Stille in der Weihnachtshauptstadt: Straßburg nach dem Terror
Nach dem Terroranschlag auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt am Dienstagabend ist eine ganze Stadt in Schockstarre. Wie es nach dem Terror weitergeht.
Wo sich sonst tausende Menschen zwischen Glühwein und gebrannten Mandeln tummeln, ist es heute gespenstig ruhig. Die Buden eines der ältesten Weihnachtsmärkte Europas sind verriegelt, anstatt der Touristen patrouillieren Soldaten in der Innenstadt. Dazwischen wabert eine unerträgliche Schwere aus Angst gemischt mit Wut und dem erschreckenden Gefühl der Machtlosigkeit.
Es ist der Tag nach dem Terror. Am Dienstagabend eröffnet der Islamist Chérif Chekatt das Feuer mitten auf dem gut besuchten Weihnachtsmarkt und verletzte mehrere Passanten*innen mit einem Messer. Durch das Attentat sterben vier Menschen. Elf weitere Menschen werden verletzt. Mittlerweile hat sich die Zahl der Todesopfer auf fünf Personnen erhöht. Nach der Tat flüchtet Chekatt in den südöstlich gelegenen Stadtteil Neudorf, wo er sich bis Donnerstagabend versteckt hält, bis er schließlich von der Polizei erschossen wird. Es ist ein weiterer islamistisch motivierter Anschlag in Frankreich, ein weiterer Anschlag auf unsere Werte und Lebensweise, ein weiterer Anschlag, der sich gegen ein friedliches Zusammenleben richtet.
Terror in der eigenen Stadt
Was an diesem Abend in der historischen Altstadt passiert, ist kaum in Worte zu fassen. Zum Tatzeitpunkt sitze ich nicht wissend in meiner Wohnung nahe des Europaviertels und ein gutes Stück von der Innenstadt entfernt und schaue gerade einen Film. Plötzlich erhalte ich gleich drei SMS „Geht es dir gut?“ und kurz darauf noch zwei verpasste Anrufe. Erst da realisiere ich, dass etwas passiert sein muss. Den ganzen Abend sitze ich vor dem Computer und versuche die Ereignisse in meinen Kopf zu bekommen. Und plötzlich steigt es hoch dieses Gefühl der Angst, das der Terror plötzlich nicht mehr weit weg auf den Bildschirmen passiert, sondern direkt vor der eigenen Haustüre. Die Regierung hat eine Ausgangssperre verhängt, Bewohner*innen sollen in ihren Häusern bleiben. Die Innenstadt bleibt bis in die späten Abendstunden abgeriegelt und die Grenze zur deutschen Grenzstadt Kehl werden geschlossen. Es gilt die höchste Terrorwarnstufe.
Auch wenn ich zum Tatzeitpunkt nicht unmittelbar vor Ort bin, erschüttert mich das Attentat zutiefst. Die ganze Nacht höre ich die Helikopter kreisen und sehe die Grand Rue und den Place Kleber vor mir – Orte an denen ich schon so oft gewesen bin und die jetzt Tat-Orte sind, an denen Menschen ihr Leben gelassen haben. Diese Willkür des Schicksals, die Erkenntnis, dass jeder hätte dort sein können an diesem Abend, ist unerträglich. Zugleich versuche ich, die Geschehnisse online so gut es geht mitzuverfolgen. Dabei stoße ich gerade auf twitter immer wieder auf User, die wild spekulieren oder das Geschehene für Hetze und politische Zwecke instrumentalisieren. Andere posten Katzenbilder, angeblich um den Spekulationen entgegenzuwirken. Nach einem Terrorakt ist es gerade diese mediale Ausschlachtung das letzte, was den Menschen vor Ort helfen kann, und in höchstem Maße unangebracht.
Der Tag nach dem Anschlag
Am Morgen danach ist Straßburg paralysiert. Auf dem Weg zur Arbeit schaue ich mich immer wieder um, hinter jeder Winterjacke sehe ich ein Gewehr. Vielleicht ist er noch hier, hält sich irgendwo versteckt? Zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand, dass Chekatt tatsächlich in einem Lagerhaus im Stadtteil Neudorf ausharrt. Auf der Arbeit wird davon abgeraten in Gruppen vor dem Gebäude zu stehen, die Weihnachtsfeierlichkeiten werden abgesagt und wir halten eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer. Einige Kolleginnen müssen ihre Kinder mit zur Arbeit bringen, weil viele Schulen geschlossen bleiben. Andere kommen zu spät, weil sie die ganze Nacht in einer Bar festsaßen und nicht nach Hause konnten: eingebunkert in Kellern, in Theatern und Kinos, in Sorge um Freunde und Verwandte und in Trauer über die Gewalt in der eigenen Stadt. Wieder andere waren zur Zeit des Attentats in der Stadt, haben die Schüsse gehört, die sind mit den Menschenmassen in Panik aus der Stadt geflohen und haben sich selbst gerade so nach Hause retten können.
Ein Alltag nach dem Terror
Es wird viel geredet über den Terror, bedrückend und schwer lastet die Tat auf allen von uns. Und doch ist da der Alltag, der uns ablenkt und der sich nach all dem gleichzeitig so falsch anfühlt. Als ich am Abend durch die menschenleere Stadt fahre, ist mir mulmig zu mute. Ich muss mich überwinden aufs Fahrrad zu steigen und am Ort des Geschehens der Realität der Tat ins Auge zu sehen und zugleich weiß ich, dass ich dieses mulmige Gefühl nicht haben darf, dass es falsch ist sich jetzt zu verstecken und einzuschränken, denn genau das will der Terror. Ab Freitag ist der Weihnachtsmarkt in der Innenstadt wieder geöffnet und bringt damit nicht nur ein Stück Normalität, sondern auch ein Stück Freiheit zurück in die Weihnachtshauptstadt.
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