Psychoterror
Alles begann damit, dass wir auf dem On-Arrival-Training von unseren Diensten berichten und uns austauschen sollten. Das ganze Inferno gipfelt in einem Kontrollbesuch der Nationalagentur.
Alles begann damit, dass wir uns auf dem On-Arrival-Training mit den anderen Freiwilligen gegenseitig von unseren Diensten berichten und uns austauschen sollten. Als Nathalia und ich von den Zuständen erzählten, fielen die Betreuer und die Verantwortliche von der Nationalagentur aus allen Wolken – und wir gleich hinterher. Woher hätten wir auch wissen solle, dass der Standardsatz für Essensgeld 7 € beträgt und nicht wie unsere Organisation behauptet 2,70 € oder 3,60 €.
Auch damit, dass wir das Geld nicht bar ausgezahlt bekommen sondern in Form von nutzlosen Gutscheinen, mit denen man praktisch gar nichts anfangen kann, waren wir Einzelfälle. Auch, dass wir unsere Wäsche mit der Hand waschen müssen und über der Heizung trocknen, konnte sich kein anderer vorstellen. Wir hatten das Problem mit der Wäsche und dem Verpflegungsgeld zwar schon öfter in der Organisation angesprochen, aber unsere Anliegen wurde immer damit zurückgewiesen, dass wir nicht so anspruchsvoll sein sollten, und dass wenn uns eine Mahlzeit am Tag nicht reicht, wir ja noch unser Taschengeld hätten.
Was die Wäsche betrifft, hat mein Mentor mal angeboten, wir könnten sie zu ihm bringen, er wohnt ja auch nur am anderen Ende der Stadt. Nach über einer Woche Warten (ich habe ihm jeden Tag gesagt, dass ich nichts sauberes mehr habe) musste ich dann irgendwann ich Schlafanzug zur Arbeit gehen, bis er endlich begriffen, dass ich meine Klamotten auch zurück haben möchte. Ich habe ihm dann nichts mehr zum waschen anvertraut und mich mit meinen Waschbecken begnügt.
Dass wir keinen Sprachkurs und keinen Kurs der internationalen Gebärdensprache haben, wurde von unserer Organisation immer damit gerechtfertig, dass wir "so viele andere Kosten verursachen". Am teuersten war laut unserem Mentor unsere Unterkunft, die angeblich für uns zusammen knapp 700 € kosten sollte, eine unvorstellbare Summe für slowakische Verhältnisse.
Was die anderen Probleme betrifft, argumentierte er immer so, dass halt deswegen für Essen und Sprachkurse und andere Leistungen kein Geld mehr übrig wäre. Wir haben ihm dann auch offen gesagt, dass wir unsere Unterkunft hassen und da nur wegwollen, woraufhin er meinte, das sei unmöglich. Wir haben dann noch mal die Chefin gefragt, die wiederum meinte, es sei möglich, aber wenn wir was billigeres finden (in der Slowakei ne Zweizimmerwohnung zu finden, die billiger als 700 € ist, ist übrigens echt nicht schwierig) sollen wir ja nicht glauben, dass wir dann mehr Geld für andere Dinge zu Verfügung hätten. Das gesparte Geld würde angeblich direkt an die Nationalagentur zurückgehen… und weiterer Käse….
Glücklicherweise klärten uns die Betreuer auf dem On-Arrival-Training über unserer Rechte auf und boten uns an, unserer Organisation einen Kontrollbesuch abzustatten. Ich habe nach dem am Wochenende gründlich darüber nachgedacht habe, dann am Montagmorgen der Nationalagentur geschrieben und meinem Interesse an der Lösung einiger Probleme, die ich mit meiner Organisation habe, gebeten. Die Beauftragte hat sich noch am Nachmittag bei mir gemeldet, zufällig kurz nachdem unser Mentor uns mit neuen haarsträubenden Zumutungen und unglaubwürdigen Begründungen überfallen hatte.
Am Telefon im Gespräch mit der Frau von der Nationalagentur sprudelte es nur so aus mir heraus, ich habe meine ganze Verzweiflung und Hilflosigkeit nur so in den Hörer entladen und sie beschloss noch am Mittwoch zu einer Kontrolle vorbei zu kommen.
Allerdings bat sie mich und Natalia ihr bis spätestens Abend eine Liste mit allen problematischen Vorkommnissen und Missständen zukommen zu lassen.
Am Abend saß ich dann allein da, weil Natalia panische Angst bekommen hatte und lieber einen Rückzieher machen wollte.
Ich kam mir verarscht vor und hätte beinahe selbst aufgegeben, weil ich fühlte, dass ich diesen Kampf nicht alleine würde ausfechten können, habe mich dann aber doch überwunden, alles ganz sachlich aufgeschrieben und mit gemischten Gefühlen "senden" geklickt.
Als die Mitarbeiter am nächsten Tag davon erfuhren, dass die Nationalagentur vorbei kommen würde, hatten wir keine friedliche Sekunde mehr. Ich bereute schrecklich, dass ich am Abend diese Mail geschrieben hatte und hätte es am liebsten alles rückgängig gemacht.
Die Feindseligkeit seitens unserer Organisation war derart intensiv, dass ich mich begann dafür zu schämen, mich für mein Recht einzusetzen.
In einem fingierten "Wir-reden-jetzt-mal-ganz-offen-und-nett-Gespräch" wurden wir dann massiv unter Druck gesetzt unsere Kritik zurück zu nehmen, die Chefin machte uns bodenlose Vorwürfe, wir würden unseren Pflichten nicht nach kommen und überhaupt hätten wir keine der gestellten Aufgaben erfüllt.
Der Gipfel des Ganzen war, dass man am Mittwochmorgen versucht hat uns zu zwingen Abrechnungen zu unterschreiben, auf denen aufgelistet war "welche Kosten wir angeblich verursacht haben". Die Nervosität der übergewichtigen Finanzbeauftragten war unübersehbar und machte alles nur noch verdächtiger. Ich zögerte mit meiner Unterschrift und sie wurde ungemütlich.
Sie wurde schließlich so laut und unverschämt, dass ich glaubte ich könnte mich gar nicht gegen ihre psychoterroristische Manipulation zur Wehr setzen. Ich weiß gar nicht was los war, aber ich verlor in der Ungeduld und Wut, die sie ausstrahlte jedes Selbstbewusstsein.
Sie hatte es geschafft, ihre 120 Kilo Körpermasse hatten eine derartige Aufdringlichkeit, dass ich nur noch unterschreiben wollte, nur noch Ruhe, nur noch diesem Druck entkommen.
Doch genau das war es, was sie wollte, das war ihre Methode: Einschüchterung.
Ich bin in ihrer Lautstärke kurzzeitig schwach geworden und habe gesehen, wie Natalia neben mir, die das gleiche Dokument unterschreiben sollte nach dem Stift griff.
Kurz fiel mir ein, dass in einem Tatort mal ein Kommissar in einer ähnlichen Situation war und einfach mit dem Namen Pinocchio unterschrieben hat. So was funktioniert aber glaube ich nur im Film; wenn es die Handschrift ist, hat es Rechtsgültigkeit, außerdem hatte ich Angst, sie würde die Unterschrift überprüfen und das hätte sie sicher noch mehr provoziert.
Ich habe mich geweigert und gesagt: „ Ich glaube dieser Organisation kein Wort mehr, die Abrechung ist gefälscht und wenn ich weiter angeschrieen werde sie zu unterschreiben, zerreiße ich sie.“
Daraufhin hat die für die Finanztante wutschnaubend den Raum verlassen, ich wäre am liebsten im Boden versunken, so runtergeputzt, so klein, so nieder habe ich mich gefühlt.
Wir haben dann mit unserem Mentor noch mal versucht in Ruhe darüber zu reden, ob man nicht wirklich was an den Essensgutscheinen ändern könnte, doch er blockte immer ab und sagte, dass das nicht möglich sei und wir im Falle einer Cashauszahlung des Essensgeldes noch weniger bekommen würden. Auch die Durchführung des im Activity-Agreement versprochenen Sprachkurses wurde von ihm als unmöglich abgetan.
Gegen Mittag kamen dann endlich die beiden Beauftragten von der Nationalagentur, Natalia und ich fühlten uns wie erlöst. Die Chefin versuchte sofort die beiden von uns abzulenken und zu verhindern, dass wir mit ihnen reden konnten. Sie meinte "Ich muss gleich weg, erst mal reden Sie mit mir und dann können Sie sich ja noch anhören, was die Freiwilligen dazu zu sagen haben."
Zum Glück waren die Damen von der Nationalagentur klug genug um ihre Absicht zu durchschauen und widmeten sich erstmal uns. "Aber nur fünf Minuten, ich muss gleich weg", krächze unsere bescheuerte Chefin bevor sie mit der Tür knallte.
Nach unseren fünf Minuten, in denen wir alles, wirklich alles mit atemberaubender Lichtgeschwindigkeit schilderten, hatte unserer Chefin dann allerdings doch noch über drei Stunden Zeit die Nationalagentinnen zu bequatschen.
Wir haben hinterher erfahren, dass sie das meiste geleugnet und uns in schlechtes Licht gestellt hat. Sie hatte ernsthaft versucht uns unglaubwürdig zu machen, sich aber dadurch selber nur noch lächerlicher gemacht.
Auf jeden Fall waren die beiden Nationalagentinnen voll auf unserer Seite und haben am Ende sogar noch eine Barauszahlung des Essensgeldes rausgeholt, die ja angeblich "so unmöglich" sein sollte. Übrigens wird der Betrag dadurch keineswegs gemindert, wir sollen jetzt sogar noch mehr Geld bekommen. Übrigens stellten sie auch die Aussagen unseres Mentors und der Chefin über die Unterkunft als falsch heraus.
Letztendlich kam auch heraus, dass die Unterkunft bei weiten nicht so teuer ist, wie immer behauptet wurde, und das der ausgedachte Preis von 700 € immer nur dazu benutzt wurde, um zu rechtfertigen, warum unsere Organisation nicht für andere Dinge aufkommt.
Was bleibt ist trotz allem riesengroße Enttäuschung.
Enttäuschung darüber, dass es die Nationalagentur braucht, damit uns endlich mal die Wahrheit gesagt wird und wir die Dinge bekommen, auf die wir Anspruch haben.
Darüber hinaus bin ich entsetzt darüber, mit wie viel Phantasie sich unser Mentor, die Chefin und weitere Mitarbeiter Ausreden und fadenscheinigste und widersprüchlichste Begründungen für den Verbleib der Fördermittel ausgedacht haben.
Nach dem die beiden Damen von der Nationalagentur gegangen waren, ist unser Mentor dann in Tränen ausgebrochen. Er tut mir leid, ich weiß, dass er von der Chefin unter Druck gesetzt wurde, uns zu verwirren und von den wahren Problemen permanent und latent abzulenken. Doch bei allem Mitleid, das ich für ihn empfinde, ist das Vertrauen nachhaltig beschädigt.
Was bleibt ist auch Angst vor der Rache unserer Organisation.