Operation Wolkensäule: Ende gut, alles gut?
Gestern Abend um 21 Uhr, 24 Stunden später als zunächst angekündigt, unterschrieben Israel und die Hamas den Waffenstillstandsverstrag. Aber aus irgendeinem Grund fällt es mir schwer, den Optimismus zu teilen, mit dem Hillary Clinton in die Kamera blickt...
Nun ist also die die versprochene Waffenruhe da. Genau 24 Stunden nach der versprochenen Unterzeichnung fand sie heute, am 21. November 2012 um 21:00 Ortszeit (20 Uhr in Deutschland) tatsächlich statt. Viele atmen auf: Jetzt ist es vorbei. Denn die letzten 36 Stunden vor der Einigung waren die schlimmsten der letzten Tage:
Gestern Abend erreichte uns zunächst eine Nachricht aus Gaza, die eine Welle der Fassungslosigkeit ausgelöst hat: In Gaza Stadt wurden fünf vermeintliche Kollaborateure der Israelis auf offener Straße hingerichtet; sie wurden aus einem Van gezogen, mussten sich mit dem Gesicht auf den Bordstein legen und wurden einer nach dem anderen von hinten erschossen. Anschließend errichteten die Hamas-Milizen einen Leichenberg aus ihnen, der von Umstehenden beschimpft und bespuckt wurde. Einen der toten Männer banden sie an ein Motorrad uns schleiften seinen Körper durch die Straßen der Stadt. Die Bilder der jubelnden Menge sind unerträglich. Quelle: http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/hamas-executes-6-suspected-israel-collaborators-1.479316
Ungefähr zur gleichen Zeit wird weiter das Landesinnere beschossen. Eine Rakete trifft ein Wohnhaus in Rishon Le Zion nahe Tel Aviv, eine Frau wird verletzt. Weitere Dutzende von Raketen treffen den Süden, die Wüste, eine Schule in Ashkelon. Glücklicherweise findet derzeit kein Unterricht statt.
Ein israelischer Soldat wird an der Grenze von einem Splitter getötet. Damit steigt die Zahl der israelischen Opfer auf 5 Tote.
Heute, Mittwoch, ist plötzlich das Handynetz überlastet. Ich stehe am zentralen Busbahnhof in Haifa und warte auf meinen Bus. Ein Gefühl von Panik nimmt mich in Besitz. Ich öffne Ynet auf meinem Smartphone, eine der wichtigsten israelischen Nachrichtenseiten. Eine Bombe, in einem Bus in Tel Aviv. Meine Knie zittern. NEIN! Nicht das. Bitte nicht.
Die ganze Zeit, egal, wie viele Raketen gefallen sind, „Iron Dome“ hat Sicherheit geboten, die meisten Raketen wurden abgewehrt, von mehreren Tausend während der letzten Monate haben nur 3 tatsächlich Todesopfer gefordert. Aber Attentate, wie damals, ändern alles. Terroranschläge auf Busse können überall passieren, es gibt kein Frühwarnsystem, und die Reichweite ist nicht beschränkt, ebenso wenig die Anzahl von Bomben. Mein Bus kommt, ich steige ein, als Einzige nicht in Uniform, trotzdem bin ich nervös.
Der Anschlag im Bus wurde von der Gruppe „Al-Aqsa Märtyrer“ durchgeführt; die Bombe wurde unter einem Sitz platziert, die beiden Terroristen flohen vor der Explosion. Der männliche Täter wurde gefasst, seine Begleiterin wird noch gesucht. Mindestens vier der Insassen wurden schwer verletzt, weitere leicht, keine Todesfälle.
Ich beobachtete die Menschen um mich herum, die Anrufe erhielten, die es sich erzählten, beobachtete ihre Gesichter, die Fassungslosigkeit, die Angst, welche die gleichgültige Fassade bröckeln lassen. Wut, Verzweiflung. Die Menschen rückten näher zusammen, physisch. Ich fühlte mich vollkommen leer.
Von diesem Standpunkt aus ist eine Waffenruhe die einzig richtige Entscheidung. Aber natürlich sind es leere Phrasen. Die gezielten Tötungen werden aufhören, ebenso die Raketen, das sagen sie zumindest. In der Stunde, seit der Vertrag unterschrieben wurde, erreichten Israel mindestens noch fünf Raketen; die Hamas gaben an, dies nun zu unterbinden. In Gaza wird gefeiert.
Noch wurden die genauen Konditionen des Waffenstillstands nicht veröffentlicht. Dass es sich um keinen Friedensvertrag handelt, soviel steht fest. Hillary Clinton und Mohammed Morsi lächeln in die Kamera; sie sind die Vermittler, die Friedensstifter. Dabei hat sich die Situation nicht geändert. Beide Seiten sind ärmer geworden. An Menschenleben, Sicherheit, Vertrauen. Die Fronten haben sich verhärtet. Und wie lange diese Ruhe hält, ist natürlich ungewiss.
Trotzdem war es in Anbetracht des Anschlages von heute Mittag selbstverständlich der einzig richtige Schritt. Es ist natürlich auch die Frage, wie nützlich eine Bodenoperation gewesen wäre. Aber weitere Anschläge zu provozieren, wäre unverantwortlich!
Und es bleibt die Frage: Die Hamas haben also diese Runde „gewonnen“ in Gaza. Aber was passiert mit der Islamischen Dschihad? Mit den Al-Aqsa Märtyrern? Wie wird sich der Iran verhalten?
Und: Was wird in Syrien passieren? In Jordanien? Was ist mit den beiden Raketen, die im Libanon gefunden wurden? Die Politik aus dem Alltag zu verdrängen ist eine mehr als verständliche Abwehrreaktion der Israelis:
Das Gesicht der Nation heute Abend ist das der Resignation. Morgen schon wird es aussehen, als haben alle vergessen, was in den letzten Tagen passierte; nächste Woche spricht hier niemand mehr darüber. Aber die Angst bleibt, unsichtbar, ein Schatten auf dem Gesicht eines und einer jeden.
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