Militärisches Training
Das militärische Training gehört zum chinesischen Schul- und Unialltag dazu. Als Europäerin ein ungewohnter Anblick.
Seit 2012 gibt es in China die Verpflichtung für chinesische Studenten ein militärisches Training zu absolvieren. Bevor das Training politisch untermauert wurde existierte es bereits an einigen Schulen und Universitäten, jedoch eher vereinzelt. Mittlerweile gibt es das Training an mehr als 300 Universitäten und 3000 Schulen.
Doch woraus besteht das Training eigentlich genau? Die Teilnehmenden sind „Soldaten auf Zeit“, denn das harte Training geht nur wenige Wochen lang. Meist findet es vor oder nach dem Nationaltag Chinas (Anfang Oktober) statt. Die „Soldaten“ müssen eine einheitliche Uniform tragen, salutieren, marschieren, Liegestütze machen. Gehorsam und Selbstdisziplin hat dabei die oberste Priorität. In mehreren Reihen laufen Studenten über ihren Campus, angeführt von einem kommandierenden Leiter. Sie müssen sich an die Gruppe und Befehle anpassen. Individualität zählt zur Zeit der Übungen nicht. Das Training beginnt auf dem Campus im frühen Morgen und geht oft bis in den späten Abend. Die Studenten haben in diesen Wochen also keine Kurse, sondern konzentrieren sich auf das Training. Erst nach Abschluss des Trainings beginnt das eigentliche Studium.
Und wozu das Ganze? Zum Einen soll das Training den Patriotismus und den Nationalstolz stärken. Das Gemeinschaftsgefühl, Willensstärke und die Idee der militärischen Verteidigung werden untermauert. Die Teilnehmer verbessern ihr militärisches Wissen und auch ihre physiologische Stärke. Durch langes Stehen, Sprinten, Marschieren und weiteres Krafttraining bauen sie Muskeln auf und werden ggf. dazu motiviert sich in Zukunft weiterhin sportlich zu betätigen. Außerdem kann das Training den Teilnehmenden zu mehr Selbstdisziplin und somit zu mehr Erfolg im späteren Berufsleben verhelfen.
Auf Außenstehende und besonders auf Europäer wirkt das Training beeindruckend bis einschüchternd. Der Disziplin des Einzelnen gebührt Respekt. Das Training führt allerdings auch zu viel Kritik und kann teilweise an die Hitlerjugend erinnern. Dass die Politik diese Training veranlasst trägt ebenfalls zu diesem Eindruck bei.
Für die Einheimischen gehört das Training zum normalen Bildungsalltag. Einige Schüler und Studenten nehmen gerne daran teil, andere weniger gerne.
Zum Abschluss der Trainingswochen findet an vielen Universitäten ein Fest statt. An der Nordost-Universität in Shenyang wurde allen Studenten am 13.9.2017 ein abwechslungsreiches Open-Air-Programm geboten. Mit riesigen Scheinwerfern, einer großen Bühne inklusive Leinwand und Lautsprechern schlechter Qualität' wurde ein zweistündiges Programm auf die Beine gestellt. Den Großteil des Publikums stellten dabei die neuen Studenten dar(alle in Soldatenkleidung und mit einem großen „Knick-Licht“, um zu applaudieren und zu winken).
Nach einander wurden wichtige Persönlichkeiten der Universität für eine kurze Ansprache auf die Bühne gebeten. Neben unzähligen Beglückwünschungen sprach der Leiter der Universität (hier Präsident der Universität genannt) an, dass doch bitte alle Studenten jeden Tag Sport machen sollten, um einen gesunden Körper und somit eine erfolgreiche Zukunft haben zu können.
Eine weitere ungewöhnliche Ansprache galt drei besonders leistungsstarken Neulingen. Einer der Studenten ist 14 Jahre alt. Er tritt also mit 14 Jahren ein Studium an einer der „Elite-Universitäten Chinas“ an.
Viele Beiträge der Veranstaltung steuerte die Kunstabteilung der Universität bei: Über Orchesterauftritte mit dem traditionellen Instrument 'Erhu', Klavierstücke mit schlechter technischer Vertonung, unfassbar begabte Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer war alles dabei. Besonders die tänzerischen Leistungen waren sehr beeindruckend: Hip Hop, Fächertanz, klassischer Walzer etc.
Eine Gruppe stellte eine traurige Liebesgeschichte mit gesanglicher Begleitung dar. Starke Stimmen, gutes Entertainment- für eine Feier zu Ehre des Militärs dennoch etwas ungewöhnlich. Da das Liebesleben während der Studienzeit eine wichtige Rolle spielt, sollte es anscheinend thematisiert werden.
Ein weiterer Auftritt lässt sich folgend beschreiben: Eine Gruppe gemischten Geschlechtes betritt die Bühne in traditioneller Kleidung aus der Qing-Dynastie. Nach einer recht simplen Choreographie wechselt plötzlich die Musikbegleitung von 'traditionell chinesisch' zu 'jugendlich-modern'. Die jungen Männer reißen den Tänzerinnen wortwörtlich die Kleider vom Leib. Diese beginnen nun in kurzen Shorts und in bauchfreiem Glitzertop zu tanzen. Sie bewegen ihre Hüften und das Publikum tobt.
Außerdem interessant: Fast jeder Auftritt hat einen politischen oder zumindest historischen Kontext. Zum Beispiel sagen einige Studenten feierlich ein Lobgedicht an China, „die blühende Blume“, auf. Bei fast allen Liedern handelt es sich um Loblieder an China, die Universität, die Soldaten, die kommunistische Partei etc. Während die Entwicklung und Geschichte der Universität vorgestellt werden, wird im Hintergrund ein Video mit Protest-Szenen der chinesischen Studenten gegen die japanische Bevölkerung gezeigt. Anbei wird gesagt, die Universität sei aufgrund der Verteidigung der Studenten so groß geworden und müsse auch in der Zukunft verteidigt werden. Studenten aus höheren Semestern erklären zudem, dass es eine Ehre sei als Soldat für das eigene Land arbeiten zu können und dass ihr nächstes Ziel der Eintritt in die Armee sei. Während des Loblied für die gefallenen Soldaten wird die chinesische Flagge gehisst.
Zum Abschluss der Veranstaltung wird das Universitätslied gesungen. Alle Anwesenden erheben sich, um die Universität mit all ihren Errungenschaften zu feiern.
Diese Veranstaltung zeigt die enge Verbindung zwischen Universität, Staat und Militär. Der Nationalstolz der Studenten wird aktiv angesprochen. Die Nordost-Universität sieht es als Verpflichtung, das Interesse für Staat, Geschichte und sportliche Ertüchtigungen zu wecken. Der lautstarke Jubel der neuen Studenten wirkt auf mich persönlich wie eine Bestätigung dafür, dass das Konzept der kollektiven Einordnung und „Anwerbung“ recht gut funktioniert. Selbst wenn ich öfter höre, das Training sei „sinnlos“ und „unnötig“-anscheinend fühlen sich die neuen Studenten in ihrer Gruppe und Einheitskleidung sehr wohl. Sie feiern ihre Betreuer, den Universitätsleiter und alle Künstler mit tosendem Applaus und Gegröhle und keiner der Anwesenden verlässt die Veranstaltung frühzeitig.
Quellen: https://www.quora.com/Why-do-Chinese-students-need-to-have-military-training
https://en.wikipedia.org/wiki/Military_education_and_training_in_China
http://german.china.org.cn/txt/2016-08/05/content_39032887.htm