Przystanek Woodstock
Mehr als nur ein Festival
Das Festival „Przystanek Woodstock“ (auf deutsch: Haltestelle Woodstock) fand dieses Jahr zum 23. Mal in Kostrzyn nad Odrą, etwa 100 km von Berlin, statt. Mit 750 000 BesucherInnen im Jahr 2014 gehört es neben dem Orange Warsaw Festival, dem OFF Festival und dem „Tauron Nowa Muzyka“ in Katowice, sowie dem Open’er Festival in Gdynia zu den größten und bekanntesten Festivals in Polen. Im Unterschied zu den anderen kostet es keinen Eintritt.
Und es hat eine Geschichte. In Polen gibt es schon seit 1993 die nichtstaatliche Wohltätigskeitsorganisation „Wielka Orkiestra Świątecznej Pomocy“ (WOŚP), die über das ganze Jahr und mit einem Finale zum Beginn des neuen Jahres, Spenden für die medizinische Versorgung von Kindern und Senioren in polnischen Krankenhäusern sammelt. Zum Dank für eine Spende verteilen die zahlreichen beteiligten Freiwilligen einen roten Herzaufkleber, dem man überall im Land begegnet. Dieses Jahr wurde die Spendenaktion zum ersten Mal nicht vom öffentlichen Rundfunk und Fernsehen, sowie von der polnischen Armee unterstützt. Trotzdem wurde wie in all den Jahren davor ein neuer Spendenrekord aufgestellt.
Zurück zum Festival, dieses wird nämlich alljährlich von WOŚP organisiert und finanziert, um sich bei all den Menschen zu bedanken, die sich an der Spendenaktion beteiligt haben. Da die PiS-Regierung der Stiftung kritisch gegenübersteht, versucht sie auch das Woodstock-Festival zu unterbinden. 2016 tat sie das, indem sie Spendengelder strichen, das Festival als Risiko-Ereignis einstuften, sodass die Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden mussten und damit die Kosten stiegen. Auch dieses Jahr stand es auf der Kippe, ob das Festival noch einmal stattfinden kann. Durch den großen Rückhalt aus der polnischen Bevölkerung, kamen jedoch auch dieses Jahr vom 3. bis zum 5. August wieder viele Tausend Menschen bei dem Festival zusammen, das unter dem Motto „Liebe, Freundschaft und Musik“ steht.
Viele BesucherInnen reisen schon vor dem eigentlichen Beginn des Festivals an und schlagen ihre Zeltlager auf dem Festivalgelände auf. Kurz davor fahren Züge und Busse aus ganz Polen voll mit Festivallustigen nach Kostrzyn nad Odrą. Daneben gibt es natürlich noch die die mit ihrem Auto kommen oder dorthin trampen. Fährt man mit dem Zug, fühlt man sich augenblicklich wie in einer anderen Welt. Es wird extra ein älteres Zugmodell für die Festivalgäste genommen, das keinen großen Schaden nehmen kann und bei dem die Abwässer noch direkt auf den Gleisen landen. Da die Reisenden in dem Zug rauchen, trinken, singen und tanzen, stört das jedoch keinen großen Geist. Ganz untypisch für die polnische Mentalität wird man direkt angesprochen, hat plötzlich eine neue Schwester oder eine Gurke aus dem eigenen Garten in der Hand.
Auf dem Festival geht das so weiter. Es gibt ein inflationäres Angebot von „Free Hugs“, man teilt sein Shampoo unter den eiskalten Duschen und alle sind offen, nett und freundlich, so wie man das von einem Hippie-Festival erwartet. Die Konzerte sind mehrheitlich von polnischen Rockgruppen, aber eben nicht nur. Dieses Jahr waren zum Beispiel auch „Mando Diao“ aus Schweden, „Dub Inc“ aus Frankreich und „Nothing But Thieves“ aus Großbritannien dabei.
Daneben gibt es ein vielfältiges Workshop-Angebot: von Trommeln, Meditation und Kunst über Esperanto, gewaltfreie Kommunikation, Erste-Hilfe-Kurse für Haustiere bis zu Theater. Die Akademie der Schönen Künste lädt bekannte Persönlichkeiten ein, denen die FestivalteilnehmerInnen dann ihre Fragen stellen können. Für all das ist es natürlich von Vorteil, wenn man Polnisch spricht, oder polnische Freunde hat. Doch natürlich findet sich auch immer jemand, der bereit ist, zu übersetzen und zu erklären.
Zwei religiöse Gruppen sind auf dem Festival auch vertreten. Noch vor dem eigentlichen Festivalgelände steht ein großes Zelt mit dem Namen „Przystanek Jezus“, dort verteilen Anhänger der katholischen Kirche kostenfreie Festivalbibeln, laden zu ihren kulturellen Veranstaltungen ein und waschen die Füße der FestivalbesucherInnen. Ein größerer Teil wird von der „Hare Krishna“-Bewegung eingenommen. In ihrem „Viva Kultura“-Bereich gibt es Konzerte, veganes Essen, Mantra-Gesang, Yoga, Lesungen und Treffen mit den Gurus.
Insgesamt also ein tolles Erlebnis für alle, die Festivals lieben, das allerdings noch dazugewinnt, wenn man die polnische Sprache beherrscht und die Hintergründe des Festivals kennt.
Das was auf deutschen Festivals übrigens die Suche nach Heeelgaaaa ist, hat in Polen ein Äquivalent mit Aaaaandrzeeej.
http://en.woodstockfestival.pl/
https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fes_Orchester_der_Weihnachtshilfe
https://www.heise.de/tp/features/Polen-Die-Spiel-und-Spassverderber-3278806.html
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