Sport in Irland – Hurling, die etwas andere Sportart
Hurling ist eine der beliebtesten Sportarten Irlands und hat eine sehr lange Tradition. Im Herbst finden immer die Meisterschaften im Hurling zwischen den verschiedenen Counties in Irland statt. Dieses Jahr wurde das Finale zwischen County Clare und Dublin ausgetragen. Clare gewann das Finale im zweiten Spiel.
Aus gegebenen Anlass möchte ich in meinen ersten Bericht zuerst dem Sport in Irland widmen, denn als ich in Irland ankam, fielen mir zuerst überall diese nicht übersehbaren gelb-blauen Fahnen auf. Sie waren und sind wirklich überall zu finden, egal ob an Gartenzäunen, Autos, in extra dafür frei geräumten Schaufenstern, auf den abgelegensten Grundstücken, im hintersten normalerweise einheitlich grünen Hinterland, in den Ortschaften - alles ist zur Zeit in kreativster Weise gelb und blau beflaggt. Auch den Garten meiner Gastfamilie ziert augenblicklich eine solche Fahne mit der Aufschrift „An Clare“. So begehrt waren die Fahnen wahrscheinlich selten. Ich würde die hier gerade vorherrschende Stimmung in etwa mit der vergleichen, die 2007 in Deutschland vorherrschte, als wir ganz überraschend Handballweltmeister geworden sind. Genauso muss man es sich jetzt hier vorstellen, mit einem Unterschied: Die Stimmung ist nun noch viel, viel besser.
Der Grund? Irland und besonders County Clare, in dem ich zur Zeit lebe, stecken zur Zeit im Hurling-Fieber, dem keiner, aber wirklich keiner, entgehen kann. Es gibt nur ein großes Gesprächsthema. Das Spiel. Das Finale. Erstmals seit 1997 darf County Clare wieder daran teilnehmen. Die überschäumend euphorische Begeisterung geht sogar so weit, dass in der Schule DAS Hurling-Lied einstudiert wurde, das extra für den Anlass geschrieben wurde, als Clare das letzte Mal in Finale stand. Doch damit noch lange nicht genug. Es wurde beschlossen, den Montag nach dem Hurling Finale zwischen Dublin und Clare den Schülern freizugeben, damit alle das Spiel ansehen und hinterher (hoffentlich den Sieg) feiern können. Im Austausch für diesen freien Tag muss man eben noch am 30. Juni, einem Montag (!), als letzten Tag des einheitlich geregelten Schuljahres in Irland in die gemütlichen Gemäuer der Schule gehen. Verrückt, aber wahr. In Irland werden eben andere Prioritäten gesetzt. Aber die Einheimischen genießen die Vorfreude in vollen Zügen. Plakate in Städten und Dörfern wünschen den Hurling-Spielern alles Gute und vor sämtlichen Sportläden stehen die Menschen schon vor den Öffnungszeiten in langen Schlangen an, um auch ja noch eines dieser gelb-blauen Trikots vor den Anderen zu ergattern. Der Umsatz dieser Läden ist durch den Verkauf der Fankleidung vermutlich in diesem September dreimal so hoch wie sonst, wenn das überhaupt reicht.
Doch auch Ausländer und Touristen werden ausreichend über das Spiel instruiert, wenn beispielsweise in Schuhläden nach einem kurzen Plausch sofort sehr hilfsbereit die Zeitung ausgebreitet wird und den bisher noch Ahnungslosen durch den Verkäufer in sehr leidenschaftlich irischer Art das komplette Clare-Hurlingteam vorgestellt wird, das mit seinen durchschnittlich 20/21 Jahren sehr jung ist. Dabei wird vom Schuhverkäufer natürlich stolz hervorgehoben, welche der hervorragenden Spieler hier aus der Umgebung stammen und in den hiesigen Hurling-Clubs einst ihre Laufbahn begonnen haben. So vorbereitet, wussten wir Freiwilligendienstler wenigstens, welche Personen wir während des Spieles ordentlich anfeuern müssen. Außerdem mutiert man schließlich vor lauter Begeisterung automatisch zum Fan der gelb-blauen Spieler und trägt natürlich ganz selbstverständlich die bewussten Farben während des Spiels. Darüber hinaus konnten wir Freiwilligen uns des Eindrucks nicht verwehren, dass diejenigen Personen, die es aus Versehen oder aus purem Leichtsinn wagen würden, das gegnerische Team aus Dublin in einem Pub in Clare anzufeuern, vermutlich lebenslänglich Hausverbot erteilt bekommen hätten.
Doch bevor wir Freiwilligen uns in das Getümmel stürzen und das Spiel ansehen wollten, haben wir uns erst einmal gründlich informiert, was Hurling denn eigentlich sei.
Hurling ist DIE irische Mannschaftssportart keltischen Ursprungs schlechthin. Ihr Wurzeln reichen bis in das 13. Jahrhundert v. Chr. (!) zurück, als das Spiel seine Ersterwähnung in Irlands ältesten bekannten Gesetzessystem, den Brehon Laws, fand. So wurden in diesem beispielsweise schon Schadenersatzzahlungen bei Verletzungen festgelegt, denn eines ist Hurling definitiv nicht: Ein köperloser Sport. Kein Wunder, wurde er doch auch als Nahkampftraining für einfache Männer genutzt. Körperhaftes Angreifen ist laut den Regeln gestattet, solange ein Fuß des Angreifers am Boden bleibt. Als Schutz tragen die Spieler darum diese überaus schicken Helme mit Visier. Ja, in Irland ist eben manches anders. So wird Hurling auf einem sehr großen Feld, dessen Länge zwischen 130 m und 145 m und dessen Breite zwischen 80 m und 90 m variiert, gespielt. Damit ist es größer als ein Fußballfeld und dementsprechend scheint mir die Ausdauerqualität der je 15 Spieler pro Team doch größer zu sein als beim Fußball, denn die Irländer verkünden stolz, dass Hurling die schnellste Mannschaftssportart der Welt sei. Ob das stimmt, weiß ich nicht, und öffentlich hinterfragt habe ich es lieber nicht.
Fakt ist jedoch, es ist sehr schnell und (die Fußballfans mögen mir verzeihen) deutlich attraktiver als Fußball. Dafür dauert jede der beiden Halbzeiten lediglich 35 Minuten. Am Besten bereitet man sich auf das Finale der Erwachsenen mit einer gemütlichen Tasse Tee (was sonst in Irland?) zum Junior-Hurlingfinale vor dem heimischen Fernseher vor. Dieses findet ein paar Stunden vor dem eigentlichen großen Spiel statt. Wer einen erste Blick in die fremden irischen Sportgefilde wagt, wird vermutlich erst einmal sehr verdutzt blicken, etwas irritiert sein und schließlich loslachen, denn Hurling wird mit einem unglaublich praktischen und vielseitig einsetzbaren Stock, dem Hurling, gespielt. Dieser hat die Form einer abgeflachten Steinzeitkeule. Normalerweise werfen die Spieler den kleinen ca. 110 g schweren Lederball, Sliotar genannt, in die Luft und schlagen mit dem Hurling dagegen. So weit ist noch alles in Ordnung. Wenn jedoch ein Spieler plötzlich anfängt den Ball in die Hand zu nehmen und damit lossprintet und alle anderen hinterher rennen, sieht das in unseren Augen sehr unterhaltsam und irgendwie komisch aus. Dann wird der Ball urplötzlich in die Luft geschmissen und mit dem Hurling Schläger katapultartig mit bis zu 150 km /h quer übers Spielfeld geschmettert. Was für uns eigenartig anmutet, ist aber durchaus regelkonform: Jeder Spieler darf vier Schritte mit dem Ball in der Hand laufen (oder die entsprechende Zeit). Er darf die Hand oder den Schläger nutzen, um den Ball in die Luft zu werfen, um ihn dann mit dem Schläger übers Spielfeld zu schießen. Gefangen werden darf der Ball ebenfalls mit der Hand. Doch das Aufheben des Balles vom Boden ist ausschließlich nur mit dem Schläger gestattet.
Mein Favorit der Vorwärtsbewegung mitsamt des Balles ist aber nicht das Werfen oder Dribbeln, sondern, man sehe und staune, das Balancieren des Balles auf dem Hurling. Es sieht einfach zu komisch aus, wenn ein Spieler mit dem Sliotar auf dem Schläger über das Spielfeld saust. Die andern natürlich wie immer hinterher. Dennoch lässt sich an solch großartigen Aktionen die ganze Geschicklichkeit der Spieler mit ihren Spielgeräten erkennen und verlangt uns, ebenso wie die ungeheur beeindruckende Ausdauerqualität, unseren höchsten Respekt ab, denn die Spieler sind bei höchster Konzentration ständig in Bewegung. Der Ball wird nicht wie beim Fußball von zwei oder drei Spielern umkämpft, nein, bis zu sechs oder sieben Spieler versuchen mit allen Mitteln diesen kleinen, lediglich einen Durchmesser von ca. 70 cm besitzenden Sliotar, in ihren Besitz zu bringen, um ihn dann ins Tor zu befördern. Aber nicht in irgendein Tor, das wäre ja zu einfach und langweilig. Harry-Potter-Quiddichlike muss der Ball entweder zwischen zwei sieben Meter hohen Stangen hindurch geschlagen werden, um einen Punkt für das Team zu gewinnen, oder alternativ wird mit viel Geschicklichkeit versucht, den Sliotar in den unteren, in 2,50 m Höhe abgeteilten Teil des 6,5 m breiten Tores, zu werfen. Das bringt drei wertvolle Punkte.
Der arme Torhüter kann also nur im unteren Teil des Tores ohne besondere Ausstattung oder extra Handschuhe und nur auf sich und sein Reaktionsvermögen allein gestellt versuchen, diese kleine, sich so unglaublich schnell nähernde Kanonenkugel mit seinem Körper abzubremsen und vom Tor fernzuhalten. Der Tormann tut mir so Leid. In der Schule habe ich einmal einen ziemlich scharf geschossenen Fußball unter vollem Körpereinsatz von meinem Tor erfolgreich abgehalten und das tat schon ziemlich weh. … Für mich wäre diese Position also nichts. (Hurling spielen nämlich auch die Frauen.)
So weit jedenfalls die Regeln, die wir während des Junior-Spieles kennen lernten. Dann ging es zum richtigen Finale in den Pub. Anfangs fragten wir Freiwilligen uns, wo denn die ganzen Menschen seien. Nur ca. acht Personen saßen vor ihrem Guinness, natürlich in den blau-gelben Farben gekleidet. Doch als das Spiel begann, kamen die Passanten von der Straße herein, sahen sich das Spiel an und verließen in der Halbzeitpause den Pub wieder, um ihren ursprünglichen Weg fortzusetzen. Die Stimmung war anfangs noch ruhig. Jedes eigene Tor wurde natürlich beklatscht, aber alles verlief vorerst nach Plan und selbst wir Laien erkannten, dass Clare eindeutig besser spielte (und ich sage das jetzt nicht, weil ich ein zwangsverpflichteter Fan bin.) Aber dann … Kurz vor Ende des Spiels war der Pub schlagartig von elektrisierender Stimmung erfüllt. Dublin hatte es gewagt, ein richtiges Drei-Punkte-Tor zu schießen, und dann noch eines. Von einer Sekunde auf die andere war der schon sicher geglaubte Sieg gefährdet. Es galt, nur noch wenige Minuten, nur noch die letzten Minuten durchzuhalten und den Vorsprung zuhalten.
Die Stimmung wurde lauter. Die kostenlos herumgereichten Sandwiches verharrten in der Luft auf dem Weg zum Mund. Dann in der letzten regulären Spielminute wieder ein Drei-Punkte-Tor – für Dublin. Clare lag nun urplötzlich einen Punkt im Rückstand!!!! Nachspielzeit. Zwei Minuten. Obwohl die Spieler eigentlich nicht mehr konnten, mobilisierten sie die letzten Kräfte. Da, der Ball war im Aus. Einwurf. Das alles kostete wertvolle Zeit. Angriff von Clare. Abgeblockt von Dublin. Neuer Versuch. Die Stimmung ist zum Zerreißen. Der ganze Pub ist voller schreiender Menschen. Los, nur noch wenige Meter. Der Spieler balanciert den Ball auf dem Schläger und – rennt los, den Slitoar auf dem Hurling balancierend. Immer weiter. Da der entscheidende Schlag. Der Ball fliegt durch die Luft und – und – UND TRIFFT DAS TOR IN DER BUCHSTÄBLICH LETZTEN SEKUNDE! Gleichstand! Der Pub tobt. Was für ein Finale! Was für ein Spiel! Doch es wäre nicht Irland, wenn es nicht auch jetzt eine Besonderheit gäbe. Es wird jetzt keineswegs noch eine dritte Halbzeit gespielt, was die Spieler vermutlich auch körperlich nicht mehr überstehen würden, so ausgelaugt wie sie sind. Nein. Das komplette Finale wird wiederholt. Zwei Wochen später, aber diesmal an einem Samstag. Schade. Somit gibt es kein schulfrei =).