Von Abenteuerlust und Vernunft - Der Zwiespalt meiner Generation
...was das Gefühl grenzenloser Freiheit in einem jungen Menschen bewirken kann. Über Lebenslust und Ungewissheit, Neugierde und Zweifel. Auf der Suche nach einer Lebensphilosophie?
Mit der so eben erreichten Volljährigkeit und dem Abi-Zeugnis in der Hand erscheint einem irgendwie alles möglich. Uns öffnen sich unversehens tausende Türen und es fällt uns schwer, auch nur einen wagen Überblick über alle zu erlangen. Für einige will man uns überzeugen, ködern, uns dazu verführen, sie zu durchqueren um uns schließlich zu instrumentalisieren. Entscheiden wir uns unvoreingenommen für eine, führt sie uns in einen langen Korridor, in welchem es wiederum an uns ist, uns für oder gegen das Betreten der links und recht von uns liegenden weiterführenden Gänge zu entscheiden. Unsere Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, die Wege, die wir einschlagen können unzählbar und die Perspektiven, die sich uns auftun unendlich. Ein hohes Privileg, von welchem wir uns immer wieder vor Augen führen sollten, dass all das alles andere als selbstverständlich ist, sondern ein unsagbares Glück, sowohl zu dieser Zeit als auch an diesem Ort jugendlich zu sein. Für unsere Lage, sowohl die geografische als auch historische, können wir uns glücklich schätzen.
Nun kommt es aber vor, dass wir trotz (oder gerade wegen?) dieser starken Freiheitsempfindung in ein ambivalentes Gefühlsdilemma geraten. Bestimmt zum einen von Aufbruchs- und Abenteuerlust, der Vorfreude auf alles, was draußen auf uns wartet und der vielversprechenden Gewissheit, fortan vollkommen selbstbestimmt durchs Leben schreiten zu können. Empfindungen, die zuweilen in einer kaum zu drosselnden Lebenslust und Neugierde gipfeln und das Verlangen stärker und stärker werden lassen, direkt in der nächsten Sekunde aufzuspringen und ,,loszuleben“. Gäbe es da nicht ein Segment in uns, dass uns zurückhält oder zumindest unsere Antriebskraft immer wieder in hohem Maße bremst. Denn es erscheint ebenso logisch wie auch unvermeidbar, dass aus dem besagten Freiheitsgefühl etwas resultiert, das man Orientierungslosigkeit nennt und neben dieser eine ernüchternde Vernunft und eine zweifel-gebärende Ungewissheit. Neben unserer Neugier macht sich auch eine Unsicherheit breit, die die Frage aufwirft, ob uns zu viel Neugierde am Ende schaden könnte. Auf unsere Freude folgt immer wieder auch eine Angst, unseren eigens gemachten Plänen und Wünschen nicht gerecht werden zu können und die Skepsis, ob man in zwanzig Jahren immer noch dieselbe Person sein wird, die ihren Ansichten und Überzeugungen treu geblieben ist. Neben der Dankbarkeit für alles, was uns ermöglicht wird, überkommt uns ein Gefühl der Überforderung, man könne sich im Irrgarten der Optionen und einschlagbarer Pfade verlaufen. Unserer Abenteuerlust tritt eine Rationalität entgegen, die uns abrupt auf den Boden der Tatsachen zurückzieht und uns bewusst werden lässt, dass wir wohl erst lernen müssen, mit unserer eigenen Freiheit umzugehen, bevor wir sie tatsächlich zu unserem Vorteil nutzen können.
So viele Perspektiven. Doch wir müssen erst erkennen, in welche Richtung wir langfristig schauen wollen, bevor wir uns für eine entscheiden. Eine Welt zu unseren Füßen, die mit all ihrem Faszinationspotenzial nur darauf warten, von uns erkundet zu werden. Doch müssen wir erst lernen, uns zu orientieren, bevor wir uns aufmachen, um sie uns anzusehen. Vor uns eine Zeit, die verspricht, großartig zu werden. Doch müssen wir erst verstehen, sie richtig zu nutzen, bevor wir sie zu unserer Zeit machen. Nichtsdestotrotz sollten wir nicht vergessen, dass man oft erst nach dem Einschlagen eines Irrwegs erkennt, wo lang man tatsächlich gehen möchte. Dass all unsere Pläne und Lebenskonzeptionen nichtig werden können, wenn uns ungeahnte Zufälle urplötzlich aufzeigen, für welche andere Materie wir Begeisterung aufbringen können. Dass man das Leben vielleicht einfach mit Offenheit, Neugierde, Interesse und einem gewissen Talent für Enthusiasmus geschehen lassen sollte und, zu guter Letzt, dass unsere Erfahrung uns immer wieder lehrt, dass das meiste im Leben anders kommt, als erwartet.
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