Oktopus zum Frühstück
Die Zeit ist mal wieder vergangen, die Temperaturen steigen endlich wieder merklich und versetzen mich in einen trägen, Mittagsschlaf fordernden Zustand, der wenig Zeit für das Blogschreiben lässt. Aber trotzdem: Hier kommt mal wieder einer!
„Φεύγουν οι ώρες οι μέρες οι εβδομάδες, φεύγουν οι μήνες τα χρόνια οι εποχές...“
Okay, das mit den Epochen ist übertrieben, aber dass die Stunden, Wochen, Monate und Jahre vergehen kann ich bestätigen. Der März ist schon fast vorbei, die Bewerbungen der potentiell zukünftigen EVSler trudeln ein und ich wundere mich angesichts der großen Anzahl eben dieser darüber, wie das Schicksal vor ungefähr 11 Monaten doch einfach seinen eigenen Willen durchgesetzt und ausgerechnet mich nach Nikosia gelotst hat.
Die obige Zeile stammt dem griechischen Lied eines Musicals und wurde zum Lipdub-Song meiner Organisation gewählt. Wer nicht weiß, was Lipdub ist, muss diesen Begriff einfach mal bei YouTube eingeben und wird dadurch schlauer als durch meine Erklärung, dass es sich dabei um die Lippensynchronisierung eines Liedes in einem Video handelt, welche häufig als Methode zur Präsentation eines Ortes (z.B. Schulen, Unis, NGOs) benutzt wird.
Und genau das haben wir in unserem Kulturzentrum zusammen mit den Jugendlichen auch gemacht. Das Schwierige an so einem Video ist, dass alles in einer Sequenz gefilmt wird! Es war ein sehr anstrengender, nervenaufreibender und zweifelproduzierender Prozess, an dessen Ende das fertige Video eine für mich angenehm positive Überraschung war. Seit heute ist es unter folgendem Link auf YouTube verfügbar: http://www.youtube.com/watch?v=BSbw3F14coI
Entgegen meiner Pläne bin ich letztendlich auch im Video gelandet und musste spontan sogar einen Teil des griechischen Liedes synchronisieren. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt nicht genau wusste, was ich da eigentlich singe, hat es zum Glück ganz gut geklappt. Die allgemeine Nachricht des Liedes habe ich aber verstanden, und damit sie auch international verständlich ist, haben wir neben dem Remix aus griechischem Musicalstück und Partymusik auch noch die englische Originalversion des bedeutungsvollen Liedes miteingebaut.
Im Songtext geht es um die Frage „How do you measure a year?“ („Wie misst man ein Jahr?“) und nach mehreren Vorschlägen wird dann die scheinbar ultimative Antwort herausgesungen „Wie wär’s mit Liebe? Miss dein Leben in Liebe!“
Im Nachhinein habe ich mir gedacht, dass das doch eigentlich eine ganz nette Fragestellung für meinen Freiwilligendienst ist. Wie messe ich diese 10 Monate Europäischen Freiwilligendienstes?
In 304 Tagen, 7.296 Stunden, 437.760 Minute oder 26.265.600 Sekunden? Zeiteinheiten sind vielleicht die genausten und rationalsten Parameter, aber darüber hinaus sagen sie kaum etwas aus. Und das mit der Liebe finde ich ehrlich gesagt auch eher schwierig.
Nein, ich denke spontan eher sichtbare Dinge: die Zentimeter, um die meine Haare gewachsen sind oder die Anzahl der Sommersprossen, die die Sonne in meinem Gesicht hinterlassen hat, die Menge der Fotos auf meinem Laptop und die damit verbundenen Erinnerungen, die gefüllten Seiten in meinem Griechischheft und die markierten Orte auf der Karte an meiner Wand.
Ich könnte die Zeit auch in Lebensmittel messen, die ich auf Zypern mögen gelernt habe: Oliven, Wein, Tahini, Popcorn, „richtiger“ Halloumi, Zwergtintenfisch und Oktopus.
Ja, und einer dieser Oktopusse wurde an einem denkwürdigen Montagmorgenfrühstück (auch ausgedehnte Montagmorgenfrühstücke könnte ich als Maßeinheit benutzen) zum Protagonisten. Leider war es wohl auch der vorerst letzte Oktopus, da unsere Quelle letzte Woche beschlossen hat, die Reste des Mittagstisches zukünftig ausschließlich an finanziell schwache Familien zu geben. Aber immerhin hat dieser Letzte mit seinem besonderen Auftritt noch eine bleibende Erinnerung beschert. Und es war wieder einer dieser Momente, die nur hier und jetzt möglich sind.
Was für Momente es ansonsten in der letzten Zeit noch so gab:
- In unserer zweiten Kochstunde in zypriotischer Küche lehrte uns Chrystalla wie man τυρόπιτα (salziger, also echter Käsekuchen) und φακές (Linsen mit Reis) zubereitet. Chrystalla kocht übrigens ausschließlich mit einem deutschen Gerät namend Thermomix, welches alles kann: wiegen, mixen, rühren, kochen, Zeit stoppen.
- Ich wurde ein Street Artivist und habe in einer Gruppe von Artivisten auf eine kreative Art und Weise Menschen in der Fußgängerzone der Altstadt zum Nachdenken über die Frage «Was ist eine Frau?» angeregt.
- Ich habe in Limassol im Rahmen eines Geburtstages eine Tour durch so ziemlich alle Bars dort gemacht.
- Es gab eine Begegnung mit einem Mann, der seine und die Vergangenheit Zypern künstlerisch verarbeitet und sein Haus damit geschmückt hat. Sechs Tage nach unserem Besuch ist dieser Mann leider verstorben.
- Ich habe versucht einen Linsen-Nudel-Auflauf statt mit 125ml Wasser mit 2,5 l Wasser zu kochen.
- Die Frappé-Saison ist wieder eröffnet! Seit einer Woche habe ich keine einzige Wolke mehr am Himmel gesehen. Wir haben um die 22°C.
- Im Griechischunterricht lernen wir gerade die einfache Zukunft.
Και τώρα θα τελειώσω αυτό το κείμενο.
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