Tramp doch mal Europa!
Warum Trampen eine super Sache ist.
Ein heißer Julitag. Es ist 17 Uhr. Die Temperaturen betragen an die 40 Grad. Skeptische Blicke beäugen unsere schweißnassen Gesichter, die unser Pappschild volltropfen und unsere staubigen Rucksäcke haben ihren Platz neben Öl und Scheibenwischerflüssigkeit gefunden. Bereits seit 8 Stunden harren wir hier aus. Kommen nicht weg. Die gute Laune und Hoffnung haben sich irgendwo ins tiefste Innere unseres Körpers verkrochen. Ein leichtes Stirnrunzeln zeichnet sich ab. Würde jetzt noch ein Heuballen durchs Bild wehen, könnte man meinen wir befinden uns im wilden Westen, aber nein viel mehr an einer Tankstelle irgendwo am Stadtrand von Thessaloniki, im Norden von Griechenland, wo meine Freundin und ich versuchen zurück nach Berlin zu trampen. Der Gedanke an ein klimatisiertes Flugzeug oder einen gemütlichen Zug ist jetzt tatsächlich verlockend. Warum sollte man sich diesen Wahnsinn trotzdem antun? Gut, dass ihr fragt!
Europa zu bereisen ist in den letzten Jahren immer einfacher geworden, zu verlockend die niedrigen Flugpreise der Billigairlines. Als letztes Jahr ein Streik der Ryanair-Mitarbeiter*innen meinen Flug nach Spanien verhinderte, schnappte ich mir kurzerhand ein Pappschild und trampte die Strecke stattdessen. Auch aus Solidarität. Wer zahlt den Preis der günstigen Flugpreise? Schlecht bezahlte und überarbeitete Mitarbeiter*innen und die Umwelt. Nun ist Trampen sicher nicht der komfortabelste, einfachste oder gar schnellste Weg voranzukommen, aber die Idee in ein Auto einzusteigen, dass sowieso in die gleiche Richtung fährt und nicht voll besetzt ist, ist für mich in Zeiten des Klimawandels ein wichtiges Zeichen für Umdenken. Und wir müssen umdenken. Jetzt beginnend, zukünftig und gemeinsam. Die Zahl der Autos steigt stetig und schaut man sich um, sind die Meisten davon (vor allem in Deutschland) mit nur einer einer Person besetzt. Häufig lachen Leute mich aus und sagen „Ach was, Tramper gibt es noch?“ Ich frage mich dann immer wie lange wir noch alle über den Klimawandel reden, uns durchaus über die Folgen bewusst sind, aber dennoch nicht im Geringsten bereit sind auch nur ein kleines bisschen von unserem Luxus und Wohlstand aufzugeben. Fahrzeuge gemeinsam zu nutzen ist ein kleiner Anfang. Vorhandene Kapazitäten besser nutzen, Treibhausgase sparen und dabei noch umsonst in den Urlaub kommen!
Doch Umweltschutz ist nicht der einzige Grund, der mich immer wieder davon überzeugt mich mit Daumen nach oben an die Straßen dieser Länder zu stellen. Der Moment, in dem jemand einen mitnimmt und die Tür zu seinem Auto oder LKW öffnet, ist ein Moment des gegenseitigen Vertrauens. In Zeiten von Abgrenzung und Misstrauen für mich ein Zeichen von Menschlichkeit. Der Moment, in dem ich in ein Auto einsteige, zeigt: Ich vertraue dir und du vertraust mir. Dabei spielt es selten eine Rolle, ob man irgendeine Sprache gemeinsam hat, die gleichen Weltansichten teilt, wie viel man verdient, welchen Bildungsstatus man hat oder ob bzw. welcher Religion man angehört. Man begibt sich aus seiner gewohnten sozialen Blase heraus und teilt für kürzere oder längere Momente an einem sehr intimen Ort das Leben mit vollkommen fremden Menschen. Das ist immer auch eine Überwindung, aber ein sehr bereichernder Blick über den persönlichen Tellerrand.
Leider werde ich immer wieder gefragt, ob es denn für mich „als Frau“ nicht gefährlich wäre zu trampen. Ich wüsste nicht, wieso es gefährlicher sein sollte als das Leben sonst. Ja, man wird ab und an angemacht und bekommt dumme Sprüche zu hören, aber das ist leider auch außerhalb des Trampens die sexisitische Realität unserer Gesellschaft. Doch die Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Wärme, die einem die Menschen die allermeiste Zeit entgegenbringen, die einen mitnehmen, wiegt für mich viel mehr auf als eine konstruierte, für mich nicht nachvollziehbare Gefahr.
Das Vertrauen in die Menschheit zurückzugewinnen ist ein unbeschreibliches Gefühl und öffnet einen für besondere Begegnungen. Ein weiterer überzeugender Punkt beim Trampen ist für mich, seine Komfortzone zu verlassen und sich planlos seinem Schicksal hinzugeben. Wenn man in der Hitze warten muss oder es plötzlich anfängt zu regnen, ist das natürlich nicht angenehm. Ebenso wenig sind Autobahnraststätten normalerweise meine favorisierten Aufenthaltsorte. Doch wenn man freundlich angelächelt wird und jemand einem eine kühle Cola entgegen hält, nachdem man gerade 20 mal ein „Nein“ von Menschen gehört hat, durchströmt einen in jeder Faser des Körpers unendliche Dankbarkeit, die im Stande zu fühlen man sonst nie gewesen wäre. So habe ich einerseits stundenlang an hässlichen Tankstellen herumgestanden und viel Ablehnung erfahren, aber andererseits immer -wirklich immer- am Ende jemanden gefunden, der mich weiter mitgenommen hat auf meinem Weg. Oft wurde ich zum Essen eingeladen, habe mir die Lebensgeschichten angehört, mit Familienmitgliedern telefoniert, habe Obst und Süßigkeiten geteilt, neue Musik entdeckt und viel gelacht. Dabei nie zu wissen, ob man die nächsten 10 oder 100 km mitgenommen wird, ob man 10 Minuten oder 10 Stunden wartet, gibt einem eine Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen wie sie sind und lässt Raum für Dinge, die so im durchgetakteten Alltag nie passieren könnten.
Zu guter Letzt das Wichtigste: man lernt Menschen kennen, mit denen man weder im Alltag noch auf Reisen jemals in Kontakt kommen würde. Es ist ein kleiner, feiner Moment den man an einem sehr intimen Ort, dem Auto der Mitnehmenden, teilt. Seine Blase zu verlassen und nicht auf den üblichen Pfaden zu wandeln, erweitert die Grenzen seines eigenen Horizonts. Wie viele Menschen wohl tagtäglich all unsere Güter mit LKW s über die Straßen fahren? So viele Trucker haben sich über Gesellschaft gefreut, mir Dosenbier geschenkt oder sogar für mich gekocht. Ich wäre ihnen wohl sonst nie begegnet und hätte die Chance verpasst, einen kleinen Einblick in ihr Leben zu erhalten.
Trampen ist abenteuerlich, umweltschonend, voller Überraschungen und toller Begegnungen mit Menschen aus der ganzen Welt. Probiert es aus und ihr werdet sehen, dass es sich lohnt! Eine hilfreiche Plattform dazu ist Hitchwiki, die günstige Startpunkte zum Trampen sammelt und von jede/r/m Tramper*in erweitert werden kann.