Sprachenschock ist wie Passivrauchen
Nach 9 Monaten wieder kurzzeitig in Deutschland
Drei Wochen vor meiner endgültigen Rückkehr nach Deutschland habe ich fünf Tage in Brandenburg bei einer Ausbildung verbracht. Wie sich das ergeben hat? Meine Organisation hat mir die Ausbildung zum Sprachanimateur angeboten und ich dachte, sie wäre wie letztes Jahr in der Bretagne. Nachdem ich dann zugesagt hatte, las ich auf dem Zettel den Ort der Veranstaltung und konnte nicht fassen, dass es in Deutschland war. Hätte mir vorher jemand gesagt, dass ich nach neun Monaten ununterbrochenen Frankreichaufenthalt nach Deutschland gehen sollte, um dann wieder zurückzukehren und einige Wochen später wieder, aber endgültig, nach Deutschland zu gehen, ich hätte selbst darüber gelacht. Aber so habe ich es als Chance gesehen und es war eindeutig eine, auch wenn es am Anfang unerträglich war. Es hat mich sozusagen auf meine richtige Rückkehr vorbereitet und ich hoffe, dass der Kulturschock nun nicht so krass sein wird.
Aber nun zum Schock:
Ja, in Frankreich gibt es im Vergleich zu anderen Nationalitäten sehr viele Deutsche und so habe ich ab und zu schon mal deutsch gehört, aber halt nur von einzelnen Personen. Jedes Mal, wenn ich jemanden Deutsch reden hörte, drehte ich mich um, und entdeckte diese eine Besonderheit. Als ich in Berlin dann am Bahnhof ankam, bemerkte ich natürlich auch die Deutschsprechenden, erst eins, zwei, dann drei ... und es hörte gar nicht mehr auf. Alle um mich herum sprachen auf einmal meine Muttersprache! So klar es doch ist, da ich in meinem Land war, war es doch so schrecklich! Ich war nichts mehr besonderes mehr (kleiner Scherz). Es war so anstrengend, dass ich irgendwie gezwungen war, hinzuhören und aktiv zuzuhören. Wenn alle um mich herum Französisch sprechen, genieße ich den Klang der Sprache, aber höre eher passiv zu. Wenn sich zwei mir Fremde unterhalten, höre ich passiv zu, catche einige mir nicht bekannte Vokabeln auf und mache mir Gedanken über deren Bedeutungen. Und wenn ich keine Lust oder Konzentration habe, lasse ich sie einfach reden, ohne hinzuhören und ohne zu verstehen. Doch auf Deutsch verstehe ich automatisch alles und bekomme somit all die Gespräche zum Beispiel meiner Nachbarn im Zug mit. Doch was interessiert mich das Gespräch? Das ist so wie Passivrauchen, man kann sich gar nicht entziehen. Meine Entzugsmethode war, mir Kopfhörer in die Ohren zu stecken und französische Musik zu hören.
Bei dem Seminar sprach ich zunächst nur Französisch, ich bin mit einer Person meiner französischen Organisation gereist, mit der ich immer Französisch gesprochen habe, auch wenn sie Deutsch kann. Es war eine deutsch-französische Ausbildung mit deutschen und französischen Teilnehmern. Die Hauptsprache war Französisch, da das Niveau aller in Französisch besser war. Aber oft wurde auch übersetzt. Doch mir viel es ungemein schwer, die Sprache zu wechseln. Ich hatte keine Probleme, etwas zu verstehen, aber das Sprechen auf Deutsch wollte mir einfach nicht über die Lippen kommen. Bei der abendlichen Tagesauswertung habe ich mich immer zu den drei französischen Jungs gesellt, um nicht zu der deutschsprechenden Gruppe zu müssen.
Zur Verdeutlichung ein AHA-Erlebnis: Wir waren in einer Jugendherberge mit anderen deutschen Kinder- und Jugendgruppen untergebracht. Im gemeinsamen Speisesaal wollte mir an einem Automaten Wasser holen, doch vier Jungs standen davor. Ich fragte sie freundlich, ob ich bitte Wasser zapfen könnte. Ich wartete ab, doch sie reagierten nicht, sie schauten sich nur gegenseitig an. Ich dachte mir, wie unfreundlich Kinder von heute seien und bin zwischen sie gegangen, um an mein gewünschtes Wasser zu gelangen. Auf dem Rückweg habe ich realisiert, dass ich sie auf Französisch gefragt habe und sie mich folglich nicht verstehen konnten. Da wurde mir schon ganz anders: In meinem eigenen Land kann ich noch nicht mal mehr gleiche Muttersprachler ansprechen? Aber es war ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass ich wirklich auf Französisch denke und die Sprache mittlerweile sehr gut beherrsche. Auch alle kleinen Höflichkeitsworte wie Danke und Hallo habe ich zu allen automatisch auf Französisch gesagt, egal zu wem.
Sprachanimation, was ist das überhaupt? Sprachanimation hat das Ziel, jemandem eine Fremdsprache näherzubringen und sich dabei selbst bewusster über die eigene Sprache zu werden. Mit zahlreichen Spielen wird die Angst vorm Sprechen in einer Fremdsprache und dem Fehlermachen abgebaut. Im ersten Schritt eines interkulturellen Austausches steht der Hemmungsabbau, dann Spracherwerb und zuletzt die Systematisierung, d.H. das Vertiefen der bereits gelernten Vokabeln. Zu diesen drei Phasen haben wir uns in bilingualen Tandems jeweils drei Spiele ausgedacht, vorbereitet und schließlich mit der Gruppe durchgeführt und ausgewertet.
Alleine in diesen fünf Tagen habe ich so viele interessante, neue Wörter gelernt, die ich niemals in Wochen, gar Monaten in einem Französischkurs gelernt habe. So sind wir bei einer Übung in Tandems durch die Umgebung gelaufen und haben uns Objekte ausgesucht und mit einem Post-It die französische und deutsche Bedeutung drangeklebt. Diese Zettel blieben all die Tage im Seminarraum kleben, damit sie sich gut einprägen. So habe ich gelernt, dass Dachfenster auf Französisch «Vasistdas» heißt und wie die deutsche Frage "Was ist das?" klingt. Ich war so erstaunt, aber es ist wirklich wahr. Es gibt mehrere Vermutungen zur Herkunft des Begriffes. Eine davon ist, dass beim Einzug Napoleons die Deutschen beim Anblick der vielen Soldaten aus ihren Dachfenstern fassungslos "Was ist das?" ausriefen. Ein Hoch auf informale Bildung!
Es war auch sehr komisch, an meiner Stadt in Deutschland nur knapp vorbeizufahren. Jetzt bin ich sowas von froh, wieder in Frankreich zu sein und meine letzten zwei Wochen zu genießen. Ich bin dabei, alle nicht wirklich notwendigen Gegenstände, die sich in der Wohnung angesammelt haben (unglaublich, wie viel in 10 Monaten zusammenkommt), wegzugeben und all die Leute noch ein letztes Mal zu treffen. Gestern haben wir einen Ausflug mit allen fünf Niveaus der Französischkurse gemacht. Es ist erstaunlich, was für eine Verbindung ich mit den verschiedensten Leuten habe. Die meisten sind Jahre älter und stehen an einem ganz anderem Lebenspunkt als ich. Besonders in mein Herz geschlossen habe ich Menschen aus Marokko, Mexiko, Bolivien, Sri Lanka, Argentinien, Nepal und Iran. Diesen letzten gemeinsamen Tag gingen wir Arm in Arm. Das Erlernen einer Sprache verbindet!
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