Misstrauen
Fremd in einem fremden Land zu sein, macht misstrauisch. Nein! Zu wissen, von anderen als fremd erkannt zu werden, macht misstrauisch? Vielleicht! Es macht mich manchmal misstrauisch, in Rumänien zu sein und zu wissen, von anderen als fremd erkannt zu werden.
Fremd in einem fremden Land zu sein, macht misstrauisch. Nein! Zu wissen, von anderen als fremd erkannt zu werden, macht misstrauisch? Vielleicht! Es macht mich manchmal misstrauisch, in Rumänien zu sein und zu wissen, von anderen als fremd erkannt zu werden.
Ich erinnere mich an meinen zweiten oder dritten Tag in Bukarest, als ich das erste Mal in ein relativ Vertrauen erweckendes Internetcafe ging. Ich kannte mich mit den Geldstücken noch nicht so aus und beim Bezahlen hielt ich das 5000 Lei Stück für ein 500 Lei Stück und dachte, die wollen mich behumpsen - es war mir hinterher sehr peinlich, auch vor mir selbst. Aus einer bestimmten Erwartung heraus war ich zu misstrauisch gewesen und gleichzeitig zu blind, genau hinzusehen.
Ein andermal stand ich an einer Straßenbahnhaltestelle und plötzlich kamen Kinder auf mich zu und sprachen mich an. Ich ging einen Schritt zurück und antwortete nur sehr abweisend. Was weckte da mein Misstrauen? Ihre etwas verwahrloste Erscheinung? Wollten sie mich vielleicht von einer Seite anquatschen und von der anderen beklauen? Woher hatte ich all diese schlechten Erwartungen, dieses Misstrauen? Wenn ich daran denke, was normalerweise in Deutschland über Rumänien in Artikeln und Reportagen publiziert wird, dann steht "Rumänien" meist für Armut und Kriminalität.
Ein anderes Mal musste ich des Nachts, als kein Busse mehr fuhren, ein Taxi nach Hause nehmen. Ich hatte nur 30.000 Lei in der Tasche und mit meinen Rumänischkenntnissen sah es damals noch ähnlich mager aus. Und es ist hier nicht so, dass die Taxifahrer immer gleich begeistert über jeden Fahrgast herfallen, manchmal habe sie auch einfach keine Lust, gerade in die Richtung zu fahren, in die mensch will. Ich stand neben den Taxis und sprach todesmutig geradewegs einen Mann an, der natürlich keine Lust hatte, weder zu fahren, noch mein Rumänisch zu verstehen. Ich verbündete mich mit zwei anderen Männern, die auch ein Taxi suchten. Schließlich fand sich eins, sogar mit Fahrer und ich stieg mit einem mir fremden Mann in ein Taxi mit einem ebenfalls unbekannten Fahrer und hatte wohl jede Menge Grund, misstrauisch zu sein. Am Ende wollte keiner von beiden mein Geld für die Fahrt annehmen...
Dann wieder, neulich erst, als uns ein scheinbar ahnungsloser Tourist ansprach, ob wir ihm nicht mit seinem Stadtplan helfen könnten, kamen plötzlich zwei junge Männer forsch auf uns zu und riefen: "POLICE! PASSPORTS please!" Erst dachte ich "Huch!" und dann "Moment mal!", denn ich hatte ein absolut reines Gewissen und außerdem in einem Reiseführer gelesen, dass mensch gerade solchen Typen nie glauben soll. Ich warf ihnen also ein festes "Nu cred!" (Glaub ich nicht!) entgegen und wir gingen einfach weiter. Die beiden Männer und der Tourist zogen eilig von dannen.
Und vorgestern ist es passiert, in der Wechselstube. Wir hatten Geld am Automaten abgehoben und in der Wechselstube abgezählt und in den Händen des Kassierers waren es plötzlich 500.000 Lei (Ca.13 Euro) weniger. Sollte etwa der Automat? Auch der Kassierer schaute uns ungläubig an, unmöglich! Draußen ging uns dann irgendwann auf, dass uns nur der Kassierer gelinkt haben konnte. Wer hat schon von einem Automaten gehört, der sich verzählt? Weder dem einen noch dem anderen konnten wir leider etwas nachweisen. Wir fühlten uns so - saublöd, naiv und verletzt. Wie ist das also mit dem Misstrauen? In jeder Situation? Immer auf der Hut? Alles im Blick? Seit ich einmal im Bus beklaut wurde, bin ich sowieso immer misstrauisch im Bus oder in der Bahn. Schau alle paar Sekunden auf deine Tasche! Mach einen aufmerksamen Eindruck! Sei vorsichtig an der Ampel, wenn hinter dir jemand steht! Sei vorsichtig, wenn irgendwo Massen und Gruppen zusammenstehen und sprich nicht deutsch oder englisch, wenn du an ihnen vorbeigehst! Sei misstrauisch!
Das ist so - entwürdigend. Es ist entwürdigend für mich, immer auf der Hut zu sein. Es ist entwürdigend für die Menschen im Bus, es ist entwürdigend für den Typ hinter mir an der Ampel, es ist entwürdigend, dass manche nicht anders überleben können als durch Klauen, es ist sogar entwürdigend für diesen Mensch von der Wechselstube, nur dass er das nicht weiß.