Sofia und ich (Part 1)
Gerade als Lucy_in_the_sky anfängt, sich einsam zu fühlen, passiert Seltsames: Auf dem Balkon wird eine Glocke mit einem Zettel zu ihr heruntergelassen. Aber zu wem gehört sie? Und was bedeutet das alles?
Da bin ich, in Sofia, nach dem On-Arrival-Training in einem 4-Sterne Hotel in Velingrad bin ich wieder in der düsteren Wohnung, alleine. Meine Roommates sind in Varnas. Was macht man?
In meinem Fall: einkaufen, dabei sich verlaufen, weil man aber cooler als der gemeine Tourist ist einfach weiter laufen; mit geschundenen Füßen und dem Wissen, dass man vergessen hat, Wasser einzukaufen, wieder ankommen.
Rumsitzen, sich darüber klar werden, dass man sich sehnlichst Gesellschaft herbeiwünscht, denn die Selbstgespräche fangen an zu nerven.
Aus Verzweiflung greife ich zu dem Buch "The Zahir", von Paulo Coehlo, welches meine Mentorin Eliza mir empfohlen und mitgegeben hat. Es ist recht langatmig, nett, aber doch irgendwie unspannend, so eine Lektüre, die man aus Langeweile liest, zudem ist sie auf englisch und ich muss nur noch um die zwanzig Seiten lesen (in anderthalb Tagen habe ich den Steppenwolf noch einmal gelesen, zwei Erzählungen Stifters, Wagners fliegenden Holländer und eben genanntes "The Zahir", also so viel zu Langeweile, wenn man keinen Menschen kennt) - ich bin so froh, nicht alt und einsam zu sein, jetzt bin ich jung und nur auf zwei Tage befristet allein.
Lange Rede, kurzer Sinn, ich lese das Buch, welches von der Suche des Menschen nach dem Sinn des Lebens handelt... blabla... da passiert etwas.
Vom Himmel fällt eine Glocke herab. Na ja, okay, irgendjemand hat ne Glocke an der Leine befestigt und lässt sie auf Augenhöhe meines Balkons bimmeln. Ich sehe dem Spiel zu, frage mich, ob da wohl eine der tausenden streunenden sofischen Katzen ist oder ein Nachbarsjunge, den ein alter, einsamer Mensch ärgern will. Mein Interesse ist geweckt, dennoch bleibe ich auf meinem Sessel sitzen.
Mit Bedauern sehe ich, dass die Glocke wieder verschwindet, wende mich gerade meinem Buch zu, da – tatata - ist sie wieder da, mit einem Zettel, auf dem steht: "Hey, what’s up? :) We are a friendly neighbourhood so whenever you need something or so just ring the bell or call us! Just don’t cut off the stripe."
Ich lese den Zettel, bin verwirrt, gehe in die Wohnung um Zigaretten zu holen und mir auf dem Balkon eine anzustecken und dabei die Glocke nach einer Minikamera zu untersuchen - vielleicht ist das nur ein mieser Trick (ich als Hobbystalker weiß da Bescheid).
Doch als ich wiederkehre ist die Glocke weg - und mit ihr die Chance, meine Langeweile zu durchbrechen und ich Trottel habe vergessen, eine Antwort auf den Zettel zu schreiben.
Ich lese das Buch, grüble über den Glockenmann nach, lese weiter, grüble nach, geh ins Bett, wache auf und denke immer noch, dass so eine Chance, einen Einheimischen kennen zu lernen, mir nicht so bald wieder auf dem Teller präsentiert wird.
Ich habe keine Ahnung, welcher Nachbar das war (über mir sind zwei) und eigentlich bin ich zu zurückhaltend, um nach dem Glockenmann zu suchen, doch ich wage es. Ich gehe zu dem Nachbarn direkt über mir, lege auf englisch los "Hey, did you write the note? Blabla…". Die bulgarische Frau sieht mich verstört an, ich merke, ich bin auf dem Holzweg, sie holt ihren Mann, ich will den Rückzug antreten, der Mann geleitet mich zu der Wohnung, in der die englisch sprechenden Ausländer wohnen. Ich warte, bis er weg ist, dann starte ich von meiner Wohnung aus den nächsten Anlauf.
Vierter Stock, der Nachbar, der seine Musik immer so laut hört, dass ich mittlerweile nur noch die Balkontüre aufmache, wenn ich einen klaren Sound haben will und Bock auf Queen oder seltsame Choräle habe.
Diesmal gehe ich die Sache auf Bulgarisch an: "Govorite li angliski?" – "Sprechen Sie englisch" - die Frau holt einen jungen Mann, der sagt "Hi, how are you". Ich habe den dünnen, aber hübschen Klingelmann gefunden. Wir unterhalten uns kurz, ich sage, ich hätte mich gefreut und verschenke Smartiesschokolade, die mir selber geschenkt wurde, so dass ich das Wiederverschenken für eine nette Geste halte. Ich verabschiede mich, gehe in meine Wohnung, tanze zu den "Shout out louds" durch die Gegend, mein Detektivbüro, welches ich als Kind haben wollte, so dass ich Fälle erfand, wo es keine gab, war erfolgreich, zudem habe ich mich selbst überwunden. Ich gieße mir ein Glas Bier aus der zwei Liter Flasche im Kühlschrank ein.
Da schellt es an der Tür, der Nachbar, Mike, eigentlich Michael, steht da, mit zwei Eis - Schokoladeneis, ich werde ihn heiraten - wir unterhalten uns, wir gehen in meine Wohnung, wir gehen in sein Zimmer (eher eine Kammer, die direkt unter dem Dach ist: in der vierten Etage ist er nur, um andere Leute mit seiner Musik zu quälen und um zu essen), sehen die Berge an, ich höre mir seine schreckliche Musik an, er lacht über meine schlechten Witze, ich über seine, wir fassen alles ohne die Hilfe des Daumen an, was sehr beschwerlich ist, verbringen einen ganzen Abend damit, über alles und nichts zu sprechen - der perfekter Abend. ich erwähne, dass ich seit einer Woche allein lebe, er lacht, er war ein Jahr in Belgien.
Heute sind dann meine Mitbewohnerinnen angekommen, die eigentlich doch nicht so komisch sind wie ich dachte, im Gegenteil, Elody, die Französin, lacht gern und viel und auch Elonora, die Italienerin ist sehr nett. Ich bin rundum zufrieden, weil ich seit meiner Ankunft in Bulgarien ständig meinen Schatten überliste und es schaffe, über ihn zu springen, ein sehr gutes Gefühl.
Während ich einen Fragebogen für meine Organisation ausfülle, macht Mike wieder Musik an - wie gesagt, sie ist schrecklich. Aber während einer Pause höre ich die Glocke klingeln, ich gehe hinaus, auf den Balkon, blicke hoch, er ist nicht zu sehen. Ich gehe wieder hinein, und da ertönt das Lied "Living on my own" - für mich. Ich summe leise mit und lächle still in mich hinein.
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