Momento Reflexion
Claudi hält einen Moment inne. Wie war das damals, als sie nach Spanien ging? Und wie ist es jetzt? Und wie wird es sein, wenn bald die überwiegend deutschen Touristenmassen in Spanien, von dem sie jetzt ein Teil ist, einfallen?
Ich fühle mich ein bisschen wie beim ersten Mal, als ich hier runter kam. Gerade aus dem Flieger gestiegen, voller Illusionen, Abschied und wundernd über alles Neue. Heute weiß ich, wie man Omis in schlimmen Situationen beisteht, sie in den Rollstuhl setzt und ihre Fingernägel bemalt. Ich werde mich an mindestens fünf Universitäten bewerben - dort, wo noch niemand Studiengebühren von mir erpresst - und versuchen, so schnell wie möglich wieder ins Ausland zu gehen.
Meine Eltern und ich telefonieren mindestens einmal die Woche und seit sieben Monaten gab es nicht ein böses Wort. Meine beste Freundin findet, dass mir das Unterlippenpiercing gut steht und mein bester Freund plant unsere nächsten Discoausflüge und Festivals. Ich weiß, wem mein Herz gehört, neben wem ich aufwachen möchte und wofür ich kämpfen werde.
All das war an jenem Abend (oder in jener Nacht *Donnergrollen*) vor gut sieben Monaten noch unerreichbar. Es hat gekostet. Ich habe Seelenverwandte gefunden und musste sie ziehen lassen, war in 1000 Situationen mit viel zu wenigen Vokabeln, hatte Liebeskummer und Heimweh und der Winter am Meer ist zwar lau, aber auch öde.
Heute hat sich dann alles verändert, komischerweise an einem stinknormalen Donnerstag. Hier unten am Strand stehen die Liegestühle, in den Cafés wird wieder Eis verkauft. Die Lichter der Schaufenster brennen auch nachts und die Pizzeria an der Ecke (Capri) hat ihren take-away-Schalter geöffnet, in den Straßen riecht es nach Orangenblüten und Meerwasser. Bis jetzt leuchten nur einige Fenster in den enormen Hotelkästen und noch kann man in fünf Minuten auf der Hauptstraße zum Strand gelangen. Aber sie werden kommen, das ist klar. Der Bus, der mich morgen zur Arbeit bringt, wird überfüllt sein mit Pauschaltouristen aus aller Herren Länder und die meisten Urlauber, die sich lautstark-freuend in die Fluten stürzen, werden meine Sprache sprechen.
Aber im Gegensatz zum letzten Sommer bin ich jetzt ein Teil von ihrer Traumstrandrealität. Die Ticketverkäuferin vom Busbahnhof nimmt uns manchmal mit, wenn sie ihre kleine Schwester abholt. Die Kassiererin im Supermarkt erzählt mir die Neuigkeiten von ihrem Baby. Und das kleine ferngesteuerte Flugzeug von der Strandpromenade ist an einer Hotelfront zerschellt, hat mir der Junge erzählt, der tagsüber weißbemalt die Statue spielt. Heute kann ich den hyperpotenten, coolen Typen die mir dreckige Sprüche hinterher grölen wenn ich einkaufen gehe, einen spanischen Fluch an den Kopf werfen, ohne zu stottern. Und zwei Minuten später über Handy mit meinem Spatz über das Weltall philosophieren und Zukunftspläne schmieden.
Das ist also mein Jahr an der Mittelmeerküste. Noch bleiben dreieinhalb Monate, aber mir ist schon klar, dass die verfliegen werden...
Dann werde ich an einem Abend zum Strand herunter gehen um Adios! zu sagen. und mich vielleicht so fühlen, wie beim ersten Mal, nur mit viel mehr Spanien in meinem Herzen.