Schon wieder Edinburgh
Freitag: Vorspiel
Freitag: Vorspiel
Von wegen nie wieder. Nach diversen jammernden Passagen über endgültige Abschiede und vibrierende Busfenster sah ich jetzt wieder Edinburgh. Grund dafür war Hanni, der ich die Stadt zeigen wollte solange ich noch im Land bin, und die die Stadt sehen wollte, nachdem ich ihr ewig davon vorgeschwärmt habe. Also habe ich uns Karten besorgt - leider viel teurer als erwartet, aber im Moment habe ich ja weit mehr Geld als Zeit, und mit letzterer soviel wie möglich anzufangen. Leider war diese Tour nur als Tagesausflug für Samstag geplant, da ich dachte, am Sonntag auf der County Show zu sein. Umso ärgerlichere als ich erfuhr, dass ich die Daten verwechselt hatte und ich eigentlich Samstag eingeplant und Sonntag frei war. Hätte man gleich das Wochenende in Schottland verbringen können. Aber wer weiß, was noch wird...
Schaffe, schaffe, Bühne baue
Los ging es wie immer mit einem Freitag auf Gibside, wo ich wider Erwarten auftauchte, mal wieder mit einer ausklingenden Erkältung (wir haben Mitte Juli und kriege Schnupfen!). Wider Erwarten, da ich seit Monaten erwarte, sehr bald im Urlaub zu sein. Nur war ich soweit zu faul, ihn zu organisieren und überraschte somit die Leute auf Gibside Freitag morgens mit meiner Anwesenheit.
Die waren sogar recht erfreut darüber, da sie an diesem Wochenende jede Hand gebrauchen konnten. Bei ihnen war Freitag und Samstag nämlich je ein großes Konzert organisiert, bei denen insgesamt geschätzte 7.000 Leute erwartet wurden. So wurde ständig fleißig gewerkelt und getan, Parkplätze angelegt, die Bühne aufgebaut, Aufgaben verteilt. Allein für diese Vorbereitungen wurde ein ganzer Working Holiday eingeladen, die haben die ganze Woche über mitgeholfen. Freitagvormittag half ich hauptsächlich bei der Bühne und besserte die Zufahrtsstraße aus.
Ein Bett im Heufeld
Lunch habe ich wieder sehr gepflegt in den Tea Rooms gegessen und dabei einen eigenen kleinen Plan gesponnen. Mit dem Sonntag frei könnte man ja glatt versuchen, noch schnell zwei Betten in Jugendherbergen zu organisieren und die Rückfahrtickets umzubuchen.
Zwar hatte ich die Nummern der Hotels dort oben nicht, aber dafür ja Bekannte. Die hab ich angerufen und gebeten, mir die Nummern zu besorgen. Natürlich wurde mir von Jenny und Claudia gleich Unterkunft bei ihnen selbst angeboten, die ich ebenso selbstverständlich dankend annahm. Nicht, dass ich berechnenderweise nicht halb darauf aus gewesen wäre... Aber direkt fragen wollte ich am Tag davor dann doch nicht. Juhu, freie Unterkunft! Jetzt nur noch gucken, was es kostet, die Fahrkarten umzubuchen und mit etwas Glück verwandelt man das Ganze noch in eine richtige Reise und sieht gleich noch einige Bekannte wieder.
Nachmittags wurde uns allen frei gegeben, da wir bis um ein Uhr nachts arbeiten würden. Das hat mich etwas in der Luft hängen lassen, ohne Arbeit und gerade zu wenig Zeit, um für ein paar Stunden nach Newcastle zurück zu fahren. Darum wollte ich eigentlich mal einen kleinen Spaziergang machen, um Gibside etwas besser kennen zu lernen. Dann bin ich aber auf einer abgelegenen Wiese hängen geblieben, wo ich im frisch gemähten Heu zwei Stunden geschlafen habe.
Koordinationsprobleme
Um vier ging’s los: großes Treffen mit dem Chef, bevor es in die Vollen geht. Jeder kriegt extrem stylische rote Gibside-Pullover und reflektierende Westen und ich wurde dem Parkplatzteam zugeteilt; schon leicht nervös ob der immensen Menge Menschen, die wir erwarteten. Ich wurde auch direkt an die Front geworfen und habe mit nur einem Kollegen die Verantwortung über den befristeten Parkplatz bekommen, wo Autos nur schnell halten, um Leute abzusetzen und dann wieder verschwinden. Das war zwar kleiner als der permanente Parkplatz, dafür hatten wir jede Menge Verkehr und mussten zusehen, dass sich mit nur einem Ausgang für die ein- und ausfahrenden Leute kein Chaos entwickelt.
Was in ein ziemliches Durcheinander ausartete, in dem ich ständig am Laufen war. Während mein Kollege nämlich nur am Tor stand und die Wagen einwies, musste ich sie auf die richtigen Plätze lotsen, den Weg frei halten und parkende Minibusse aus dem Kreisverkehr zu ihren Haltebuchten leiten. Dabei sollte man auch noch nett zu den Leuten sein und sie fragen, ob sie Hilfe mit ihrem Gepäck bräuchten. Die ich ihnen so und so nicht geben könnte, weil die beiden uns zugeteilten Träger gleich am Anfang verschwunden waren. Und dann kriege mal eine Ladung alter Frauen mit ihren schweren Kisten voller Kuchen und Sandwiches von der Mitte des Parkplatzes weg, während sich der ungeregelte Verkehr staut und blockiert. Noch schlimmer war es, inzwischen ziemlich hungrig das ganze Essen und die Getränke zu sehen, die die Briten wie Verrückte zu Konzerten schleppen. Irgendwie hat das aber doch ganz gut geklappt und nach acht Uhr kam kaum noch jemand.
Stil & Kultur
Dann hatten wir zwei Stunden frei, in denen die Besucher beim Konzert waren und für uns nichts passierte. Außer einer heiß erwarteten Ladung Fish & Chips für jeden, was für eine Erleichterung. Damit war ich sogar in der Stimmung, mir ein bisschen was vom Konzert anzusehen und –zuhören. Gespielt haben Tribute Bands für ABBA und (festhalten) Meat Loaf. Leider konnte ich nur den Rest von Letzterem sehen, bevor ich wieder an den Start musste, aber... das war auch genug. Hätte ich nicht so schicke Pläne gehabt, ich hätte beinah bereut, nicht auch beim klassischen Konzert am Samstag auf Gibside zu sein, was weit entspannter sein soll. Und mir hat schon die Popvariante Spaß gemacht.
In meiner Freizeit hatte ich dann auch Gelegenheit, mich etwas umzugucken und von der Festatmosphäre einfangen zu lassen. Wer mal die Last Night at the Proms gesehen hat kann sich ein sehr gutes Bild machen. Die Briten bringen zu solchen Gelegenheiten ihr halbes Wohnzimmer mit: Tische und Stühle, worauf der erwähnte Proviant gestapelt wird. Feinstes Geschirr, Weinflaschen, Kerzen und Plastikhüte mit dem Union Jack auf dem Kopf, so sitzt das Volk mit dem Sinn für Stil auf einer Wiese und lauscht Meat Loaf.
Schicksalsschatten
Etwas ärgerlich war, dass trotz hartnäckigen Fragens niemand vom Property zu finden war, der nach der Veranstaltung nach Newcastle zurück fuhr und mich mitnehmen könnte, da ich ja wie immer bei Peter Brabban übernachtete (dessen Sohn in dieser Nacht übrigens zu einer Schulreise nach Deutschland aufbrach). So musste ich mich auf den letzten Bus verlassen, der leider schon viertel Elf fuhr, weshalb ich schon bald gehen musste und nicht helfen konnte, die ganzen Menschen wieder vom Gelände zu schleusen.
Ja, wieder einmal musste ich früher nach Hause, als ich will...Dabei hätten sie mich wahrscheinlich gut gebrauchen können, denn all die Leute, die bei der Anreise nach und nach gekommen waren um ihre Familien abzusetzen, würden jetzt alle auf einen Schlag zurück kommen um sie wieder aufzusammeln. Und das alles auf unserem kleinen Parkplatz. Andererseits war es wahrscheinlich nicht schlecht, halb eins im Bett zu sein anstatt um vier, wo ich morgens ja um sieben wieder los musste.
Samstag: Anpfiff
Samstag Morgen fand ich halbwegs kompetent durch das Bussystem zum Hauptbahnhof und nahm den nächsten Zug nach Durham, wo unsere Reise starten sollte. Zwar fuhr die Bahn nach Norden gleich wieder durch Newcastle, aber ich wollte der unerfahrenen und nervösen Hanni nicht zumuten, allein den richtigen Zug zu finden. Ach, das war schön, sie nach einer Woche mal wieder zu sehen. In strahlendem Sonnenschein setzten wir uns in die bald eintreffende Bahn und los ging es Richtung Edinburgh. Vorbei an Alnmouth und Berwick-upon-Tweed, wo ich die schläfrige Hanni jeweils kurz aufgeweckt habe, damit auch sie es mal sehen kann. Ja, Hanni war müde, denn sie hatte nur viereinhalb Stunden Schlaf gehabt in dieser Nacht, dank ihres Jobs und Kindern, die morgens versorgt werden wollen.
Länger ist besser
Kurz nach elf stand ich einmal mehr auf Edinburgh Waverley. Aufgrund von Wetter, Ort und Begleitung war ich schon voll guter Laune. Erster Gang zur Gepäckabgabe, wo ich meine Reisetasche mit den Arbeitsklamotten ließ. Zweiter Gang durch eine lange Schlange zum Ticketschalter. Und hier kam erst das richtige Glück. Nein, diesmal bin ich nicht ironisch. Die freundliche Beamtin erklärte uns, weshalb die Tickets so teuer waren: versehentlich hatten wir offene Rückkehrtickets gebucht, mit denen wir heimkehren konnten wann wir wollten, also gratis Umtauschen. Erst die Unterkunft, dann die Tickets; mit zwei Nachfragen hatte sich der Tagestrip kostenlos in ein Wochenende in meiner Lieblingsstadt verwandelt. Ich muss mit der Sonne um die Wette gestrahlt haben, als ich Hanni dann endlich aus dem Bahnhof heraus auf die Princes Street führen konnte. Denn ich war glücklich. Ein perfekter Moment.
Spitzenfotos
Mit Karten aus der Touristeninformation bewaffnet und einem ersten Plan im Kopf gingen wir auf Carlton Hill, wo das Königliche Observatorium steht und letztes Mal dieser Sommerumzug stattfand. Merkwürdig: statt Franzosen verstopften diesmal Scharen von Spaniern die Straßen. Was rein optisch natürlich eine genauso willkommene Abwechslung ist.
Oben auf dem Hügel war Hanni dann schon ganz begeistert. Und wie hätte man es auch anders sein können: in dieser Sonne, in diesem warmen Wind, mit dieser Aussicht, mit diesem Meer, in dieser Stadt. Diesmal hatte sie selbst Kameras dabei - gleich zwei davon - und die wurden auch gleich gut in Dienst genommen: Hanni vor dem Meer, Hanni auf dem Gipfelkreuz stehend, Hanni vor Arthur’s Seat...
Wir sind auf diesen griechischen Tempelnachbau geklettert und über die Wiesen geschlendert. Ich war stark versucht, dort oben im hohen Gras einfach liegen zu bleiben. Aber leider waren wir nicht für immer in Edinburgh. Dann hörten wir Trommeln aus der Princes Street zu uns hinauf schallen und waren hin und her gerissen. Am Ende ging es wieder hinunter auf die Hauptstraße, schließlich war noch so viel mehr zu sehen.
Modernes Christentum: Brot und...Whiskey?
Leider waren das bloß wieder diese politischen Protestanten. Aber es gibt ja genug Ausweichziele. Allein entlang der Princes Street zu laufen, über den Parks und gegenüber dem Schloss, vorbei am Scott’s Monument und asiatischen Schotten mit Dudelsack macht einfach Spaß. Zeit für etwas Lunch, Essen von Marks & Spencers, Mittagspause in den Parks unterhalb der Nationalgalerie; neben uns gibt eine Sambaschule ein Straßenkonzert. Anruf bei Paul, das Countyfestival war eine Enttäuschung: Ich bin so froh, in Edinburgh zu sein, und das für das gesamte Wochenende.
Mit Hanni geht es hoch zum Schloss über uns. Über die Treppen voller Autorenzitate, vorbei am Schriftstellermuseum auf die High Street der Royal Mile. An hunderten Geschäften entlang und durch tausende Touristen hindurch Richtung Burg, noch hundert Meter, noch fünfzig.
Plötzlich machen wir halt. Hanni zieht mich nach links, ins Whiskey Museum. Ins Whiskey Museum?! Hanni?!! Oh ja. Denn Hanni braucht ein Abschiedsgeschenk für ihre Gastfamilie, auch wenn sie noch bis November bleibt und für meine Begriffe schlecht behandelt wird. Ich habe keine fünf Wochen mehr und solche Sachen wie Geschenke tauchen nur ganz am Rand meines Bewusstseins auf. Die unwahrscheinlichste Shoppingtour die man sich vorstellen kann. Mit Hanni Whiskey kaufen. Was kommt als Nächstes?
Schnell-Durchlauf
Als nächstes kommen wir wirklich bis zum Burghof oder besser, was von ihm übrig ist. Auf beiden Seiten sind riesige Stuhlreihen aufgetürmt, die nichts von der Aussicht lassen. Das sind die Vorbereitungen für das jährliche Militärmusikfestival. Ins Schloss sind wir auch nicht gegangen, da wie immer zu teuer und eine zu lange Schlange. Und Hanni dank Gasteltern ja ohne Geld. Aber was soll’s, wir haben eh nicht die Zeit, uns eine riesige Anlage anzugucken, wozu unsere Pfund verschwenden.
Dann doch lieber wieder das Kopfsteinpflaster der High Street zurück gelaufen, einen kurzen Blick zur Straße zum Grass Market...nee lieber doch nicht, zurück zur High Street. Die Kirchen und Läden, Hanni sieht sie alle, sucht nach einer roten Mütze und findet doch keine.
Jetzt ist es Zeit, den Füßen wieder etwas Erholung zu gönnen. Und das Elephant House wieder zu sehen. Einmal rechts abgebogen, entlang der Hauptstrasse bis fest steht: hier sind wir nicht richtig. Den Fehler gefunden, wir müssen nur in eine Parallelstrasse und was für ein Glück, das Königlich Schottische Nationalmuseum liegt gleich auf dem Weg. Zwar ist es schon halb fünf und es hat nur noch eine halbe Stunde auf, aber für einmal schnell durch rennen reicht es. Die schweren Rucksäcke abgegeben, die Sicherheitsfragen mit „Brot, Kirschen und Plastiksprengstoff“ beantwortet und schon stehen wir in der riesigen Empfangshalle des Instituts. Sitzen auf den Lederbänken an den Fischteichen und bewundern die große Schicksalsuhr, laufen durch Sammlungen koreanischen Porzellans und ägyptischer Schrifttafeln, sehen arabische Kaligrafie und reden über die Mechanik von Sprache.
Picknick im Park
Ein Gong verkündet die Schließung des Museums, hinaus und um die Ecke hinein ins nächste Kleinod: mein Elephant House. Hanni ist nicht so wirklich beeindruckt, aber hier geht es ja um mein Wohlbefinden und niemandes sonst. Und gut ist er, der Kaffee, genau wie teuer. Und notwendig. Eine lange, wohltuende Pause; Hanni benutzt die Computer und ich schaue aus den Fenstern auf die Burg.
Wieder halbwegs wach soll der nächste Stopp dem zweiten leiblichen Notstand dienen: Hunger. Nachdem einem selbst die, vollkommen überraschend anwesenden, spanischen Einwohner der Stadt nichts nahes Neues nennen können, geht es eben wieder auf die Meadows. Das, wie sich der aufmerksame Leser oder Edinburgh-Kenner erinnern wird, sind Parks im Süden der Stadt. Nicht viel mehr als Wiesen mit kleinen Kirschalleen hindurch, nichtsdestotrotz sehr gemütlich und ruhig. Der richtige Ort, um die restlichen Essbestände aus dem Rucksack in den Mund zu befördern und für eine halbe Stunde die Augen zuzumachen. Dann wird es ohne Jacke und Sonne am Vorabend doch etwas kühl, denn erstere hab ich ja in der Tasche in der Gepäckabgabe gelassen. Überhaupt ist es bald acht Uhr und Zeit, unser Nachtquartier aufzusuchen, also fix zum Bahnhof und mit der schweren Tasche wieder in der Hand einen Bus gesucht.
Sommer ist Schreizeit
Ich hab die Linie zur Wardieburn Street jetzt wer weiß wie oft benutzt, und trotzdem ist es immer dasselbe: egal ob ich die richtige Haltstelle zwei Stunden vorher noch gefunden hatte; brauche ich sie erneut, erkenne ich sie unter Garantie nicht wieder. Also wo war das jetzt? An diesem Ende der Princes Street oder ganz weit weg am anderen? Und gab es nicht drei Linien zu Claudias Viertel? Wieso sieht man jetzt nur noch eine? Und wann kommt die? Grad erst weg? Und erst in einer Stunde wieder da? Es MUSS doch noch andere geben! Also Hanni an einer Haltstelle abgestellt und auf der anderen Straßenseite geguckt, sie hoch und runter gerannt. Okay, es gibt keine andere. Mal wieder viel zu spät im Wardieburn Unit, wo man die dortigen Freiwilligen durch die im Sommer nun offenen Fenster des Wohnzimmers bis auf die Straße hören kann. Und man sich auf die gleiche Weise meldet, wozu klingeln? CLAUDE! CLAUDE-MARIE!!!
Freizeitneid
Hey da sind wir wieder, fast drei Monate ist’s her. Claudia ist da, Jenny ist da, Miriam ist auch wieder anwesend; nur Elise leider grad in Frankreich, dafür haben wir Ersatz in Form von Mathieu. So kann Hanni auch mal andere EVSler sehen und hören und es gefällt ihr ausgesprochen gut. Kein großes Abendbrot diesmal und ohnehin gehen wir alle zu sehr verantwortungsvollen Zeiten ins Bett.
Aber es ist doch schön, sie nochmal zu sehen. Wobei ich mich manchmal frage, was sie dort oben machen: Miriam scheint grundsätzlich nur im Urlaub zu sein und hat, wenn ich mich nicht verzählt habe, zwanzig Wochen frei. Die ist gerade von einem Monat Irland zurück gekommen, während sie beim letzten Mal von ihren drei Wochen London und New York erzählt hat. Naja, Bayern...