Schwarze Madonna, erbarme dich meiner!
Das Wochenende läuft für Johannson nicht wie geplant. Der Ausflug nach Lublin muss ausfallen und er weicht auf andere Ziele aus: darunter Czestochowa, Polens wichtigstes Heiligtum.
Dieses Wochenende begann mit einer ausgewachsenen Katastrophe: die lang geplante, schon zweimal verschobene, erste wirkliche Reise nach Lublin fiel ein weiteres Mal aus. Und zwar durch eigene Schuld. Francesca hat dort Freunde, wo ich vielleicht schlafen könnte und ich war dumm genug mich auf eine Italienerin zu verlassen. Die Freunde waren natürlich gerade nicht da, aber das erfuhr ich viel zu spät, um noch ein Hostel zu bekommen. Das beste Wochenende im ganzen Jahr, die einzigen fünf freien Tage am Stück, die beste Gelegenheit für mein Hauptziel überhaupt, Reisen: verloren für nichts. Lublin werde ich zwar immer noch sehen, aber es kostet mich wahrscheinlich Kazimierz Dolny und vor allem Zamosc, zwei berühmte Städte in der Nähe. Ein langes Wochenende musste mit Zielen gefüllt werden, die eigentlich für einzelne freie Tage vorgesehen waren.
Zuerst kam Czestochowa auf die Liste, Polens wichtigstes Heiligtum und einer der weltweit größten Pilgerorte. Dort ist ein Paulinerkloster mit der 'Schwarzen Madonna', einem Bild, was offiziell zur 'Königin Polens' gekrönt wurde und dessen Kopie auch in der allerletzten Kirche Polens steht. Dazu sollte man zwar eigentlich eine Übernachtung einplanen, aber dafür ist jetzt keine Zeit, Freitag geht es ab in den Zug.
Unter der Pforte
Das festungsartige Kloster mit dem höchsten Kirchturm des Landes thront über der Stadt, eine schnurgerade Straße führt durchs gesamte Zentrum darauf zu. Das sieht in der Sonne besonders toll aus: wenigstens mit dem Wetter habe ich auf Reisen immer Glück. Auch ist Nebensaison, sodass das Kloster voll, aber nicht zu voll ist. Außerdem gibt es keinen Eintritt, das Kloster 'freut sich über Spenden'.
Neben dem Trubel gibt es am Eingang einen kleinen, sehr nüchternen Raum, in dem ein Priester auf Wunsch alles weiht, was man ihm hinlegt; bevorzugt Artikel aus dem angenehm unauffälligen Devotionalienladen gegenüber. Er sieht nicht sehr überzeugt aus von seiner Arbeit; hinter der Tür steht eine Blechtonne mit Hahn, wie man sie für Tee benutzt, mit der Aufschrift "Weihwasser".
Büßer & Bahner
Erst ein Rundgang auf den Festungsmauern, auf denen Skulpturen des Kreuzwegs stehen. Gruppen unterschiedlichsten Alters ziehen von einer zur anderen, einer hält stets einen komischen Lautsprecher, auf denen irgendwer vom Band betet und predigt und singt und alle machen mit. Dann steige ich auf den Turm, solange es noch hell ist. Von dort sieht man den Menschenstrom zum Kloster, darunter immer mehr Gruppen von bannertragenden Bahnmitarbeitern, muss wohl Berufsfeiertag sein.
Christus der Nationen
Danach geht es mit dem Audioguide durch einige Klosterräume, wo erst einmal die Geschichte der Schwarzen Madonna erklärt wird. In einem Raum direkt oberhalb deren Kapelle findet sich außerdem eine ganz außergewöhnliche Variante des Kreuzwegs, in der wie immer Jesus' Leidensweg mit dem Polens verknüpft wird, aber wie. Als Jesus vom Kreuz genommen wird, stehen hinter ihm die toten Soldaten diverser Aufstände, die Gesichter verrottet, die Uniformen verfault. Ein Warschauer Aufständler mit zwei Einschüssen im Helm, ein gefesselter Offizier kniet in Katyn mit einem Loch im verwesenden Hinterkopf.
Die Kapelle des Heiligen Bildes
Ganz anders die Kirche, das ursprüngliche Gebäude des Klosters, neben der später gebauten Kapelle der Madonna. Barocker Prunk, aber trotzdem nur sekundär, denn aus der Hauptattraktion nebenan klingen unaufhörlich die nie endenden Gottesdienste. Endet einer, strömt eine Welle Gläubiger raus, eine neue rein, nach fünf Minuten kommt der Priester zurück und es geht wieder los. Zum Glück ist Nebensaison, ich schaffe es, in die Kapelle selbst zu schlüpfen. Die Wände hängen voll mit Rosenkränzen, silbernen Ketten und Prothesen, dagelassen von Pilgern und wundersam Geheilten.
Der Gottesdienst beginnt, und diesmal ist es sogar eine Hochzeit. Eine Premiere für mich, und ich mochte es so wenig wie immer gedacht. Dafür stehe ich inzwischen weit vorne, habe das Bild genau im Blick, und sehe, dass die Leute einen kleinen Weg um den Chor und hinter den Altar entlanglaufen. Ich will natürlich wissen was dort hinten ist und stelle mich in die Schlange, die bis in den Vorraum reicht.
Meine Knie haben mir bis heute nicht verziehen. Gerade als ich an diesem Umgang bin, passiert irgendwas im Gottesdienst und alle knien. So rutschen wir auf dem harten Marmor. Katholiken sind das gewohnt, aber für mich... Schmerz. Und das einzige was ich hinter dem Altar finde, ist ein weiterer Opferkasten.
Zweite Sieger
Inzwischen ist es stockduster und ich komme langsam in Zeitprobleme. Die drei Museen sind sowieso zu, also schaue ich noch mal in die Kirche und auf die Festungsmauern, auf denen noch immer gebetet wird. Die restliche Stadt ist unspektakulär, selbst die eigentliche Kathedrale im südlichen Teil ist zwar groß, aber angesichts der lokalen Konkurrenz nichts Besonderes. Auf dem leeren Vorplatz spielen vier kleine Kinder; nachdem ich die Türen bezwungen habe, finde ich im Innern nur zwei Nonnen.
Eigentlich hätte und wollte ich eine Nacht bleiben, um noch die Reste anzusehen, aber was will man machen.