprechende nun selbst zum Subjekt wird: Dass dir jemand fehlt, das ist verständlich, fehlen können schließich auch Objekte und nicht nur Menschen. Aber wie erkläre ich, was es bedeutet zu vermissen, wenn die eigene Sprache eigentlich viel lieber davon redet, dass mir jemand fehlt?
Mir wurde in Spanien so oft gesagt, dass Englisch und Deutsch doch so ähnlich ist – und ich habe immer nur verwundert den Kopf geschüttelt. Ähnlich? So habe ich Englisch als Fremdsprache aber wirklich nie empfunden. Nachdem ich jedoch Französischunterricht in der Schule hatte und nun Spanisch lerne, sehe ich aber durchaus die Gemeinsamkeiten: Im Französischen und Spanischen hab ich beispielsweise 18 Jahre, im Deutschen und im Englischen bin ich aber 18 Jahre alt. Im Französischen und im Spanischen hänge ich an den Infinitiv eine Endung dran, um das Futur zu bilden, im Englischen und im Deutschen hingegen arbeite ich mit dem Verb „werden“ oder „(to) will“. Wenn ich in Spanien Englischunterricht gebe, stolpere ich immer wieder über Vokabeln, die ein deutscher Muttersprachler direkt auswendig kann: „Hand“ und „Finger“ existieren beispielsweise sowohl im Deutschen als auch im Englischen – die Spanier tuen sich hingegen schwer damit.
Als eine Studentin in einer der Treffen am Anfang meines Freiwilligendienstes einmal in Tränen ausbrach, wurde mir erklärt, dass es darum ging, dass ein anderer Student, den sie gekannt hatte, sich gestorben hatte. Ich bin damals fest von Suizid ausgegangen und war noch geschockter als alle anderen. Erst später bemerkte ich dann, dass „sterben“ im Spanischen ein reflexives Verb ist: Auch bei einem ganz natürlichen Tod kannst du dich im Spanischen sterben. Zu spanischen reflexiven Verben, die im deutschen nicht reflexiv sind, zählen auch gehen und bleiben – was ich gut finde, denn für mich unterstreichen sie den bewussten Willen, an einem Ort zu bleiben oder ihn zu verlassen. Der Ausdruck, sich zu sterben, ist jedoch nicht der einzige, der mich verwirrt: Auch bei dem Ausdruck, sich zu verheiraten, war ich lange Zeit verwirrt, klingt es in meinen Augen doch nach Zwangshochzeit – im Spanischen heiratest du jedoch nicht, du verheiratest dich.