Polen hat für mehr "Recht und Gerechtigkeit" gestimmt
Die polnischen Wähler haben gezeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg kein Garant für politische Siege ist: Die nationalkonservative PiS kann nach acht Jahren Opposition die Regierungsmacht wahrscheinlich allein übernehmen. Wofür stehen diese und andere Parteien im Sejm? Das deutsche Links-Rechts-Schema lässt sich nicht so leicht auf die Politik unserer Nachbarn übertragen.
2015 ist für die Polen ein „Superwahljahr“: Nach der Präsidentschaftswahl im Mai wurde gestern ein neues Parlament (Sejm) gewählt. Aus beiden Wahlen geht die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) als klare Siegerin hervor. Nach aktuellen Hochrechnungen führt sie mit 37,7% und könnte die absolute Mehrheit im Sejm erhalten. Das Kräfteverhältnis hat sich zugunsten von nationaleren und EU-kritischen Tönen verschoben. Aus westlichen Nachbarländern betrachtet hätte es die liberal-konservative Regierung unter Führung der Bürgerplattform (PO) bisher nicht besser machen können: Die polnische Wirtschaft und Währung behielt ein stetes Wachstum während sich das restliche Europa durch die Krise manövrierte.
Aber für die polnischen Wähler war diese positive Zahl nicht genug, um der PO für eine dritte Legislaturperiode zu vertrauen. Doch eigentlich gleicht es einem Wunder, dass die Bürgerplattform und die PSL mit bäuerlichem Klientel acht Jahre das Land führen konnten. Polen kennt freie Wahlen erst seit 25 Jahren und das Misstrauen ins politische System schlägt sich in der chronisch niedrigen Wahlbeteiligung nieder, die um die 50% dümpelt. Ähnlich labil und wechselhaft zeichnet sich die Parteienlandschaft ab: Zwei der fünf Parteien, die nun ins Parlament einziehen, waren bei der letzten Sejmwahl noch nicht mal zu erahnen. Ein erster Grund für die Abstrafung der PO kann also ganz simpel sein – es ist Zeit für Veränderung.
Was also hat die Regierung in den letzten Jahren falsch gemacht, wenn sie als so undynamisch und ignorant gilt? Zumindest der Premier Donald Tusk galt in der EU als fähiger und kompromissbereiter Lenker und bekam so den Posten des EU-Ratspräsidenten in die Hände gelegt. Ihm nachgerückt ist Ewa Kopacz, die zwar nicht als unfähig, aber als wenig charismatisch gilt. Aber es hätte wohl auch unerreichbar hohes Charisma gebraucht, um die Wähler die delikate Abhöraffäre des letzten Jahres vergessen zu lassen. Was geheime und illegale Tonbänder an Gesprächen zwischen Politikern und führenden Männern aus Finanzen und Wirtschaft aufgezeichnet haben, treibt nicht nur treuen polnischen Katholiken die Röte ins Gesicht. Diese pikanten Wortwechsel fanden außerdem in den teuersten Warschauer Restaurants statt. Noch mehr galt die Bürgerplattform nun als Partei der arroganten Großstädter, die sich der wirklichen Sorgen der Bürger nicht annimmt. Die Plattform hat einen erfolgreichen Wirtschaftskurs geführt und auch gesellschaftlich auf liberale Themen gesetzt (für ein so katholisches Land). Wachstum in Zeiten der Krise, geringere Arbeitslosigkeit und internationales Investment schlagen sich in der Statistik nieder, scheinen aber von den Wählern unbemerkt zu bleiben. Äußerungen in Straßeninterviews zeugen von Missmut gegenüber der überstrahlenden Omnipräsenz internationaler Handelsketten. Die Arbeitslosigkeit ist zwar gesunken, aber die Jobs sind keineswegs sicherer. Die Reallöhne sind nicht im gleichen Takt gestiegen und wurden in oftmals halbseidenen Verträgen festgesetzt.
PiS konnte also nicht nur mit nationaler Polemik punkten, sondern hat insbesondere mit einem Sozialprogramm gelockt, welches in Deutschland als eher links gelten würde. Die PO sitzt mit Merkels CDU in der gleichen Europartei, aber ihr Kapitalismus gilt vielen als zu kalt und unsozial. Die PiS hat im engen Schulterschluss mit der katholischen Kirche die Nähe der Landbevölkerung gesucht. Radio Maryja, das Sprachrohr der Ultrakonservativen, hat jedoch keine neuen Wähler angelockt. Dank neuer Gesichter hat sich die Partei von ihrem Image als nörglerischer, reaktionärer Kirchenvertreter gelöst. Eine Sozialpolitik mit hohen (vielleicht leeren?) Versprechungen erschien auch einer jungen Generation, die sichere Jobs eher im Ausland sucht, attraktiv genug für ein Kreuz auf dem Wahlzettel. Außerdem ist das alte Image der Nationalkonservativen mit ihrem Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski verknüpft. Sein Zwillingsbruder Lech war Präsident als er beim Flugzeugabsturz in Smolensk starb. Dieses größte Drama der jüngeren polnischen Geschichte hat die Beziehungen zu Russland auf einem historischen Tiefpunkt erkalten lassen. Der Name Kaczynski ist ebenso wenig mit guten Beziehungen zu Deutschland verbunden. Polnische Medien haben die Äußerung von Merkels Sprecher Seibert, dass beide Länder selbstverständlich ihre freundschaftlichen Beziehungen pflegen werden, mit Interesse aufgenommen. Interessant wird es in der Außenpolitik weiterhin, denn Ratspräsident Tusk und Kaczynski sind sich in gegenseitiger Antipathie verbunden. Die PiS ist Mitglied in der gleichen Europartei wie die britischen Tories und teilt viele Ansichten zur EU-Kritik. Allerdings lehnt Camerons Partei insbesondere die Freizügigkeit der Arbeiter an, von der im Vereinigten Königreich insbesondere polnische Migranten profitieren.
Doch eigentlich wird kein ausländischer Politiker mit PiS-Vorsitzendem Kaczynski verhandeln müssen. Der Posten des Regierungschefs bleibt trotz Parteiwechsels in den Händen einer Frau: Beata Szydlo hat erfolgreich einen sehr amerikanischen Wahlkampf für Präsident Andrzej Duda gemanagt und nun ihre Partei siegreich durch einen weiteren Wahlkampf geführt. Sie glänzte nicht durch ausfallende Polemik, sondern ihr Image als bodenständige Bergarbeitertochter verhalf ihr zu Sympathien bei neuen und alten Wählergruppen. Bisher war sie in der nationalen Politik eher eine Unbekannte und vermutlich war es mehr Protegieren als eigener Kampf, der sie an die Spitze gebracht hat. Andererseits deuten Beobachter die lange Rede Kaczynskis am Wahlabend als Zeichen, dass er weiterhin die Fäden zieht.
Um diesen Artikel nicht weiter in die Länge zu ziehen, folgt eine Analyse der kleineren Parteien später!
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