Seht, ich künde große Freude!
Endlich hat die Einsamkeit des Englischsprachkurses für Johannson ein Ende gefunden. "Denn nach vier Monaten kam Joanna. Und mit Joanna kam Gesellschaft." Ansonsten parliert er über spannende Busfahrten, vermeldet den aktuellen Stand seines Käsevorrats, und, und, und…
Als ich das erste Mal in den Englischkurs kam, war ich sehr enttäuscht. Kein anderer Freiwilliger, keine andere Freiwillige, die nur auf mich gewartet hatten. Stattdessen eine Gruppe sehr netter und vollkommen sprachloser Leute sowie pure Grammatikarbeit in der kleinen Einzelzelle nebenan. Vier Monate lang blieb es die zweimalige, später nur noch einmalige Stippvisite pro Woche, in der man zwei Stunden lang schweigend Kopien über die Besonderheiten von Verneinungen und Hilfsverben abschrieb. Einzig mit Debby sprach man mehr als „Hallo“ und „Auf Wieder sehen“, aber auch hier nicht viel. Selbst als eine andere Freiwillige im Ort zu finden war, änderte sich nicht viel, und so ging ich weiterhin jeden Samstag auf meine einsamen Touren. Vier Monate lang war das Geselligste ein Besuch bei anderen Freiwilligen. Dafür musste ich erst durch die halbe Insel fahren, um Leute zu sehen. Nach vier Monaten wurde es langsam sogar mir zu einsam.
Vielleicht ist es nicht vorbei, aber heute war ein Tag, der Hoffnung gibt. Denn nach vier Monaten kam Joanna. Und mit Joanna kam Gesellschaft. Zuerst hatte man nur jemanden im Sprachkurs, der ihn endlich seinem Namen gerecht werden ließ. Letzten Mittwoch dann kam eine Einladung nach Seaham, nicht nur an mich, sondern auch an Debby und Hanni. Mit letzterer hat sich die Zahl der des Englisch Mächtigen und damit potentiell brauchbaren Leute in etwas mehr als einem Monat verdreifacht. Nach den Trainings und Edinburgh waren mir die Möglichkeiten einer solchen Gruppe sofort klar und ich wurde nicht enttäuscht.
Der frühe Vogel...
Dabei fing der Tag alles andere als entspannt an. Als Treffpunkt war der Busbahnhof Seahams zwischen 9.00 Uhr und 10:00 Uhr morgens ausgemacht. Ein Blick auf meine Fahrpläne verriet mir, dass ich nur zu früh oder zu spät da sein könnte. Das war äußerst unbefriedigend, wo der Ort gleich der nächste im Norden ist und man eigentlich sehr flexible Fahrzeiten erwarten könnte. Aber leider wohne ich in der Colliery, wo nur ein brauchbarer Bus durchfährt, und nicht im Village, wo es davon nur so wimmelt. So entschied ich mich, lieber früher als zu spät dazu sein und habe in den sauren Apfel gebissen. Dadurch habe ich am Wochenende eine Stunde früher ins Bett und wieder heraus gemusst als an normalen Arbeitstagen. Immerhin, tatsächlich habe ich mich um elf ins Bett gebracht. Morgens um sieben raus, etwas Porridge, Rucksack geschnappt und über den Hügel zur Bushaltestelle. Nachdem es in der letzten Woche nass und kalt war, empfand man das vergleichsweise trockene Wetter zusammen mit dem fehlenden Wind als sehr erfreulich.
...kriegt trotzdem keinen Bus
Weniger erfreulich waren die Rücklichter meines Busses. Hätte ich gestern nur ein zweites Mal auf meinen Plan gesehen, ich hätte meinen Irrtum bemerkt und wäre vier Minuten früher erschienen. Heute offenbarte der zweite Blick nur ein klaffendes Zeitfenster von über einer Stunde bis zum nächsten Bus, der mich Gott weiß wann in Seaham abgesetzt hätte.
Was blieb mir anderes übrig, ich musste hoch zum Village marschieren. Kaum war ich aber hundert Meter gelaufen, hielt plötzlich ein Bus neben mir, mitten auf der Strasse zwischen zwei Haltestellen. Nein, es war nicht der den ich wollte. Aber der Fahrer sagte mir, der müsste gleich kommen. Was mich wunderte, da er laut Plan schon längst hätte durch sein müssen und ich ja einen Bus habe zur richtigen Zeit davon fahren sehen. Allerdings hatten sich die lokalen Fahrer noch nie geirrt, daher Kehrtwende und zurück zum Unterstand.
Fünf Minuten später war ich wieder auf dem Weg zum Village. Ich kann stolz auf mich sein, ich habe die Strecke in der Hälfte der normalen Zeit zurückgelegt, und diesmal ging es sogar bergauf. Auch wenn ich an der Dorfwiese angekommen nun ziemlich verschwitzt und schon am Morgen entnervt war. Kein Bus hat mich auf der gesamten Strecke überholt. Und die Moral von der Geschicht’: traue dem Busfahrer nicht.
Besucherabschreckung
Wie schön, bald kam auch gleich ein Bus. Und nach einer Stunde sinnlosen Laufens und Wartens war ich in fünfzehn Minuten in Seaham. Trotz der Nähe bin ich, ob seiner Kleinheit und einem zusammengebrochenen Fahrrad und damit zusammen hängenden schlechten Erinnerungen dort erst einmal gewesen. Und nach dem ersten Mal war ich bisher nicht wiedergekehrt.
So hatte ich mal wieder etwas zu entdecken! Gut, es war nicht besonders schwer. Zwei Fragen später saß ich in der richtigen Linie zum Busbahnhof. Dort angekommen fühlte ich mich fast in postsozialistische Gegenden oder eine verlassene Wüstenstadt versetzt. Die Farbe blätterte von sechs schäbigen Haltbuchten, umgeben von einem zum Seniorentreffpunkt umfunktionierten Container, den zugenagelten Fenstern eines ehemaligen Gerichts in derselben Bauform und der Weißblechhalle einer Bibliothek. Die angehäufte Verkörperung des Siechtums der öffentlichen Hand, in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bereits beerbt von einem billigen Supermarkt. Trotz meiner Schwierigkeiten am Morgen war es erst kurz vor halb zehn. Debby kündigte sich und Hanni etwas später an, und ohne eine sichtbare Joanna führte mich mein Weg zuerst in die Bibliothek – genau wie die Museen und Galerien aufgrund ihrer Ausstattung in GB immer einen Besuch, auch einen kurzen, wert. Man glaubt gar nicht, wie jung die Klientel ist. Letzte Woche im Baltic wanderten Scharen von Jugendlichen durch die Räume, nicht nur Studenten. Man sollte in Deutschland einmal sehen, was abgeschaffte Eintrittspreise bewirken können.
Innere Werte
Trotz ihres äußeren Erscheinungsbildes war die Bücherei – neben Printmedien – massiv mit Musik und vor allem Computern bestückt. Gestern wurde mir erzählt, dass CDs erst seit einigen Jahren geführt werden. Wenn das stimmt haben sie in kurzer Zeit eine Menge bewirkt, denn ich bin mir sicher, das eine Pfund Leihgebühr ist ein gutes Einkommen.
Nach einigem amüsierten Stöbern in den obligatorischen Büchern über Britanniens ehemaliges Empire und wie es ganz allein (einmal abgesehen von der akzeptierten Assistenz einiger anderer Länder, hauptsächlich ehemaliger Kolonien) zwei Weltkriege gewann, warf ich wieder einen suchenden Blick auf den Busbahnhof, der dort auf die Rücken von Joanna und einer weit kleineren Person traf. Wie sich kurz darauf heraus stellte, war letzteres Madja, eigentlich Magdalena und ihres Zeichens eines von vier Kindern von Asia („Ascha“), einer der anderen Polinnen. Ein schöner Name oder? Leider sind ihre drei Geschwister noch in Polen und werden frühestens nach dem Sommer hinterherkommen. Sie ist zehn Jahre alt und ein äußerst aufgewecktes Mädchen, soweit ich das beurteilen kann. Sie hat zurzeit mit Sicherheit ein interessantes Leben und sammelt einige sehr wertvolle Erfahrungen. Ganz im Gegensatz zu ihrem späteren Eindruck war sie aber vorerst noch sehr schüchtern und zugeknöpft.
Wir setzten uns in ein für die Örtlichkeit ziemlich guten Imbiss direkt im Busbahnhof, weil ich einen Kaffee brauchte. Außerdem war ein Sitzplatz wertvoll, da Debby und Hanni länger auf sich warten ließen. Wie wir später erfuhren, kamen sie gar nicht zu uns, sondern wurden am Hafen abgesetzt, sodass wir einige Zeit brauchten, um uns zu finden. Das muss gegen halb elf gewesen sein und entgegen des ursprünglichen Plans sind wir, nun zu fünft, gleich an den Strand gegangen, anstatt zuerst zum Haus der Polinnen.
Strandspaziergang (mit Robbe)
Nun ja, was gibt es darüber zu sagen. Es gab keine Sensationen, nur einen sehr angenehmen kleinen Spaziergang entlang des Ufers, was mir schon auf dieser ersten Tour vor beinahe fünf Monaten aufgefallen war. Von Debby erfuhr ich, dass man im College wöchentlich gratis Fußballtickets bekommen kann. Ich dachte, die Aktion zu Boxing Day, als ich mit Paul zu Hartlepool vs. Oldham gegangen bin, wäre eine Ausnahme zu Weihnachten gewesen. Und Hanni erzählte mir, wie sie die letzten vier Jahre konstant auf Reisen war und das auch fortsetzen will. Sie muss in etwa so alt sein wie ich, hat aber schon Au-pair-Jahre in Norwegen, Frankreich, Österreich und in einem Land hinter sich, das ich vergessen habe. Aufgewachsen ist sie in Antiochia und Istanbul. Offensichtlich haben sowohl sie als auch Debby und Joanna Familie in ganz Europa, die sie ohne Probleme besuchen können. Als ich hierher kam, hielt ich mich für etwas Besonderes. Seit ich hier bin, treffe ich andauernd Leute, gegen deren Leben mein eines kleines kurzes Auslandsjahr ein Klacks ist. Fair ist das nicht.
Etwas auch für Außenstehende Interessantes haben wir dann aber doch noch gesehen. Die letzte Nacht war wohl recht stürmisch, denn recht weit vom Wasser entfernt lag eine kleine Seerobbe. Hey, das war etwas für Madja, die angehende Tierärztin. Wir haben einige Fotos gemacht, aber ich war eigentlich mehr besorgt, was aus ihr werden soll, denn von ihrer Mutter war weit und breit nichts zu sehen. Ein Mann rief gerade die Polizei, weil auch wir nicht wussten, wer genau dafür zuständig ist; allerdings ist die Robbe wohl später zurück ins Meer ge...robbt? Trotzdem bin ich skeptisch, was ihr Überleben angeht. Solch große Organismen brauchen meines Wissens recht lange Zeit an Brutpflege und diese Nacht auf dem Strand dürfte gut Energie gekostet haben.
Kuchen und Spiele
Gegen Mittag sind wir dann zum Haus von Joanna, Renata, Asia und Jola gegangen, wo wir natürlich sofort mit allem möglichen Essen bombardiert wurden. Furchtbar, überall dasselbe. Auch sie hatten die unvermeidliche „Quality Street“ Büchse mit Weihnachtssüßigkeiten bekommen. Das Haus sah aus wie frisch bezogen, absolut sauber und gepflegt. Nicht wie die Farm. Hier trafen wir nun auch Asia und Jola. Während erstere ja wie bereits erwähnt Madjas Mutter ist und auch ein recht gutes Englisch spricht, ist Jola, die Zwillingsschwester von Renata, nur noch schüchterner. Auch hier nichts Nerven zerfetzendes: wir haben natürlich sowohl Fotos gemacht als sie auch angeguckt, genau wie Filme aus Polen und von Legoland etc., wo Asia mit ihrer Familie gewesen ist. Dazwischen haben Hanni und ich ein bisschen mit Madja gespielt, die uns stolz ihre Spielzeuge vorführte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hanni dank ihrer Erfahrung mit Kindern bereits einen festen Platz im Herzen der inzwischen viel offeneren Madja gewonnen. Dasselbe tat mein Basecap auf dem Weg zum Busbahnhof, da Hanni und Debby bereits um zwei wieder gehen mussten. Ich aber blieb; wer weiß wie oft ich solche Gesellschaft noch habe.
Europäische Analogien
Wieder zu Hause verbrachte ich die meiste restliche Zeit mit Joanna und Madja. Zuerst haben wir auf Madjas kleinem Kinderlaptop Wörterraten gespielt – und verdammt waren wir schlecht.
Danach habe ich mich lange mit Joanna über unser Lieblingsthema unterhalten, wie wir unsere jeweiligen Heimatstädte verabscheuen. Dem vorangegangen war ein kleines Gespräch, zusätzlich mit Asia, über unsere beiden Heimatregionen. Und ganz offensichtlich sieht es in beiden (wenn auch mit unterschiedlichen Standards) ziemlich ähnlich aus. Genau wie in GB existiert übrigens auch in Polen dieses stereotype Bild von Deutschland als Ort, wo Milch und Honig fließen.
Asia wird irgendwann nach Easington ziehen. Dann kann sie dort in einem eigenen Haus mit ihrem zurzeit in London arbeitenden Mann und ihren Kindern zusammen wohnen. Aber erst, nachdem sie durch einen Bürokratiekrieg in Polen gegangen ist.
Meine Mutti bringt mich zum Bus
Was gab es danach noch? Ach ja, etwas Eis. Und dann war auch schon wieder Zeit für mich, zu gehen. Das war gegen halb sieben. Joanna dürfte eine sehr beruhigende Erscheinung für meine Mutter sein: ständig um mich besorgt wollte sie mich nicht einmal im Dunkeln zur Bushaltestellen laufen lassen So hat sie sich jetzt den Beinamen „Mama“ verdient. Mama und Madja haben mich also begleitet und diesmal habe ich auch meinen richtigen Bus gekriegt.
Wieder zurück auf der Farm kam ich fast zeitgleich mit Paul nach Hause, der heute beim Fußball war. Scheinbar habe ich ausgerechnet dem ersten Spiel von Newcastle eine Absage erteilt, in dem sie mal vernünftig gespielt und dann auch 3:1 gewonnen haben. Das war aber nur FA Cup, das letzte Ligaspiel haben sie wieder mal verloren. Allerdings war heute hoher Besuch in der Gegend, ManU (Manchester United) spielte in Middlesbrough. Ich kenne das Ergebnis noch nicht, wahrscheinlich haben sie gewonnen. Aber man kann ja hoffen.
Erstaunlich. Einen ganzen Samstag erzählt und gerade mal fünf Seiten gebraucht. Und keinen einzigen Absatz über Käse. Davon habe ich immer noch einiges im Kühlschrank, weil ich abends nie in der Stimmung für ein vernünftiges Abendbrot war. Ich war schon etwas besorgt, wie lange der sich hält, aber Paul hat mich beruhigt. Außerdem hat er mir einen sehr guten Schafskäse gezeigt. Im Gegenzug habe ich ihm etwas von meinem Teller angeboten, mit dem Ergebnis, dass mein Vorrat am Ende ziemlich dezimiert war. Davon abgesehen könnte ich mal wieder kochen.
So ein Tag...!
Auf jeden Fall war das ein großartiger Tag (außerdem billig). Interessante Leute aus verschiedenen Ländern, genau das habe ich mir gewünscht. Und nachdem ich etwas Zeit unter Menschen verbracht habe, weiß ich es auch wieder richtig zu schätzen, danach wieder allein zu sein.
Es ist komisch, ich habe in den letzten Jahren nie das Bedürfnis nach Gesellschaft gehabt. Wahrscheinlich kommt man durch Templin auch ohne mit jemandem zu reden, weil ohnehin nichts Wichtiges passiert. Aber hier habe ich manchmal ein unglaubliches Verlangen, mit Leuten zusammen zu sein. Ich traue meinem Glück ja nicht, aber wenn sich das fortsetzen ließe, wäre ich einen Grossteil meiner (ja ohnehin so wenigen) Probleme hier los. Selbst die derzeitige Post habe ich größtenteils abgearbeitet, sodass ich vielleicht bald Zeit für etwas Extraarbeit habe. Das war keine Einladung, mir jetzt massenhaft zu schreiben! Vor einigen Tagen hat sich dieses Tagebuch als vollkommen nutzlos erwiesen, als ein Brief an meine Grosseltern trotzdem zehn Seiten lang wurde.
Nächstes Wochenende jedenfalls kommen Debby, Hanni und zumindest einige der Polinnen auf die Farm. Jetzt wird es wirklich Zeit, mal das Bad zu schrubben, und mein Zimmer könnte mit Sicherheit auch eine flüchtige Reinigung vertragen. Offenbar sind wir in den Tagen davor ziemlich gut mit Arbeit ausgebucht, sodass Sheila und die Ziegen vielleicht noch hier bleiben. Das würde Madja freuen. Den Rest natürlich auch, und vor allem mich, denn ohne den Streichelzoo gäbe es hier nicht gerade viel zu zeigen. Ich hoffe nur, dass wir auch nächsten Samstag gutes Wetter haben, sonst wüsste ich nicht, was ich mit ihnen machen sollte. Bei Sonnenschein allerdings haben wir ja wundervolle Wanderwege und vor allem Beacon Hill. Wünscht mir Glück!
Arbeitsbeschaffung
Ja, Ihr habt richtig gelesen, nächste Woche steht scheinbar einiges auf dem Programm. Am Freitag hatten wir wieder ein Property Meeting (Ich finde einfach keine vernünftige Übersetzung dafür. Es treffen sich halt die Leute, die auf der Farm arbeiten, um das weitere Vorgehen zu besprechen), was geschlagene zwei Stunden gebraucht hat. Dabei habe ich von einiger Arbeit gehört, was wirklich eine Abwechslung wäre.
Letzte Woche haben wir gerade so unsere Zeit gefüllt. Nun ja, es ist Winter und viele Außenarbeiten sind sehr schwer, außerdem unangenehm, wobei das für uns natürlich nur sekundär sein kann. Einmal habe ich – vor lauter Freizeit – eine kleine Reparatur an der Heukrippe der Ziegen vorgenommen. Das hat nicht länger als fünf Minuten gedauert, dummerweise hatte ich mich unter einem Baum positioniert und das von dort abtropfende Wasser hat mein linkes Hosenbein in kürzester Zeit klatschnass gemacht. Letzte Woche hat es viel geregnet.
Impressionen vom Lande
Donnerstag haben wir uns mit Büsche schneiden und dem Entfernen alter Zaunpfähle über Wasser gehalten, um so einen Pfad etwas begehbarer zu machen. Dabei ist uns einer der eingefleischten National Trust Gegner über den Weg gelaufen, mit dem Paul dann in einen nur mühsam freundlich gehaltenen Disput über Sinn und Unsinn eines neuen Gatters auf Beacon Hill geraten ist. Der Stall dort oben ist nämlich als kleiner Informationspunkt gedacht. Und um Besucher da rauf, dort grasende Kühe aber nicht runter zu lassen, wurden einige besondere Gatter aufgebaut.
Zwei Nächte später wurden die von irgendwelchen Fischern mit Motorsägen wieder entfernt, da sich die Herren in ihrem freien Zugang zur See behindert fühlten. Was nach meinem Verständnis der Pläne völliger Unsinn ist, da Fußgänger und sogar Autos dort oben ohne Probleme durch kämen. Schließlich wollen wir ja Besucher dort haben, oder? Aber wie das so mit Dorfbewohnern ist, alles Neue ist erst einmal verdächtig. Und gerade in England, wo die Klassenzugehörigkeit noch so wichtig ist, ist der als Organisation für Wohlhabendere angesehene NT in einer Region wie dem Nordosten alles andere als beliebt. Reden und Überzeugen ist da auch nicht besonders erfolgreich, denn was richten Argumente schon gegen Meinungen und Vorurteile aus?
Und so war auch jeder zweite Satz des oben erwähnten Zeitgenossen „I’ve been here for years and years“ und wie er „schon im Kinderwagen über Beacon Hill geschoben wurde“. Paul versuchte ihm zu erklären, dass wir natürlich genügend Platz für jegliches Fahrzeug gelassen hätten und er sich auch heute noch über Beacon Hill schieben lassen könnte. Zwecklos, natürlich, ich habe mich irgendwann wieder dem Heckenschneiden gewidmet. Zuerst fand ich das ja noch ganz lustig, aber später hat mich diese provinzielle Verstocktheit wieder genervt. Ja, diese Leute haben wirklich ihr ganzes Leben in diesem Ort gewohnt. Genau das ist ihr Problem.
Einen Tag später kam dann gleich die nächste Packung, als ich auf dem Weg zurück aus Easington mein erstes „Foreigner, fuck off to your own place!“ gehört habe. Als Europäischer Freiwilliger sollte ich jetzt wahrscheinlich auf die Leute zugehen, mit ihnen reden und helfen ihre Vorurteile abzubauen. Aber ehrlich gesagt habe ich darauf gar keine Lust. Ich betone, es war das bisher einzige Mal, und es war genau der Typ von Charver, von dem man es erwartet hat. Alle anderen Leute sind immer noch so freundlich wie immer. Trotzdem trifft es bei mir natürlich einen sensiblen Punkt.
Planarbeit
Nächste Woche ist im Zuge der erwähnten Aufgaben erstmal eine Komplettbesichtigung unseres Landes geplant, um einen Arbeitsplan zu entwickeln. Das klang nach einer sehr angenehmen Tätigkeit; im Landrover alle Punkte anfahren, Sachen aufschreiben und weiter fahren. Und das für zwei Tage. Außerdem gehen wir uns wohl mit neuen Arbeitssachen einkleiden und ich kriege jetzt neben einem eigenen Helm auch so eine stylische NT-Fleecejacke.
Netterweise bin ich sowohl Montag als auch Mittwoch im College. Joanna und ich haben uns vorgenommen, unsere Englischstunden für wechselseitigen Sprachunterricht zu missbrauchen. Wir sind ja so böse.
Irgendwann erwarte ich dann noch eine Nachricht von Manuela zwecks Kinobesuchs. Das sollte ja schon letzte Woche stattfinden, ist dann aber aus Termingründen kurzfristig geplatzt und wurde jetzt verschoben. Ich darf jetzt übrigens auch krank werden, da ich mich letztens beim Arzt registriert habe. Wie ist das eigentlich in Deutschland? Muss man bei uns auch erst Adresse und Telefonnummer hinterlassen, bevor man behandelt wird? Ich war so selten krank, ich musste mich nie darum kümmern. Ich wusste nicht einmal den Namen meines Hausarztes.
Leben auf der Sonnenseite
Trine hat mir inzwischen geantwortet. Leider hat sie selbst keine Bilder, da sie ebenfalls nur eine Analogkamera hat und die Fotos alle nach Deutschland schickt. Vielleicht hat aber eine Kollegin welche. Meine Fotos liegen hier alle bereit, und sie werden sobald wie möglich an die Redaktion geschickt. Nur auf eines warte ich noch, was in mein Profil kommt, aber gerade das braucht ewig. Peter Brabban hat es inzwischen an meine als auch an Pauls Email-Adresse geschickt, ohne das es bei einer angekommen ist.
Ich habe wieder ein paar nette Sachen auf der YouthReporter Seite gefunden. Letzten Herbst fand ein Wettbewerb statt, zu dem man Artikel zur Zukunft Europas einschicken konnte. Das nannte sich „Youth Reporter 2004“ und ich habe mir letztens einige Gewinner angeguckt. Dabei hat mich vor allem der dritte Platz beeindruckt. Lest Euch das mal durch, der ist Wahnsinn. Alle haben ungeheure Arbeit hinein gesteckt, sind über den halben Kontinent gereist und haben massiv Interviews geführt und verwertet. Aber dieses „Bahnhof Europa – Auf der Suche nach europäischer Identität“ ist wirklich brilliant. Allein der Ausdruck ist spitze und die Beschreibungen noch besser. Und dann dieser vorletzte Satz „Denn Identität ist die lebendige Reflektion der Vergangenheit im Anblick der Zukunft.“. Ich habe keine Ahnung ob das stimmt, noch fühle ich mich fähig, durch diesen Gedanken zu steigen. Aber es klingt verdammt gut, oder? Auch wenn ich dem Abschnitt über Großbritannien nur bedingt zustimmen kann. Die Ansicht über Bahnhöfe teile ich dafür absolut.
Außerdem geben einem die Artikel einen ziemlich guten Eindruck, wie es zurzeit in den neuen Mitgliedsländern aussieht. Nicht wirklich überraschend, aber ich bin hier wirklich auf der Sonnenseite Europas. Zwar sind die sozialen Standards für deutsche Verhältnisse hier schon niedriger, aber egal wie viele Minen geschlossen haben, immerhin haben die Leute fließend Wasser.
Der große Preis
Offensichtlich habe ich gerade ganz knapp den großen Preis verpasst. Vor einiger Zeit wurde der 555. Autor auf der Seite registriert und der hat einen Gutschein über € 50.000 für unser Unternehmen Zukunft gekriegt. Das war übrigens Romy in Dresden, deren Artikel hab ich ja auch mal erwähnt. Ich glaub, ich kann nicht weit weg von dieser Nummer gewesen sein. Mein Gott, € 50.000. Damit wäre ich im nächsten Jahr alle meine Sorgen los. Jedes Wochenende wäre ich auf und davon. Ich könnte mir Interrail-Tickets für ganz Europa besorgen. (Anm. der Red.: Es geht um folgende Meldung aus dem Newsletter 01/2005: „Gleich zu Beginn des Jahres 2005 hat die Anzahl der User unserer Webseite die Schallgrenze durchbrochen. Als 555. Benutzerin ließ sich romy aus England registrieren, die zurzeit ihren Europäischen Freiwilligendienst in Dresden leistet. Als kleine Aufmerksamkeit erhält sie einen Gutschein der Deutschen Bahn AG in Höhe von 50,00 Euro.“)
Alle Angaben ohne Gewähr
So, zum Ende noch eine Sache. Ich habe den Fehler begangen, hier einige Leute namentlich zu erwähnen, und meine Meinung über sie zu veröffentlichen. Zum Glück ist das bereits korrigiert. Trotzdem möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass alles, was ich hier schreibe, allein meine persönliche Meinung, basierend auf meinen persönlichen Beobachtungen, ist. Das heißt es muss nicht genau so stimmen. Ich bin noch nicht allzu lange hier, noch nicht lange genug jeden falls, um Urteile zu fällen.