Meine ersten Tage in Dadia
9 10 2012
Ist es wirklich erst der zweite Tag hier? Ich kann es kaum glauben – viel zu viel neue Eindruecke fuer eine so kurze Zeit! Obwohl ich gestern erst angekommen bin, verstehe ich mich schon super mit den anderen Freiwilligen, habe mich in unserer gemeinsamen Wohnung haeuslich eingerichtet und habe auch schon die Bekannschaft eines Black Vulture gemacht – nicht nur durchs Teleskop, sondern aus naechster Naehe! Doch alles der Reihe nach:
Anreise und erster Tag
Um 19.15 Uhr hob das Flugzeug ab, das mich nach Griechenland bringen sollte. Waehrend des Flugs unterhielt ich mich lange mit einer Deutschen, die zwar sowohl tuerkische als auch griechische Wurzeln hat, aber in Deutschland aufgewachsen ist und gerade auf dem Weg war, ihren Vater in Griechenland zu besuchen. Nach sechs Stunden Aufenthalt auf dem Flughafen in Athen ging es weiter nach Alexandroupoli, wo mich Rodoula, die Betreuerin von uns EVSlern bei WWF, eineinhalb Stunden spaeter als vereinbart abholte. Waehrend der Wartezeit kam ich durch Passivrauchen in den Genuss von mindestens fuenf Zigaretten und Zigarren – Wahnsinn, wie viel die Griechen rauchen; zum Glueck ist das beim WWF anders – und beobachtete, wie ein Polizist den Bahnhof absperrte, wobei er zwei Stuehle zur Hilfe nehmen musste und ausserdem den Eingang zum Flughafensgebaude versperrte. Warum dieser Sheriff, der auf seinem Motorrad anrueckte und sich bei seiner Aktion offenbar zu amuesieren schien, das tat, weiss ich bis heute nicht. Als ich vor dem Flughafen wartete, war gerade die Sonne aufgegangen und ich durfte feststellen, dass es fuer die Jahreszeit unglaublich warm war. Auch darueber, dass ueberall die Blaetter noch gruen sind, wunderte ich mich als ich schliesslich von Rodoula zu ihrer Wohnung in Alexandroupoli gefahren wurde. Die Stadt an sich hat keinen besonderen Charme, viele Häuserblocks, die alle gleich aussehen, sodass man die Straßen kaum unterscheiden kann, sehr viel und sehr chaotischer Verkehr und sehr viel Lärm. Von Rodoula bekam ich einen Kaffee – bitte niemals “traditionellen griechischen Kaffee” trinken; die Hälfte ist Kaffeepulver und die andere, trinkbare Hälfte ist aufgrund des pulvrigen Geschmacks ungeniessbar. Sie erzählte mir von ihrer bevorstehenden kirchlichen Hochzeit (sie ist übrigens 28) im nächsten Jahr, ihren individuellen Sorgen, den Bedenken, in Griechenland ein Kind in die Welt zu setzen – vor Kurzem wurde die staatliche Unterstützung fuer Eltern gestrichen – und den allgemeinen Misständen im Land und in Europa: Das Problem der griechischen Gesellschaft sei, dass deren Politiker lediglich Handlanger der europäischen Troika seien und deren Befehle ausführten; eine Befreiung gebe es nur durch eine neue, junge Generation, die Griechenland durch revolutionsartige Umbrüche nicht nur aus der Eurozone, sondern vollkommen von der EU befreie. Griechenland hätte immer seinen Weg gefunden, man müsse nur auf seine ureigene Kraft vertrauen…
Aus Alexandroupoli wurden wir von Malte, deutscher Freiwilliger bei WWF seit zwei Monaten und Halbriese, mit dem Toyota nach Dadia gebracht, wo ich zuallererst im Buero des WWF vorgestellt wurde und dabei allerdings so viele Namen genannt bekam, dass ich mir nur einen Bruchteil davon merken konnte. Was mir sofort auffiel war die Tatsache, dass die Angestellten des WWF aus allen moeglichen Laendern Europas kommen – von zwanzig Mitarbeitern sind gerade einmal zwei gebuertige Griechen. Malte erzaehlte mir spaeter, dass viel von ihnen frueher selbst einmal als Freiwillige hier waren. Da meine Muedigkeit nicht von der Hand zu weisen war, wurde ich von Rodoula nach Erledigung einiger Formalitaeten ins Haus der WWF-Freiwilligen geschickt, “to takte a rest”. Malte brachte mich mitsamte dem Gepaeckim Toyota zu dem Haus, das in einem Kilometer Entfernung nahe der Kirche liegt. Die meist gelb verputzten suedlaendischen Hauser Dadias sind das Bild eines malerischen, urtuemlichen kleinen griechischen Dorfes an den Haengen der umliegenden Gebirgsketten. Und genau das ist es: Ein ziemlich kleines Dorf. Doch das ueberraschte mich nicht, darueber war ich mir vorher im Klaren. Vielmehr war ich erstaunt darueber, wie schoen die Haueser und Gaerten waren, in denen Beete mit erntereifem Gemuese und Obstbaeume mit Granataepfeln und Feigen zu sehen waren. Sogar unser WWF-Haus hat einen eigenen kleinen Garten, der jedoch im Moment nicht bewirtschaftet wird. “Schade”, sage ich. Malte meint, man haette dazu keine Zeit… Nachdem ich die Treppen in unser Stockwerk erklommen habe – im Untergeschoss wohnt der deutsch-griechische Besitzer, der im Moment fuer unbestimmte Zeit in Deutschland Urlaub macht – und an zwei Regalen mit Wanderschuhen vorbeigegangen bin, gelangte ich zum ersten Mal durch die mit einem WWF-Plakat dekorierte Tuer in den schmalen Gang unserer Wohnung. Er fuehrt direkt in unser Wohn- und Esszimmer, in dem in einem Regal gegenueber von Esstisch und Sofa Fachliteratur ueber Voegel und Griechischlexika stapeln – viele auf Deutsch, da stets zwei Deutsche an dem Programm beteiligt sind, wie ich erfahren habe. Ausserdem haengen an den Waenden zahlreiche Fotografien aus dem Nationalpark und Plakate, die die griechische Grammatik erklaeren. Wir haben ausserdem vier Zimmer mit Stockbetten fuer uns Freisillige, zwei Baeder, eine kleine Waschkueche und eine kleine Kueche, in der gemeinsam gekockt wird – wir zahlen Lebensmittel aus einer Kasse, einkaufen geht, wer gerade unterwegs ist. Darueber, ob Alkohol und Fleisch getrennt aufgefuehrt werden sollen, werden wir heute Abend beraten. Nicht alle trinken Bier und ausser mir gibt es mit der sympatischen Franzoesin Bony eine weitere Vegetarierin – ich habe innerliche Luftspruenge gemacht, als ich das erfahren habe! Aber nicht nur mit ihr komme ich wunderbar klar. Giacomo, Italiener und Vogelfreak, der alle Arten bei ihrem lateinischen Namen nennt, pfeift, wenn er gluecklich ist, oft vor sich hin. Schwieriger ist es mit Alba, die ausschliesslich Spanisch spricht. Sie ist auch sehr nett. Nur kann ich mich mit ihr nur in Anwesenheit von Maria, der zweiten Spanierin, unterhalten.
Mit Malte, Giacomo und Alba hatte ich am Montagnachmittag gleich den ersten Einsatz: Einen Tag zuvor war ein Black Vulture aus dem Meer gefischt worden, der im wahrsten Sinne des Wortes baden gehen wollte, was ihm leider ueberhaupt nicht bekommen war. Dieses Tier war von WWF-Mitarbeitern abgeholt worden. Jetzt sollte es vermessen und fotografiert werden; ausserdem sollte eine Blutprobe entnommen werden. Dabei waren ca. zwanzig Personen, Mitglieder des WWF und Freunde sowie wir drei Freiwilligen anwesend.
Ins Haus, das von allen hier in Anlehnung an den Park und das Projekt nur “das Nest” genannt wird, zurueckgekehrt gab es Mittagessen: Malte und Giacomo hatten Spaghetti gekocht. Mit dem Dorf, den winzigen Lebensmittellaeden, und einer Taverne bekanntgemacht wurde ich nach dem Auspacken des Koffers und einer Dusche von Malte waehrend einer kleinen Fuehrung durch Dadia. Am Abend fuhren wir mit den Autos ueber die holprigen Wege des Nationalparks, die eine Aneinanderreihung von Schlagloechern, Wurzeln und sonstigen Unebenheiten sind, zum Feeding Place der Vultures, wo der gesamte WWF-Staff inklusive aller Freiwilligen sowie der Familie, die den Vogel gefunden hatte, Zeuge wurde, wie der Black Vulture in die Freiheit entlassen wurde. Wir kehrten allerdings recht schnell zurueck, da es angefangen hatte, zu regnen. Bei Regen oder Gewitter muessen wir uns immer aus dem Staub machen, denn inmitten von hohen Baeumen auf Aussichtspunkten, die natuerlicherweise in den hoechsten Bereichen des Parks sind, steht es sich bei Blitzeinschlaegen nicht gut.
Beim Abendessen und danach beim Teetrinken -Bony hatte noch einen Sckokoladenkuchen gebacken – berichteten sie und Maria, die Malte am Nachmittag ebenfalls aus Alexandroupoli abgeholt hatte, von den Erlebnissen waehrend einer Woche in Athen. Da werde auch ich ab Montag fuenf Tage lang sein, wenn ich mein On-Arrival Training haben werde. Hotel mit vier Sternen, zwei lustige Trainer – die anderen Freiwilligen kennen sie schon – und 41 weitere Teilnehmer aus ganz Europa. Ich freu mich schon wahnsinnig darauf! Nach dem Essen und einer sehr langen – und sehr interessanten ! – Unterhaltung machte ich mich dann auf den Weg ins Bett, wo fuer mich ein ereignisreicher 36-Stunden-Tag vorbeiging.
Mein erster Arbeitstag
Heute durfte ich zum ersten Mal mit auf den Feeding Place und mich mit der Arbeit vertraut machen, die ich noch oft in den naechsten elf Monaten machen werde: Vom Observation Post mit Fernglas und Teleskop Voegel beobachten, zaehlen und die Beobachtungen protokollieren. Zu zweit sind wir um kurz vor sieben aufgestanden und sind mit dem Pick-Up in den Nationalpark gefahren, wo wir um acht angefangen haben, uns den ca. achtzig Voegeln zu widmen, die sich auf dem Feeding Place sehen liessen. Anfangs war es wegen der Kaelte etwas ungemuetlich – morgens friert man trotz Fleecejacke. Doch als wir um halb zehn fruehstueckten, schien sie schon ganz kraeftig. Das Beobachten und Protokollieren ist ziemlich aufwendig – und gar nicht so leicht! Als ich das erste Mal dran war, musste ich feststellen, dass ich nicht einmal die zwei wichtigsten Arten – Black Vulture und Griffon Vulture – fehlerfrei identifizieren konnte. Fuer mich heisst es deshalb in naechster Zeit erst einmal: Vogelfuehrer lesen, von den anderen lernen, ueben!
Gegen Mittag kam Rodoula vorbei, die sich spontan entschieden hatte, mit mir nach Soufli zu fahren, damit wir auf dem Tax Office erreichen, dass ich sobald wie moeglich mit den Autos des WWF fahren darf. Das betreffende Buero wird im Zuge der griechischen Sparmassnahmen Ende des Monats geschlossen und mit dem Amt in Alexandroupoli zusammengelegt. “Befehl der Troika”, war Rodoulas Kommentar.
Am Nachmittag hatten wir das Dringende erledigt und ich machte mich auf den Weg nach Hause, wobei ich mir noch ein bisschen das Dorf anschaute und dabei den ein oder anderen, auch ungwollten, Umweg nahm. In unserer Wohnung habe ich dann gekocht – mit dem Paprika, der noch im Kuehlschrank war, habe ich Chilli con Carne – nur eben ohne Fleisch, also Chilli (con carne sine carne), gemacht. Diese Woche bin ich fuer den Fridge zustaendig, was heisst, dass ich unter Anderem dafuer sorgen muss, dass nichts schelcht wird. Die Dienste, wie auch Kueche oder Bad Putzen, werden woechentlich zugeteilt.
Heute Abend hatte ich frei und habe mich auf naechste Woche vorbereitet. Morgen fahren Rodoula, Malte und ich nach Alexandroupoli um ein paar offizielle Dinge zu erledigen, einzukaufen etc.
Wie schon gesagt, sind die Freiwilligen sehr nett und ich komme gut mit ihnen klar. Die Griechen sind auch sehr umgaenglich, gruessen mit “Jasu” – man duzt sich. In unserem Haus laesst es sich, auch wenn es teilweise provisorisch eingerichtet und sehr einfach ist, sehr gut leben. Auf meine Arbeit mit den Voegeln freue ich mich. In einem Satz: Es gefaellt mir sehr gut hier. Auf die weitere Zeit freue ich mich und ihr werdet sicher bald wieder interessante Berichte zu lesen bekommen!
Gruesse nach Deutschland
Jasmin