Stadt, Land, China - Geplante Urbanisierung?
Mit einer ehrgeizigen Umstrukturierung versucht die chinesische Regierung das Land von der massenhaften Billigproduktion zu einem ökonomischen Global Player zu entwickeln. Bleiben da die Menschen auf der Strecke?
Wer die Zahlen liest, erschrickt zunächst an den gewaltigen Dimensionen, in denen Peking plant: Von 2014 bis 2020, in also sieben Jahren, sollen 100 Millionen Bauern zu Stadtbewohnern werden. Doch wie soll das gehen, wenn chinesische Städte schon heute völlig überfüllt werden? Also kommen die Städte aufs Land: Um Einkaufszentren, Hochhäuser und Infrastruktur zu bauen werden in großem Maße Grundstücke beschlagnahmt, so kommt es zu einer breiten Schicht an landloser Bauern.
Diese müssen sich mit ihrem neuen Leben abfinden: Nach einer Vorwarnung müssen die Grundstücke innerhalb von zwei Wochen geräumt werden und die ganze Familie wird in ein Hochhaus umgesiedelt – Teilweise kommen ganze Dörfer in ein Hochhaus!
Diese Umstrukturierung ist genaustens geplant: In einem 30 Kapitel umfassenden Nationalplan ist die geplante Urbanisierung detailreich beschrieben. China reagiert damit auf einen gesellschaftlichen Trend, den der Landflucht seit den 1980er Jahren. Welche Motivation begründet aber dieses harte Eingreifen in die ohnehin fortschreitende Urbanisierung? Die Regierung möchte so weite Teile der Bevölkerung in die technische Entwicklung Chinas einbinden, es soll allgemein breiter Wohlstand geschaffen werden und das Land mit einer so stark wachsen Wirtschaftsmacht zu einem der einflussreichsten Staaten der Erde machen.
Während in den 80er Jahren noch 80% der chinesischen Arbeiterschaft in kleinen, landwirtschaftlichen Betreiben arbeitete, sind es 2016 nur noch 46%. Und bis 2030 sollen dann 70-80% der Chinesen in Städten wohnen – Damit wäre China noch viel stärker urbanisiert im Gegensatz zu westlichen Staaten wie Deutschland oder den USA. Das Erfolgsrezept soll dabei in Ballungszentren liegen: Riesige Städte wie beispielsweise Peking sollen durch ihr Umland zu gut vernetzten, ökonomischen Zentren werden. Die Nachbarstädte werden ausgebaut, attraktive Arbeitsplätze geschaffen und Hochgeschwindigkeitszüge verbinden zwischen dem Stadtzentrum und dem wachenden Industriegebiet- In dieser Mega-Region sollen circa 130 Millionen Menschen einmal leben.
Aber hinter dieser zügig vorangetrieben Entwicklung des Landes stehen Menschen – Menschen, die aus ihrem Lebensalltag entrissen, wie mit einer Zeitmaschine in die Moderne geschleudert werden: Die neuen Hochhäuser sind technisch auf dem neusten Stand, ökologisch effizient und elektrisch geheizt, eine große Umstellung für die Bauern, die ihr Leben lang mit Holzöfen ihre Häuser beheizt haben. Problematisch ist es, dass viele Bauern ungeschult sind, keine Ausbildungen oder Qualifikationen besitzen und so nur schwer in den moderne, städtischen Arbeitsalltag zu integrieren sind. So arbeiten sie meist in körperlichen Berufen, bauen die Städte mit auf, aber diese Arbeitskräfte werden nur im Prozess der Urbanisierung benötigt, nachhaltige Integration scheitert.
Manche Bauern schafften es durch gute Beziehungen, parteiliche Aktivitäten oder Unternehmergeist aus der Entwicklung Kapital zu schlagen, bauten ihre Wohnungen in Restaurants oder Massage-Studios um und gehören nun zu einer neuen Bourgeoisie – Und so bewegt sich das Leben in den neuentstandenen Städten zwischen den Extremen.
Die geplante Urbanisierung Chinas verschärft viele Problematiken: Die soziale Spaltung, die Umstrukturierung des Arbeitsmarkts und ein damit ein wachsendes städtisches Proletariat, die immer knapper werdende Lebensmittelversorgung... Ökonomische Transition verlang einer Gesellschaft viel ab, die soziale Bindekraft und die ideologische Einbettung in China könnten dies auffangen, sind damit aber herausgefordert.
Nach einem Fotoessay von Justin Jin in der Zeit: zeit.de/2017/53/china-wachstum-wohlstand-umsiedlung-bauern-hochhaeuser