Über die Entmutigung einer Generation
"Haben wir wirklich keine Ideale mehr?" fragt sich Frauqui und setzt sich mit einer Artikelserie in DIE Zeit und mit dem Pessimismus einer ganzen Generation auseinander, der sich auch im EFD niederschlägt.
"Was ist los mit der Jugend von heute?", fragt DIE ZEIT in einer Reihe von Artikeln in der letzten Woche (zum Beispiel "Die neuen Internationalisten" von Rudolf Nowotny). Von "traurigen Strebern" und der "Entmutigung einer Generation" ist dort die Rede. Selbst soziales Engagement wird anthrazitfarben gemalt, "Weltwärts" und der Europäische Freiwilligendienst funktionieren als Karrieresprungbrett für geizige Abiturienten, denen noch ein paar Zeilen in ihrem Lebenslauf fehlen. Egoismus unter dem Deckmantel der Selbstlosigkeit wird uns vorgeworfen, die wir an chronischem Fernweh leiden und in solchen Programmen eine Chance sehen, den Horizont zu erweitern.
Stereotyp eines, beziehungsweise vielmehr einer Freiwilligen dieser Regierungsprogramme: Abiturientin, weiblich, 19 Jahre alt, laut DIE ZEIT etwa 70%. Politische Orientierung: Mitte-links,
Zielländer: England, Frankreich und Spanien (wegen der Sprachen).
Egoistische Motive wurden mir tatsächlich vorgeworfen, das heißt eher vorgelegt, als ich ein Freiwilligentreffen besuchte. Es ging um die Gründe für die Bewerbung beim EFD (Europäischen Freiwilligendienst, auch EVS, European Voluntary Service genannt). Dem Klischee entsprechend saßen wir in einer Runde mit neun Mädchen und drei Jungen, bis auf einen alle Abiturienten und -innen zwischen 18 und 22.
Wie aus einem Urlaubsprospekt hatte sich der Großteil bereits ein Zielland rausgepickt, wenn auch die wenigsten schon konkrete Vorstellungen von dem hatten, was sie dort tun wollten. Vor 20 Jahren sei eine solche Vorstellungsrunde noch anders abgelaufen, dozierte Ralf Bornstedt, Koordinator des Programmes im Kreis Steinfurt im Münsterland. Antworten wie "Ich will was tun für die Immigranten in Spanien", oder "Das Problem der Straßenhunde in Griechenland geht mir sehr nahe und ich möchte helfen", sind heutzutage eher die Ausnahme. Viel öfter dagegen sind die Motive tatsächlich die Spekulation auf Vorteile im späteren Berufsleben, Verbesserung der Sprachkenntnisse für eine internationale Karriere und ein kostenloses Auslandsjahr mit anderen Jugendlichen aus der ganzen Welt, eine unbeschwerte Zeit bevor der Ernst des Lebens beginnt.
Jens Jessen, Autor des Artikels "Die traurigen Streber", macht den von ihm beschriebenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen - ob ihrer von ihm langatmig ausgeführten Angepasstheit an den Kapitalismus - keinen Vorwurf. Angesichts der heutigen Arbeitslosenzahlen sei dies nur allzu verständlich, so Jessen. Darüber hinaus sei uns praktisch mit der Muttermilch der Pessimismus eingeflößt worden, demzufolge uns nur bedingungslose Kapitulation im Krieg auf dem Arbeitsmarkt nach vorne bringen: "Die gesellschaftliche Großdebatte um Globalisierung und verschärfte Konkurrenz, um Standort und Wettbewerbsfähigkeit ist tief bis in die Psyche vorgedrungen, man könnte auch sagen, sie ist dort eingeschlagen wie ein Meteor und hat einen Krater hinterlassen, in dem alles Leichte und Hoffnungsvolle, alle Fantasie und alles Aufbegehren verschwunden sind."
Metaphorische Darstellung einer Jugend ohne Charakter, die ihren Lehrern die Schuhe lecken und darüber das Rebellieren verlernt haben. Sicher, die Darstellung ist empörend, wir würden uns dem System unterwerfen und wie seine Sklaven, ohne nach links und rechts zu sehen, einen längst schon ausgetretenen Weg entlanghetzen auf dem Weg zum Erfolg. Das können wir uns nicht gefallen lassen, das stimmt alles gar nicht... Oder doch?
Sind wir nicht die "Generation Praktikum", die alles akribisch plant? Die weiß, was sie erreichen will, aber dabei auf dem Teppich ihrer Möglichkeiten bleibt? Schrecken uns das große rote A und die Aussicht auf Hartz IV tatsächlich so sehr ab, dass wir keine Ideale mehr haben, sondern um jeden Preis den Aufstieg schaffen wollen, selbst wenn wir dabei unsere Identität verlieren? Sind Werte wichtiger als soziale Absicherung?
Aber ist es nicht auch seltsam, dass, wenn wir endlich mal Ruhe geben, eine Revolution gefordert wird? Für welche Ideale sollen wir laut der linken DIE ZEIT einstehen? Unsere Eltern waren 68 zu jung, um nun aus uns kleine Revoluzzer zu züchten. Aber das bedeutet nicht, dass wir keine eigene Meinung haben.
Unkritisch, das seien wir nicht, bescheinigt uns der Autor, aber desillusioniert, ohne Glauben an eine bessere Welt. Darum suchten wir statt der Konfrontation mit dem aktuellen System eine Möglichkeit, in ihm zu bestehen und das Beste aus dem zu machen, was wir haben.
Ist das die Erklärung? Sind wir alle Apokalyptiker und wählen den einfachsten Weg? Haben uns neue Medien und das immer schnellere Voranschreiten der Welt träge gemacht, weil wir wissen, dass wir sowieso nicht mehr mitkommen?
Vielleicht haben wir ja auf diese Weise ganz gute Chancen. Wer nach oben will und auf diese Weise Erfolg hat, wird sich erst einmal nicht beschweren. Außerdem wird in Jessens Artikel mit Sicherheit nicht die Gesamtheit der Jugend in Deutschland beschrieben.
Evelyn Finger, ebenfalls DIE ZEIT-Redakteurin, findet, dass Rebellion heute eben schwieriger geworden ist. Jungs mit langen Haaren erregen längst keinen Anstoß mehr, der neue Feminismus nimmt kein Blatt vor den Mund. Sex, Drugs und Gewalt gehören so selbstverständlich zum täglichen Fernsehbild wie die Tagesschau. Längst ist es unter Jugendlichen ganz normal, mehr Löcher als die in der Nase im Gesicht zu haben und am Wochenende am Bahnhof Bier zu trinken.
Manch ein Erwachsener mag sich dran stören, aber selbst Konservativste würden dabei wohl nicht von Rebellion sprechen. Ökojugend, Discojugend, längst hat jede Gruppe ihre Nische gefunden, die Gesellschaft hat sich dran gewöhnt und aus Aufstand ist Alltag geworden. Mit einer Sicherheitsnadel in der Backe kann man höchstens noch die Eltern provozieren. Und aus der Schicht, vor der die Streber Angst haben, bildet sich, so Evelyn Finger, ein neuer Verliererstolz, der seinen Ausdruck in der Rapmusik findet. "Soziale Verlierer" werden angesprochen, wer von der Straße kommt hat den Respekt gepachtet, der Vorstrafenregister ersetzt den Lebenslauf. Solche Jugendlichen will die Regierung mit "Weltwärts" und EVS ansprechen. Und schickt Jahr für Jahr Abiturientinnen ins Ausland.
So haben wir doch eigentlich alle unseren Platz gefunden. Und ein Artikel wie der von Jens Jessen bringt uns schon lange nicht mehr auf die Barrikaden. "Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein", sagte einmal Albert Einstein. Mäh!
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