NORWEGEN | Die Leidenschaft der Norweger
Norwegen – das Land der Elche, Rentiere und Wale. Diese possierlichen Tiere sind dort jedoch nicht nur zum Gucken da – spätestens jeden Herbst sind sie auch zum Essen da. Und das nicht als Tischgenossen. Eine kleine Reflexion norwegischer Essgewohnheiten.
Zu Norwegen fällt mir eigentlich ausschließlich Positives ein. Die umwerfende Landschaft, die Leute, die Kultur, die Ruhe - das alles habe ich mittlerweile schon total verinnerlicht. Und doch gibt es da etwas, mit dem sich die Norweger in weiten Teilen Europas keine Freunde machen. Vor allem wir Deutschen können besonders die Jagd auf Wale und Elche überhaupt nicht nachvollziehen. Schon oft bin ich mit einem Ausdruck des Abscheus gefragt worden: "Hast du etwa auch Walfleisch essen müssen?"
Für uns ist das Wort "Wal" wohl eher ein Synonym für den freundlichen Riesen Keiko in Free Willy, während der Elch ein ulkiges Wesen ist, das durch den Wald springt. Die Mehrzahl von uns hat keines dieser beiden Tiere jemals aus nächster Nähe gesehen. Vielleicht ist deshalb das Interesse so groß.
Wie können es die Norweger also wagen, solche wunderbaren Geschöpfe der Natur zu jagen, zu erschießen, ja sogar zu essen und als Delikatesse zu bezeichnen?
Die Jagd ist hier ein regelrechter Volkssport. Es gibt Gruppen und Vereine, die nur zu diesem Zwecke gebildet werden. Zur Jagdzeit (keine Angst, für den Elch sind es zum Beispiel nur zwei Wochen im Jahr) kommen sie zusammen und gemeinsam dürfen sie ein gewisses Pensum Tiere in ihrem Jagdgebiet erlegen. Besonders populär ist natürlich der Elch. Aber auch Rentiere, anderes Wild und Vögel können sich ihres Lebens im – ansonsten so friedlichen – norwegischen Wald nicht sicher sein.
Gründe gibt es viele für die Begeisterung für diesen Sport. Wirft man beispielsweise mal einen Blick auf die Fleischpreise im Supermarkt, so versteht man die Norweger bereits ein kleines bisschen besser. Zudem sind Männer und Frauen dieses Landes viel naturverbundener als bei uns – die Jagd draußen im Wald macht ihnen schlichtweg Spaß. Für den einen oder anderen Mann ist das Ganze mit Sicherheit auch ein Kräftemessen und Wettkampf mit den Geschlechtsgenossen, davon bin ich überzeugt.
Doch mal ganz nüchtern betrachtet: So toll wir Elch und Co. finden, es gibt zu viele von ihnen! Klar habe ich mich schon oft gefragt, wo die denn alle sind, wenn es so viele sind (für mich ist es immer noch ein Riesenerlebnis, wenn mir einer über den Weg läuft). Aber es stimmt. Die Jagd ist ganz einfach notwendig, um den Bestand gering genug zu halten, damit überhaupt genug Wald für alle Elche da ist. Schon mal aus dem Blickwinkel gesehen?
Ich habe diese Leidenschaft der Norweger mittlerweile akzeptiert und als Teil ihrer Kultur angenommen. Das heißt nicht, dass ich es gut finde, geschweige denn jemals an diesen Bräuchen teilhaben möchte. Dennoch denke ich, muss man auch versuchen, andere Kulturen zu verstehen, anstatt sie unwissend zu verurteilen.
"Uahhhh, Walfleisch", kann keiner sagen, der es nicht wenigstens aus Respekt heraus mal probiert hat. Und keine Sorge: Orcas wie Keiko werden weder gejagt, noch stehen sie auf irgendeiner Speisekarte. Die sind nämlich zum Glück schlichtweg ungenießbar.