Über die „Schutzzone“ für Frauen
„Party des Jahres, Maßnahme des Nichts“
Wie Antonio Gramsci, der jeden Morgen, wenn er unter der Decke des Himmels wieder aufwacht, fühlt, dass für ihn Neujahr ist, hasse ich auch den Neujahrstag. Die Vorbereitungen und die Feiern finde ich also total Zeit-, Geld-, Energie- und eigentlich „Allesverschwendung“. Deshalb haben wir all das Überflüssige jetzt ENDLICH hinter uns.
Doch viele Menschen freuen sich darüber und wollen gerne an dem letzten Tag des Jahres nach draußen feiern gehen. Einer der beliebteren Orte ist in diesem Zusammenhang das Brandenburger Tor in Berlin. Die Festmeile erstreckt sich über die Straße des 17. Juni bis hin zur Siegessäule. Live-Bands, DJs, der berühmte Countdown und die gigantische Feuerwerksshow...
Dieses Jahr gab es allerdings manche Neuigkeiten wie die sogenannte Schutzzone und Anlaufstelle für Frauen, die Opfer eines Sexualdeliktes wurden. Laut Angaben der Zeitungen sollte diese Zone eine Reaktion auf die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht 2015 sein, wo es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen kam. „Das ist einfach ein Zelt, in das Frauen gehen können, die sich belästigt fühlen“, erklärte Anja Marx, Sprecherin der Silvester in Berlin GmbH, in einem Gespräch mit der Tageszeitung WELT. In diesem Zelt stehe während der gesamten Silvesterparty eine Handvoll Kriseninterventionsspezialisten des Roten Kreuzes für die Frauen bereit. Die Idee dazu sei von der Berliner Polizei gekommen. Bei mehreren Sicherheitsbesprechungen habe man sich auf ein solches Konzept verständigt. Wer auf der Festmeile von aggressiven Fremden belästigt oder gar körperlich bedrängt wird, solle diese Personen sofort und eindeutig abweisen und andere Besucher lautstark um Hilfe bitten, heißt es außerdem in einer Mitteilung der Silvester in Berlin.
Kurz nach der Bekanntgebung ist diese „Maßnahme“ selbstverständlich auf Kritik gestoßen und wurde beispielsweise von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) kritisiert. Die Einrichtung einer solchen Zone sende "eine verheerende Botschaft", erklärte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstagausgabe) betonte er: "Damit sagt man, dass es Zonen der Sicherheit und Zonen der Unsicherheit gibt." Das sei "das Ende von Gleichberechtigung, Freizügigkeit und Selbstbestimmtheit".
Um die potenzielle Beeinflussung zu vermeiden, habe ich die anderen Nachrichten zu dem Thema nicht gelesen. Darüber habe ich nämlich selbst nachgedacht und mich bei meinen Freundinnen beraten. Das Fragewort, das ich meistens gebraucht habe, war „seltsamerweise“ nicht „warum“, sondern „was“. „Was sind die Ergebnisse so einer Entscheidung?“, „Was passiert, wenn...“, usw. Deshalb muss ich sagen, dass ich mich als ein Mann sehr geschämt habe, so oft ich die Fragen mit „warum“ gestellt habe. Doch gerade sitze ich ja nicht auf einem Beichtstuhl und solche Sündenbekenntnisse bringen nichts. Aus diesem Grund schweige ich lieber und mache weiter mit der Bedeutung und Einwirkung dieser neuen Einführung.
Zunächst einmal geht es hier um Bevormundung. Die Frauen werden mit dem Diskurs des Patriarchalismus zu „unseren Frauen“. Sie sind also ein Schutzobjekt und brauchen die Fürsorge, während eine Maßnahme gegen die Täter überhaupt nicht in Frage kommt. Das ist jedoch ein Gegensatz zu dem „Freie-Frau-Image“ und passiviert die Frauen, da sie angeblich immer eine Begleitung oder Hilfe benötigen. Und es sei denn, sie brauchen wirklich solche Hilfe, frage ich mich tatsächlich, wie sie die „Schutzzone“ in dieser großen Menschenmenge erreichen könnten und wie sie auf die eventuellen negativen Reaktionen der Menschen bzw. der Männer unterwegs reagieren würden. Es wäre in dieser Hinsicht unvorstellbar, was eine Frau tun könnte, nachdem sie zum Beispiel jemanden nach dem Weg zur „Schutzzone“ fragen würde und dann sprachlich nochmal beleidigt würde.
Hinzu kommt, dass das dazu führen kann, neue unerwünschte Gedanken zur Sicherheit gepflanzt zu haben. Wie der Vorsitzende der DPolG habe ich selbst gleich daran gedacht, dass man da nicht sicher sein kann, solange es eine „Schutzzone“ gibt. Ist die andere Zone also nicht geschützt? Müssen die Frauen immer aufmerksam sein? Es ist deswegen sehr schwer, die Menschen, genauer gesagt die Frauen, zu überzeugen. Obwohl sie vielleicht im Voraus keine solchen Gedanken haben, ist es unvermeidbar, sich nach der Bekanntgebung keine Sorgen zu machen, da der Ort offiziell als gefährlich bezeichnet wird.
Neben dem Zweifel an der Sicherheit wird außerdem der Rassismus geschürt. Besonders dass man diese „Schutzzone“ mit der Kölner Silvesternacht verbindet hat, zeigt uns eigentlich, dass die Maßnahme hauptsächlich wegen der potenziellen ausländischen Täter getroffen wurde. Von den TeilnehmerInnen her kann das auch als ein Auslöser für Vorurteile wirken und verursachen, dass die Männer mit südlichem Aussehen als eventueller „Grabscher“ betrachtet werden.
Abschließend ist es objektiv gesehen ganz klar, dass so eine Vorkehrung ein Zeichen dafür ist, dass die einfachere Option gewählt wurde. Die Frage ist doch, ob es überhaupt eine andere Chance für Frauen gibt, wo sie kein Ziel einer neuen Anweisung sind, obwohl sie eigentlich die Opfer sind. Deswegen hoffe ich, dass den Frauen eines Tages eine andere Möglichkeit bleibt, als zum Silvesterabend zu Hause zu bleiben und „Dinner For One“ zu gucken, wenn sie sich nicht zu solchen schutzbedürftigen Objekten mit Vorurteilen degradieren lassen wollen.