Sport ist nicht politisch? Die European Games in Aserbaidschan
Vom 12. bis 28. Juni finden zum ersten Mal die European Games, die Europaspiele, in Aserbaidschan statt. Doch hinter der weltoffenen Fassade verstecken sich Menschenrechtsverletzungen und Verhaftungen von Kritikern.
Imposante Musik, spektakuläre Aufnahmen. Das Werbevideo für die Ersten European Games, ein sportliches Großereignis für europäische Staaten mit olympischem Charakter, lässt mich das Selbstbewusstsein der Nation mit jeder Faser spüren. Ich sehe die Sehenswürdigkeiten und imposanten Neubauten in Baku, die Freunde mir noch letztes Jahr stolz präsentierten. Ich erkenne den Brunnen, an dem ich selbst auch gesessen habe. Ich bin wie gebannt. Ich hatte fast verdrängt, wie perfekt sich Aserbaidschan in Videos und sozialen Netzwerken präsentieren kann: Ein moderner Staat mit glücklichen Menschen und Ölreichtum für alle. Es ist die Fassade, die Aserbaidschan am besten verkaufen kann. Zum Eurovision Songcontest 2012 in Baku hatten sie das schon mal geschafft. Ein anderes Bild darf nicht gezeichnet werden. Und kann auch kaum noch. Alle kritischen Stimmen sind bereits im Gefängnis. Blogger, Journalisten, Politiker der Opposition – sie alle wurden in den letzten Monaten verhaftet. Vor so einem internationalen Großereignis, wie Aserbaidschan es sich erhofft, lassen der Präsident und sein Sicherheitsapparat keine Abweichungen zu. Selbst die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde am 5. Juni 2015 aus dem Land gekickt. (Wahrscheinlich mochte der Präsident nicht, was die OSZE über Pressefreiheit in seinem Land zu sagen hatte.) Mit den Mitarbeitern der OSZE verlassen gefühlt die letzten Ausländer Aserbaidschan. Alle internationalen Freiwilligenprogramme wie der US-amerikanische Peace Corps oder auch der Europäische Freiwilligendienst, den ich gemacht habe, wurden schon letztes Jahr gestrichen.
Die aserbaidschanische Regierung will, so beschreibt sie es, den westlichen Einfluss auf die Jugend unterbinden. Sie will das Land nicht westlich ausrichten. Lieber nimmt sie Russland als Vorbild und ruht sich auf der von wenigen Neureichen geschaffenen Oligarchen-Diktatur aus. Und wer in Aserbaidschan noch eine Nichtregierungsorganisation finden sollte, dem empfehle ich, die Finanzen genau zu überprüfen. Es gibt keine unabhängige Organisationen mehr, auch wenn sie sich offiziell so nennen. Sie alle werden vom Staat finanziert und gelenkt oder sie mussten letztes Jahr schließen – zu einer Zeit, als Aserbaidschan den Vorsitz im Europarat, also der ältesten Organisation für die Durchsetzung von Menschenrechten in Europa. Gleichzeitig war es auch das Mitgliedsland mit den meisten politischen Gefangenen. Zur Verantwortung gezogen wurde Aserbaidschan dafür nicht. Das war die Bestätigung, die Präsident Ilham Aliyev noch brauchte. Seit seiner „Wiederwahl“ im Oktober 2013 kann ihn scheinbar keiner mehr aufhalten. Auch nicht tapfere Menschen wie Hasan Huseynli.
Es war ein kalter Wintertag Anfang 2014 als ich Hasan zum ersten Mal getroffen habe. Ein großer, fast kahler Mann mit gütigen Augen streckte mir seine Hand entgegen, sein freundliches Lächeln hieß mich sofort willkommen. Er stand mitten im Raum, der mit dem Nötigsten eingerichtet war. Neben Hasan brummte ein kleiner Elektroofen, der erfolglos versuchte, die Kälte aus dem Raum zu vertreiben. „Wir wollen den jungen Menschen hier europäische Werte vermitteln.“, sagt er und meint damit Demokratie, Bürgerrechte, aber auch interkulturelles Verständnis. Hier, das ist die Organisation Intelligent Citizens in Gandscha, der zweitgrößten Stadt Aserbaidschans. Über 40% der Einwohner sind jünger als 25; die meisten von ihnen kommen aus ländlichen Regionen in die Stadt, um an einer der drei Universitäten, verschiedensten Fachhochschulen oder anderen Bildungseinrichtungen zu studieren. Viele junge Menschen, die Träume für ihre Zukunft haben. Aber viele Jugendliche an einem Ort bedeutet oft auch ein kritisches Potenzial. Der arabische Frühling und die gescheiterte „grüne Welle“ im Nachbarland Iran wurden immer von der jungen Generation initiiert. Die Regierung in Baku ist sich dessen sicherlich bewusst. Deswegen wird in Aserbaidschan Prävention betrieben: Kritische Stimmen sollen schon in ihrer Erstehung erstickt werden. Warum sonst hätte der aserbaidschanische Verfassungsschutz (Milli Tehlukesizlik Nazirliyi, MTN) 2014, nur wenige Monate nach der Wiederwahl Aliyevs, alle Student*innen an den Unis überprüft? „Der Dekan meiner Uni hat mich angerufen“, erinnert sich Cavid* an die Überprüfung. „Er wollte wissen, warum ich zu Intelligent Citizens gehe. Ich wusste gar nicht, worum es geht. Ich war noch nie dort.“ Cavid diskutierte lange mit seinem Dekan. Der wiederum drohte dem Studenten, dass es Fotos von ihm gebe, die ihn bei einem Besuch der Organisation zeigten. „Ich war geschockt.“, erinnert der junge Mann sich. Am Ende lenkte der Dekan ein und versprach, die angeblich existierenden Fotos zu vernichten. Aber Gefallen von Funktionsträgern müssen in Aserbaidschan bezahlt werden. Manchmal ganz direkt mit Geld, manchmal – wie in Cavids Fall – persönlich. Ein paar Wochen nach dem Telefonanruf versuchten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, ihn als Informant anzuwerben. „Erst bedrohen sie dich, dann wollen sie dich erpressen. Das ist ihre Taktik.“
Die Taktik funktioniert. Immer mehr Student*innen ziehen sich zurück. Sie wissen, dass ihre Einträge auf ihren privaten Facebook-Seiten überprüft werden. Sie wissen, dass jeder Schritt beobachtet wird. Hasan stimmte das traurig. Aber er wusste, dass sie nicht mehr zu seiner Organisation kommen konnten. Nicht, wenn sie nicht ihre Zukunft dafür opfern wollten. Das war der erste Schritt, um die einzige kritische Organisation in Gandscha klein zu bekommen. Weitere folgten: Der Mietvertrag für das Büro wurde gekündigt. Hasan suchte neue Räume. Zwei Monate später gab es wieder eine Kündigung. Er fing an, von zu Hause zu arbeiten. Sein Wille war ungebrochen. Bis er verhaftet wurde wegen angeblicher Körperverletzung. Das ist die letzte Möglichkeit der Regierung: Haftstrafen wegen Gewalttaten, Steuerhinterziehung oder Drogenbesitzes. Am 14. Juli 2014 wurde Hasan Huseynli zu sechs Jahren Haft verurteilt. In meiner neuen Heimat war die letzte laute kritische Stimme verstummt. Doch die Regierung hatte die großen Sympathien der jungen Menschen für Hasan unterschätzt. Sie waren niedergeschlagen und wütend. Jeder wusste, dass Hasan keiner Fliege was zu leide tun könnte und die Verurteilung nur vorgeschoben war. Ich kann nur mutmaßen, weil ich seit Sommer 2014 nicht mehr vor Ort bin und solche Informationen nicht übers überwachte Internet zu bekommen sind. Aber der Unmut der jungen Leute kann ein Grund gewesen sein, warum Hasan im Oktober dank einer dubiosen Amnestie wieder freigelassen wurde. Vielleicht wollte die Regierung ihn auch „nur“ einschüchtern. Seine Verhaftung hatte in jedem Fall einen Preis: Seine Organisation gibt es faktisch nicht mehr.
Hasans Geschichte ist kein Einzelfall. Sie ist die Geschichte von anderen Menschenrechtlern, Bloggern, politischen und religiösen Aktivisten. Sie heißen Leyla und Intigam, Khadija und Rasul. Sie alle können - wenn sie denn wollen - die glamourösen European Games von ihren Gefängniszellen aus sehen. Sehen, wie der Präsident sich als weltoffen und sein Land als moderne Demokratie verkauft. Um Sport geht es dabei schon lange nicht mehr.
*Name geändert, der richtige Name ist der Autorin bekannt
[Anmerkung]
Dieser Beitrag erschien als erstes auf dem Blog der Menschenrechtsorganisation "Gesellschaft für bedrohte Völker": https://gfbvberlin.wordpress.com/