Unterstützung für musikalisch talentierte Roma
Durch meine Mentorin Margit, die selbst aus einer Romafamilie stammt, wurde ich auf das Ferenc Snétberger-Musikzentrum, ein Zentrum für musikalisch talentierte Romakinder, in dem sie als Mentorin arbeitet, aufmerksam. Was es bedeutet, nichts zu haben außer der Leidenschaft zur Musik, bekommt man hier zu spüren, wenn man sieht, mit welchem Talent und Eifer die Jugendlichen jeden Tag für ihren großen Traum üben, üben und nochmals üben.
Doch von vorne. In Ungarn gibt es viele verschiedene Minderheiten, darunter Deutsche, Slowaken, Serben, Kroaten, Rumänen, Ukrainer, etc. Doch die zahlenmäßig größte Minderheit bilden mit etwa 700.000, also etwa sieben Prozent der ungarischen Bevölkerung, die Roma. Sie haben in Ungarn – wie auch in vielen anderen Ländern – einen durchaus schweren Stand. Viele von ihnen sehen sich tagtäglich einer großen Anzahl an Vorurteilen gegenübergestellt. So seien die Roma oft unsauber oder gar dreckig, manche sehen sie sogar als Diebe und Verbrecher an.
Tatsächlich sind viele Romafamilien sehr arm, die Arbeitslosigkeit unter ihnen liegt oft zwischen 50 bis sogar teilweise 90 und 100 Prozent. Für viele Kinder ist es daher schwer, aus diesem Armutskreislauf auszubrechen, eine gute Schulbildung zu erfahren, eine sichere Arbeit zu finden und Geld zu verdienen. Ervin, ein junger Mann, der auch Roma ist, und mittlerweile als Sozialarbeiter bzw. Vermittler zwischen Roma- und Nicht-Romafamilien arbeitet, erklärte mir beispielsweise auch, dass er oft mit dreijährigen Kindern arbeite, deren Eltern selbst im Grunde noch Kinder seien. Diese Kleinkinder hätten im Vergleich zu Gleichaltrigen z.B. ein nur sehr begrenztes Vokabular und seien in ihrer allgemeinen Entwicklung oft hinter anderen Kindern ihres Alters. Auch in der Schule sei es für diese Kinder später oft schwerer, da sie nicht schon in den ersten Lebensjahren in Form von Spielen und Büchern gefordert und gefördert würden. Er organisiert daher Kurse für Kinder und Eltern und führt intensive Gespräche, um bestmögliche Hilfestellungen zu geben.
Dieser Wille, zu helfen verdeutlicht einen Aspekt, der charakteristisch für die Romagemeinde ist: die soziale Gemeinschaft. Die gegenseitige Hilfe, die in ihrer Identifikation, in ihrem stark ausgeprägten ethnischen Bewusstsein wurzelt, ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Die Familie, das gemeinsame Essen und Spielen, die Musik, das Zusammensein, all das steht an oberster Stelle. So kommt es, dass man die Roma oft auch als ein sehr frohes, musikalisches Volk assoziiert und, dass viele Roma unfassbar talentierte und passionierte Musiker, ja fast schon kleine Musikvirtuosen sind- das Gefühl hatte ich zumindest, als ich den Kindern und Jugendlichen im Snétberger Musik Talent Zentrum (auf Ungarisch: Snétberger Zenei Tehetség Központ) zuhörte.
Dieses Zentrum, das im Jahr 2011 vom ungarischen Jazz-Gitarristen Ferenc Snétberger gegründet wurde, veranstaltet dreimal jährlich drei- bis sechswöchige Camps, in denen die Kinder spezielle, musikalische Unterstützung, von berühmten und erfahrenen Musikern wie beispielsweise auch von Herrn Snétberger selbst erfahren. Sie leben und lernen vor Ort, jeder Teilnehmer hat seinen eigenen Unterrichtsplan von morgens zehn Uhr bis abends um 18 Uhr und viele üben selbst dann noch weiter. Die etwa 60 Jugendlichen sind zwischen zwölf und 22 Jahre alt und leben in einer großen Gemeinschaft. Gegen Ende jedes Seminars gibt es ein großes Konzert, dem ich in diesem Fall am nächsten Freitag hoffentlich auch beiwohnen werde, da mich die Jugendlichen direkt gefragt haben, wann sie mich wiedersehen werden. Das zeigt, wie schnell sie einen, nachdem sie ihre anfängliche Schüchternheit abgelegt hatten, ins eigene Herz schließen und über Hobbys, Geschwister und alles Mögliche ausfragen. Sie sind unfassbar nett, interessiert und offen.
Für mich ist es etwas schade, zu wissen, dass es nur ein ganz, ganz kleiner Teil schaffen wird, irgendwann von der Musik, zu leben, wenn überhaupt. Dennoch überwiegt die Freude darüber, dass es für die Kinder überhaupt eine Möglichkeit gibt, an ihrem Talent zu feilen und ihrer Leidenschaft nachzugehen und so zumindest für kurze Zeit dem manchmal tristen Alltag zuhause zu entfliehen. Denn letztlich wächst man so auch persönlich, man lernt sich durchzuschlagen und wer weiß, vielleicht habe ich ja letzte Woche sogar ein paar zukünftigen Starpianisten und -gittaristen und -geigern etc. die Hand geschüttelt. Darf ich die jetzt überhaupt noch waschen?