„Un-Common River“- One Architecture Week in Plovdiv
Wie integriert man einen Fluss ins moderne Stadtbild? Wie kann man einen Fluss zur Attraktion machen? Und wie kann ein Fluss dabei helfen eine gemeinsame Identität in umliegenden Nachbarschaften zu schaffen?
Mit diesen und zahlreichen weiteren Fragen beschäftigte sich die One Architecture Week 2015. Das Architekturfestival ist eine private Initiative der EDNO Foundation und zielt darauf ab, Stadtentwicklung in den Fokus der Bürger zu bringen und eine Debatte zu starten.
Nur fünf Gehminuten vom Stadtzentrum Plovdivs entfernt liegt die Maritsa. Der Fluss entspringt im Rilagebirge in Bulgarien, bildet dann erst die Grenze zwischen Bulgarien und Griechenland und später die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei, ehe er ins Ägäische Meer mündet.
In frühen Jahren der Stadtgeschichte Plovdivs wurde der Fluss für Fischerei genutzt, die Ufer eigneten sich gut für Viehhaltung. Somit trägt der Fluss Mitverantwortung an der Entwicklung der Stadt. Zu Zeiten des Kommunismus wurde der Fluss durch die Industrie stark verschmutzt und somit für Fischfang unbrauchbar. Heute wird die Flora und Fauna entlang des Flusses durch ein Programm der EU geschützt. Verschmutzt ist das Wasser heute noch, vor allem von den Pestiziden die in er Landwirtschaft entlang des Flusses eingesetzt werden. Angler sieht man heute trotzdem wieder am Ufer.
Der Fluss liegt nicht direkt im Stadtzentrum, vielmehr bildet er eine Grenze zwischen dem Zentrum und anderen Vierteln. Es ist erstaunlich, wie wenig der Fluss genutzt wird von der lokalen Bevölkerung, deswegen fokussiert die One Architecture Week in ihrer diesjährigen Ausgabe die Maritsa. Ziel des Projektes ist es mögliche Nutzungen des Flusses aufzuzeigen, dabei ist der Begriff „Commoning“ von großer Bedeutung. Unter „Commoning“ versteht man ein gemeinsames Anpacken, einen sozialen Prozess, der das Gefühl einer gemeinsamen Identität entlang des Flusses schaffen soll. Der Titel „Un-common“ stellt somit ein Wortspiel dar: „common“ für gemeinsam, „uncommon“ für die Außergewöhnlichkeit des Flusses.
Bereits vor Beginn der Woche voller Diskussionen, Ausstellungen, Konzerten und Partys bieten die Veranstalter eine Flussexpedition an. Bei dieser Expedition wird deutlich wie verwildert der Fluss eigentlich ist. Nur an wenigen Stellen führen Treppen von der Straße zum Flussufer hinunter, Am Ufer selbst gibt es ein paar Trampelpfade und viel Gestrüpp. Immer wieder tauchen kleine Müllhaufen auf. „Wir sind zu einer guten Zeit hier. In einem Monat sind in Bulgarien Wahlen und um die Bevölkerung zu beeinflussen lassen die Politiker alles sanieren und den Müll hier aufsammeln“ erklärt eine Bulgarin. Ich möchte gar nicht wissen wie es hier sonst aussieht.
In der Woche bevor das Architekturfestival eigentlich beginnt werden jeden Abend Filme gezeigt, die in einem Zusammenhang mit dem Thema Fluss stehen. Besonders spannend finde ich den Film „End of Season“ von Nikolaj Bendix Skyum Larsen. http://www.nbsl.info/#!end-of-season-video/c1o5z Der Film dokumentiert das Leben in einem kleinen türkischen Dorf nahe der Grenze zu Griechenland, mit der Maritsa als Grenzfluss. Eingerahmt von der wunderschönen Landschaft der spätsommerlichen Türkei erzählt der Film von Flüchtlingen, die die Grenze mit Hilfe von Schmugglern illegal überqueren, von Roma die für die lokalen Bauern für Hungerlöhne arbeiten und von der großen Armut, die immer mehr türkische Landwirte dazu zwingt in die nächste Stadt zu ziehen um dort nach Arbeit zu suchen.
Entlang der Maritsa zeigt die One Architecture Week einige Interventionen, welche Entwicklungsimpulse für die Zukunft des Territoriums geben sollen. Die aufwendigste Intervention stellt ein kleiner Strand an der Maritsa dar, der zugleich das Zentrum des Festivalprogramms darstellt. Am Flussufer stehen ein kleiner Pool, eine Bar, einige Tische und Stühle, außerdem gibt es ein Volleyballfeld. Alles wurde provisorisch und mit Liebe zum Detail aus Holz zusammengezimmert, es wurden Materialien verwendet, für die es sonst keine Verwendung gab, wie zum Beispiel alte Palletten. Schauplatz des Programms ist die Runde Holzbühne, die zwischen zwei großen, alten Weiden im Schatten liegt. Hört sich idyllisch an? Das sehen nicht alle so! Auch in meinem persönlichen Umfeld treffe ich auf Leute, die den neuen Stadtstrand mit Ablehnung betrachten. „Persönliche Gründe“ seien es, man könne die Veranstalter nicht leiden. Als ich den Intendant Ljubo Georgiev frage lerne ich Genaueres. „Eine mediale Hetzkampagne hat den Strand in Verruf gebracht.“ Es wären Unsummen an Steuergeldern dafür ausgegeben worden, der Strand sei hässlich, der Pool sei nicht groß genug, der Strand sei gefährlich wegen den alten rostigen Nägeln die dort liegen (bitte was?!). In der Realität wurde der Strand ausschließlich von privaten Investoren finanziert, die Stadtgemeinde hat lediglich geholfen den Rasen zu mähen und ein bisschen Sand zu beschaffen. Hinter der Hetzkampagne liegen politische Interessen, aufgrund der anstehenden Wahlen versuchen Oppositionelle die in Plovdiv amtierende Partei in Verruf zu bringen.
An einem Freitagabend findet das Opening Konzert der One Architecture Week auf der runden Holzbühne statt. Trotz der schlechten Presse erscheinen einige Hundert Neugierige, die die bulgarische Indie Rock Band „Bears & Hunters“ sowie die bulgarische Pop-Ikone Ruth Koleva sehen wollen. Im gemütlichen Scheinwerferlicht wird das Publikum unter den Weiden beschallt, der Startschuss der eigentlichen Festivalwoche ist gelungen.
2013 findet die One Architecture Week das erste Mal in Plovdiv statt, zuvor war Sofia Schauplatz des Architekturfestivals. Ich frage Ljubo nach den Motiven des Umzugs. „Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Plovdiv kaum zeitgenössische Kultur. Alles war in Sofia und wir wollten die Kulturszene dezentralisieren.“ Ich denke an Deutschland und Berlin. Hier würde ich mir persönlich eine Dezentralisierung wünschen. Sympathischer Gedanke also. Ich hake nach ob der Umzug etwas mit der Kulturhauptstadt Plovdiv 2019 zu tun hat. „Dieser Zeitpunkt war die Bewerbungsphase für die Kulturhauptstadt. Ich selbst habe die Stadt mit Präsentationen unterstützt.“ Im Gegenzug unterstützt die Stadt die One Architecture Week mit einer Finanzierung von etwa 30 %. „In anderen Ländern wäre das natürlich viel mehr!“ lacht Ljubo. „Unsere Sponsoren sind entweder Privat oder kommen aus dem Ausland.“ „Foundation America for Bulgaria“, Botschaften aus Kanada, den Niederlanden, Österreich, Norwegen, Tschechien, Polen,… kein Land scheint nicht involviert zu sein. Sponsoren wie Milka sind der Grund der zahlreichen bunten Reklamefähnchen auf dem Strand. Ljubo ist davon nicht besonders begeistert, aber irgendwie muss man schließlich das Geld zusammen bekommen erklärt er mir.
Eine weitere Intervention am Fluss bildet ein Urban Gardening Projekt. In einem Gespräch auf der Bühne stellen unterschiedliche Urban Farmer aus verschiedenen Städten ihre Projekte vor. Die „Happy Farm“ aus den Rhodopen erklärt, dass es wichtig sei mit der Stadt zu sprechen, denn wer etwas Illegales macht sei angreifbar. Ein Farmer aus Sofia sieht das anders. „Break the rules!“, er selbst hat bereits Tomaten vor dem bulgarischen Agrarministerium in Sofia angepflanzt um auf sich aufmerksam zu machen und um zu provozieren – die Tomaten wurden auf jeden Fall gegessen, denn als sie reif waren, waren sie auf einmal verschwunden. Mit seiner Community verbringt er viel Zeit beliebige Flächen in Wohngebieten mit Nutzpflanzen zu begrünen. Einmal habe er mit Freiwilligen gearbeitet, eine schlechte Erfahrung seiner Meinung nach. Es seien einige gekommen um die Schwerstarbeit, das Anpflanzen zu verrichten. Doch als die Pflanzen dann reif waren und es ans Ernten ging war keiner mehr da. „Jede Woche habe ich gepostet: kommt und holt euer Gemüse ab!“ In Istanbul ist die Urban Farming Bewegung durch die Proteste im Gezi Park erstarkt. Zwar konnte der Aufstand nur 4 Tage lang bestehen, doch der Gedanke seine eigene Nahrung anzupflanzen hat sich in dieser Zeit in einigen Köpfen gefestigt. Doch egal ob es sich um Urban Farming in Amsterdam, Den Haag, Sofia, Istanbul oder Plovdiv ist, ein Statement ist zentral: arbeitet nicht mit der Stadt zusammen! Das zieht jeden Prozess unnötig in die Länge! Das Urban Gardening Projekt der One Architecture Week wäre sogar fast wegen der mangelnden Kooperation der Stadtgemeinde gescheitert. Lange Zeit wollten sie das Projekt nicht erlauben, bis man sie überzeugen konnte Lavendel anzupflanzen – weil das angeblich die Moskitos vertreiben würde – und Cranberries. Tatsächlich hat man sich dann aber doch für Kräuter, Gemüse und Obstbäume entschieden, so lange die Stadt nicht davon weiß… „Wenn du etwas wirklich Gutes machen möchtest, dann musst du es illegal machen“, so Kosta, Leiter des Urban Gardening Projekts der One Architecture Week. Rundum vielsagendes Nicken. Zum ersten Urban Gardening Treffen sind ca. 20-25 Interessierte gekommen, nach dem Anlegen der Beete kamen nur noch 2-3 Personen, bis schließlich keiner mehr kam. Inzwischen ist daher die Hälfte der Pflanzen gestorben. Ljubo erklärt das Projekt für gescheitert: „Es ist uns nicht gelungen eine gemeinsame Identität durch Urban Farming in der Nachbarschaft zu schaffen und den Garten zu einer Attraktion zu machen.“ Tatsächlich waren die Interessierten zu Beginn alle aus anderen Nachbarschaften, welche nicht nahe der Maritsa liegen.
Ljubo leitet eine kleine Führung rund um die urbanen Ufer der Maritsa um die verschiedenen Interventionen vorzustellen. Er zeigt uns einen Aussichtspunkt und eine Pergola – beides noch under construction – welche Anziehungspunkte für die Bewohner nahe des Flusses bilden sollen. Mein Interesse gilt vor allem einer alten verlassenen Tankstelle, die nun vom kanadischen Künstlerkollektiv „Mere Phantoms“ besiedelt wird. Im Innern der Tankstelle haben sie zahlreiche Schablonen aus weißem Papier ausgeschnitten. Unglaublich filigrane Gebäude sind bis ins Detail nachgebildet. Als es dunkel wird verteilen die zwei jungen Kanadierinnen Taschenlampen. Im Innern der Tankstelle werden die Schablonen angestrahlt, auf einem weißen Leintuch rund um die leeren Fensterrahmen zeichnet sich ein faszinierendes Schattenspiel ab. Wenn die Taschenlampen bewegt werden ändert sich das Bild – mal werden die Schatten kürzer, mal werden sie länger. Begleitet von stimmungsvoller Musik wird die alte Tankstelle in eine wunderbare Atmosphäre getaucht, die zum Verweilen einlädt. Wer hätte gedacht, dass dieses schäbige, kleine Häuschen, was vor kurzem noch einen meterhohen Müllberg beherbergt hat eine solche Renaissance feiern wird? Oft benötigt es eben nur einen kreativen Gedanken um aus vorhandenen Dingen etwas Einzigartiges zu schaffen.
Das reichhaltige Programm des Architekturfestivals wird begleitet von verschiedenen Ausstellungen, welche sich in der ganzen Stadt verteilen. Die Hauptausstellung findet in einer alten Tabaklagerhalle statt, welche schon allein aufgrund ihrer beeindruckenden Architektur ein Besuch wert ist. Sie beschäftigt sich mit der Maritsa, mit der Geschichte des Flusses, der Bedeutung und mit möglichen Zukunftsperspektiven. Auf dem Boden ist mit blauer Farbe der Fluss eingezeichnet, von der Decke hängende Fotos zeigen die Maritsa zu verschiedenen Zeiten. Pläne zeigen die aktuelle Situation entlang der Maritsa, wie die Strom- und Wasserversorgung sowie die Miet- und Kaufpreise der Immobilien. Zukunftsprojekte aus China, den Niederlanden, Berlin, Paris und Albanien, welche Flüsse auf verschiedene Weise ins Stadtbild integrieren sollen werden vorgestellt. Vielleicht ja eine Inspirationsquelle für Plovdiv? Als ich alle angeschaut habe nehme ich die Treppen nach oben, Stockwerk für Stockwerk, vorbei an leerstehenden, kahlen Räumen, bis ich im obersten Stockwerk angelangt aufs Dach hinaustrete und die Sicht auf die Stadt genieße.
Auch die Ausstellung „To Europe and back“ hat mit dem Kino Kosmos eine spannende Location ausgewählt. Es handelt sich um ein altes Kino, um es zu betreten muss man sich erst einen Weg durch den Vorhang aus alten Filmen bahnen, welche von der hohen Decke herunter hängen. Drinnen werden die Abschlussarbeiten von bulgarischen Architekturstudenten gezeigt, welche im Ausland studiert haben, allerdings einen Ort in Bulgarien fokussieren in ihrem finalen Projekt. Sanierungen eines Stadions in Sofia, die Vernetzung der Sofioter Büchereien, eine Umgestaltung des Nezavisimost Platzes in Sofia zur Fußgängerzone oder das Errichten eines kulturellen Gemeinschaftshauses in Plovdiv. Die detaillierten Modelle sind vor allem futuristisch im Design. Eine Verwirklichung der Projekte würde das bisherige Stadtbild auf jeden Fall stark kontrastieren. Wegen Orten wie das Kino Kosmos zum Beispiel. Erst als ich die breite Treppe ins erste Geschoss emporsteige bemerke ich den Charme, den dieser alte Ort verbreitet. Man spürt die Vergangenheit sehr deutlich. Doch die kyrillischen Buchstaben, die verkünden, was sich in diesem kubischen Gebäude befindet („кино космос“) leuchten schon lange nicht mehr: es fehlt das Geld um dieses alte Kino zu sanieren und wirtschaftlich zu betreiben.
Unter dem Name „Balkan Syndrome?“ beschäftigt sich eine Diskussion mit der Frage ob Flüsse in den Balkanstaaten generell schlecht in die Stadt integriert und zudem oft auch noch verschmutzt sind. Es sind verschiedene Experten aus Belgrad, Sarajevo, Tirana, Skopje und Bukarest angereist. In einem anderen Forum werden die verschiedenen Städte entlang der Maritsa vorgestellt. Das zweite Wochenende der One Architecture Week bildet das Ende des Events, es ist nochmal dicht bepackt mit Veranstaltungen. Samstagabends findet eine Closing Party mit dem Berliner DJ „Spacelex“ statt. Mit Großvaters Hornbrille und der allzu legendären Bauchtasche um die Brust macht er was sein Outfit angeht deutlich, dass er wirklich aus Berlin kommt. Wo sonst zieht man sich so „individuell“ ( ;-) ) an? Als Location dient die Stage 51, welche sich im Viertel der Tabaklagerhallen befindet. Musikalisch liegt der Fokus auf Diskomusik. DJ Spacelex spielt vor allem kleine Single Vinyls, die vor ein paar Jahrzehnten vielleicht mal Hits waren. Das Schöne an seiner Musik ist, dass sie sehr extrovertiert ist und der Kreativität des Tänzers keine Grenzen gesetzt werden, nein sie lädt sogar förmlich dazu ein auch einmal albern zu tanzen.
Aufgrund der anhaltenden Regenfälle wird da Programm am letzten Tag in die Hauptausstellung ins Trockene verlegt. Dort sind mal wieder einige interessante Gäste anzutreffen: Jeanne van Heeswijk erzählt von ihrer Arbeit im Viertel Stolipinovo in Plovdiv. Auch dieses Viertel liegt an der Maritsa, unterscheidet sich jedoch vom Rest der Stadt stark. Es handelt sich um ein Roma-Ghetto, mit 20.000 Einwohnern vermutlich sogar das größte in Südosteuropa. Vier Tage lang war van Heeswijk vor Ort und hat mit den Bewohnern gesprochen, über deren hartes Leben, über Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit. Die Beteiligten haben ihre Gedanken auf Plastikstühle geschrieben, auf denen nun die Besucher sitzen. Die niedergeschriebenen Gedanken sind auch Teil des Liedes, das anschließend von ein paar Jungen Romas mit Gitarrenbegleitung vorgetragen wird. Die Künstlerin van Heeswijk erzählt auch von vorigen „Public Faculties“: Einmal hat sie in einem Problembezirk in Skopje versucht Bürger zu motivieren den lokalen Park wieder attraktiv zu gestalten. Sie erzählt von der Schwierigkeit mit fremden Menschen zu sprechen und in Kontakt zu treten. Erst am dritten Tag der Public Faculty gelang es ihr mit einem Bewohner ins Gespräch zu kommen. „‘Spreche nicht mit fremden Menschen‘ lernen wir schon als kleine Kinder“ erklärt van Heeswijk. Diese Einstellung ist ihrer Meinung das Problem. Für sie ist es der Dialog, der sozialen und wirtschaftlichen Wandel durch eine aktive Gesellschaft ermöglicht. Der Park in Skopje jedenfalls wurde wieder zum Treffpunkt im öffentlichen Raum, nachdem die Bewohner beschlossen Mülleimer aufzustellen, Parkbänke zu reparieren und den Park zu pflegen.
Der Aspekt des sozialen Wandels durch eine aktive Gesellschaft, welche gemeinsam agiert und somit eine neue Identität schafft („Commoning“) wird auch in der folgenden Debatte aufgenommen. Neben van Heeswijk präsentieren vier weitere Frauen aus Barcelona, Plovdiv, Kairo und Kyoto ihre sozialen Projekte. Eine „Social Kitchen“ als Treffpunkt für politische Aktivisten, eine Bäckerei die Brotbacken als Mittel für Frieden und Verständigung einsetzt, Pflege von historischen Gebäuden durch Anwohner in der Nachbarschaft, Bürgerproteste die zu einer gesellschaftlichen Bewegung wachsen – alle Beteiligten haben interessante Geschichten zu erzählen. Ethel Baraona Pohl aus Barcelona wünscht sich eine „Feminisierung der Politik“ für eine sozialere und empathischere Welt. Passend, dass alle 5 Aktivistinnen weiblich sind.
Auch das Projekt „Open School“ ist eine Kooperation mit der Roma-Community von Stolipinovo. Junge Architektur- und Designstudenten aus Bulgarien und den Niederlanden haben sich eine Intervention entlang des Flusses ausgedacht. Bei der Umsetzung sind ihnen Handwerker aus Stolipinovo behilflich. Die Kommunikation stellt eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar, am Ende jedoch entstehen neue Freundschaften. „Es handelt sich also nicht nur um eine physische, sondern auch um eine psychische Intervention“, resümiert Ljubo stolz. Tatsächlich sind solche Freundschaften in Bulgarien sehr untypisch. Roma werden hier mit großen Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert, nur selten sind sie gut in die Gesellschaft integriert. Die Projekte der 3 Teams werden auf http://www.maritsaspectacular.com/ vorgestellt. Besonders interessant ist die Intervention „Stol.ipinovo“. 2 Stühle, einer aus dem Stadtzentrum Plovdivs und einer aus Stolipinovo stehen auf einem Podest mit Blick auf die Maritsa. Dieser Ort soll die verschiedenen Ethnien zum interkulturellen Dialog einladen. In einem Video dokumentieren die jungen Studenten Statements der verschiedenen sozialen Gruppen, deren Vorurteile und Annäherungen.
War die One Architecture Week nun erfolgreich? Das Programm war vielfältig und sehr informativ, die Idee sowie die Umsetzung des Konzepts gelungen. Allerdings ist die fehlende Teilnahme der Bürger, die nahe der Maritsa wohnen zu bemängeln. Ohne deren Engagement ist eine Veränderung des Stadtbildes sehr schwer. Außerdem stehen die Bedürfnisse der Bürger im Mittelpunkt um die Lebensqualität der Anwohner positiv zu beeinflussen. Wenn diese ihre Bedürfnisse nicht kommunizieren ist das nicht möglich. Durch Zufall lerne ich Dragomir in einer Bar kennen. Er ist Architekt in Plovdiv, zuvor hat er lange in Stuttgart und Karlsruhe gelebt – um zu erkennen dass die Heimat eben doch am schönsten ist. „Wegen der Fluten sind die Ufer der Maritsa eigentlich gar nutzbar. Hinzu kommt, dass es sich um ein Naturschutzgebiet handelt.“ erklärt er mir. „Aber eigentlich ging es sowieso nur darum, eine Diskussion zu starten!“ Und das hat die One Architecture Week geschafft. Das Festival war vor allem daher so interessant, weil es sich nicht mit der Ästhetik einzelner Gebäude beschäftigt hat, sondern mit den gesellschaftlichen Auswirkungen, die Gebäude, Infrastrukturen und die Nutzung von öffentlichem Raum auf die Gesellschaft und die Identität der Bevölkerung einer Stadt oder einer Nachbarschaft haben.
Ich denke an meine Heimatstadt Karlsruhe. Hier arbeitet die Stadt an räumlichen Leitbildern mit dem Titel „Die Stadt neu denken“. Dabei werden Bürger befragt, wie die Stadt in den nächsten 30 Jahren weiterentwickelt werden soll, Partizipation und Transparenz ist der Stadt sehr wichtig. In Plovdiv hinkt die Stadt hinterher, die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte nachzuholen: Fahrradwege anlegen, Buspläne mit festen Abfahrtszeiten entwickeln… Um die Zukunft müssen sich daher wohl private Personen und Initiativen Gedanken machen. Daher kann die One Architecture Week auch symbolisch gesehen werden, für eine neue Entwicklung. Baukultur und Stadtplanung wird immer mehr als Partizipationskultur verstanden. In dieser Kultur steht die Lebensqualität der Bewohner im Mittelpunkt jeglicher Entwicklungen. Die Abstimmung über Bedürfnisse ist demokratisch. Umfassendes informieren und eine hohe Partizipation der Bürger ist obligatorisch. Doch daran mangelt es in Plovdiv momentan noch.
Auch 2016 wird die One Architecture Week wieder stattfinden und das Thema klingt vielversprechend. Die Plattenbausiedlung „Trakiya“ aus den 1960er Jahren wird dann im Fokus des Architekturfestivals liegen. Trakiya ist ein Wohnviertel in Plovdiv, mit dem Bus ist es etwa 15 Minuten vom Stadtkern entfernt. Für Osteuropa ist es typisch, für mich als Westeuropäer war es ein interessantes Erlebnis ein solches Viertel zu sehen. Es besteht wirklich ausschließlich aus Plattenbauten. Zwischen den einzelnen Blocks gibt es jedoch enorme Brachen mit Wiesen, manchmal wuchern dort Sträucher und Bäume. Der öffentliche Raum ist physisch gesehen enorm groß, psychisch gesehen existiert er nicht. Es gibt keine Nutzung des öffentlichen Raumes, weil sich niemand für eine gemeinschaftliche Nutzung einsetzt. Folglich fehlt ein Raum zur Kommunikation und zum Austausch zwischen den Bewohnern.
studioBASAR ist ein Kollektiv aus Bukarest, das diese Verhältnisse 2016 als Kurator der One Architecture Week ändern soll. In ihrer Stadt Bukarest gibt es ähnliche Viertel wie Trakiya. Dort haben sie den öffentlichen Raum analysiert und bedeutende Knotenpunkte statistisch aufgespürt. In ihren Projekten möchten die jungen Rumänen Treffpunkte im ungenutzten öffentlichen Raum schaffen. In Bukarest finden die kulturellen Veranstaltungen nämlich lediglich im Stadtzentrum statt. studioBASAR holt die Kultur zurück in die Nachbarschaften und Wohnviertel.
In einem Projekt sammelten sie das Holz von alten Fensterrahmen, die im Zuge einer Thermoisolationsrenovierung aus den Häusern gerissen wurden. Aus dem Holz wurde mit Hilfe von Freiwilligen ein Pavillon gebaut, der in den Nachbarschaften Tei, Tineretului und Timpuri Noi aufgestellt wurde. Davor wurden markante Punkte in den drei Wohnvierteln ausfindig gemacht, welche besonders dynamisch sind und sich somit als Standorte eignen: eine Post, ein Schuleingang und eine Kirche. Das Projekt trägt den Namen AcUM (Urban Mobile Accumlator) und sorgte dafür die drei Nachbarschaften zu beleben. Im AcUM Pavillon finden Workshops, Filmvorstellungen und Diskussionen statt. Es gibt eine Bücherei und ein Museum über die Vergangenheit der Wohnviertel mit den Erinnerungen der Bewohner. Man darf gespannt sein, was sich das Kollektiv studioBASAR einfallen lässt um den öffentlichen Raum in Trakiya 2016 zu beleben.
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