Mein Blind-Date mit den Polen
Wie aus Unbekannten Bekannte wurden.
An meinem dritten Wochenende hier in Breslau erwarteten mich mehrere Blinddates. Keine Angst, ich bin noch mit meinem Freund zusammen. Warum ich es dann so nenne? Nun, ich lernte an diesem Wochenende nicht nur für mich unbekannte Personen kennen. Diese Personen sprechen des Weiteren nur teilweise meine Sprache, sie haben eine andere Kultur, ein anderes Land, in dem sie leben...würden sie mich mögen, die unbekannte Deutsche? Wie ticken die Polen? Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde...eben wie bei einem Blind-Date.
Nummer eins hieß Emilia, Tochter meiner Mentorin Iza. Das dieses Treffen zustande kam, war hauptsächlich ihrer Mutter zu verdanken, was das ganze etwas seltsam machte für mich. Man muss dazu sagen, dass Iza sehr gut Deutsch spricht und möchte, dass ihre Tochter besser in Deutsch wird. Das sagte sie Mattis und mir ganz offen. Doppelt seltsam für uns. Da ich sie überhaupt nicht kannte war es für mich schwer, eine Aktivität für unserer erstes Treffen auszusuchen. Aus Zufall traf ich mitten ins Schwarze. Ich schlug vor, dass wir Burger essen gehen könnten und ich bekam Smileys mit Herzen in den Augen zugeschickt. "Bobby Burger" vielleicht? Noch mehr Herzen und ein "Ich liebe Bobby Burger!" waren die Antwort. Chaka!
Die Atmosphäre war etwas angespannt, wir führten Smalltalk. "Wie findet ihr die Stadt so?" und "Was arbeitet ihr so?" waren ihre Fragen. Die änderten sich glücklicherweise mit dem Burgeressen. Ich fing damit an, dass es sich für mich sehr komisch anfühlt, in einem Burgerladen mit 100 Zloty zu bezahlen, weil ich immer noch in Euro denke. Sie lachte und meinte, bei ihr war es genau anders herum, als sie in Deutschland war. Sie dachte, alles wäre so billig, dabei ist in Deutschland ja alles so teuer... Endlich taute sie auf und so kam es dazu, dass wir über die Unterschiede von Polen und Deutschland, von Polen und Deutschen und von Polnisch und Deutsch sprachen und sie uns zum Woodstock-Festival einlud. Sie erzählte uns, dass Polen sich manchmal zur Begrüßung auf die Wange küssen, Umarmungen und Handschläge unter Jungs aber genauso gängig sind. Wir ließen sie das Wort "Eichhörnchen" sagen (das können die Polen einfach nicht! :D) und sie brachte uns ein kompliziertes polnisches Schimpfwort bei. Sie erfuhr, dass einige Menschen in Deutschland vor dem Essen beten oder für das Essen danken und wir lernten, dass man in Polen nach dem essen laut "Danke" sagt. Zu wem auch immer, Hauptsache man drückt seine Dankbarkeit aus. Während die Polen in dieser Hinsicht sehr höflich sind, ist es unter den Jugendlichen gängig, in jedem Satz Schimpfwörter einzubauen. Für eine Deutsche wie mich sehr gewöhnungsbedürftig. Ist das wirklich in jeder Gruppe normal? Wir werden sehen. Aber ich übe schon mal: Die KURWA Burger hier sind sowas von KURWA geil! (Kurwa="Nutte" auf Polnisch. Hört sich schlimm an, wird aber hier wie in Deutschland das Wort "Scheiße" verwendet.)
Anschließend zeigte sie uns ihre Lieblingsbar, in der es Wodka oder auch 0,3l Bier für vier Zloty gibt, also umgerechnet einen Euro. Sich in Polen zwei Bier zu kaufen und sich an einen See oder in einen Park zu chillen, ist nicht möglich. Für Deutsche kaum vorstellbar. Ich wusste zwar schon vorher, dass man in Polen nicht in der Öffentlichkeit trinken darf und auch erst ab 18 Jahren, aber trotzdem wurde es mir erst hier richtig klar, was für eine Freiheit man diesbezüglich in Deutschland genießt. Doch ich habe auch schon von Polen gehört, dass betrunkene Polen sich nicht benehmen könnten. Ob Deutsche da besser sind? Glaube ich eher weniger...aber ich denke, ich werde es sicher noch herausfinden. :D Dass Emilia aus ihrem Heimatland aber kein einziges Trinkspiel kennt, überraschte mich dann doch sehr. Polen ist doch als trinkmotiviertes Volk bekannt! "Wir Polen spielen keine Trinkspiele, wir trinken einfach.", war ihre Erklärung. Aber auf einem Internationalen-Treffen in Deutschland hatte sie sich schon ausgeschlossen gefühlt, als jedes Land seine Trinkspielkultur preisgab und sie nichts dazu beizutragen hatte. Wir haben ihr bereits versprochen, dass zu ändern. Sie wiederum möchte uns die zahlreichen Second-Hands Shops hier in Breslau zeigen und mal mit uns feiern gehen. Ich freue mich drauf! :D
Mein Date Nummer zwei hieß Marcel. Er hatte mir angeboten, mir die Stadt zu zeigen. Da ich enormen Hunger hatte, besuchten wir zuerst ein Restaurant. Er bestand darauf, mir die Tür aufzuhalten, mir meine Jacke abzunehmen und er bezahlte für uns beide, ohne mich vorzuwarnen. Das führte dazu, dass ich mich sehr unwohl führte. Warum? Nun, von Deutschland bin ich es nicht gewöhnt, als Frau so behandelt zu werden. Versteht mich nicht falsch, mein Freund ist auch ein Gentleman. Aber er ist eben mein FREUND und Marcel nicht. Eigentlich hätte ich dieses Verhalten erwarten müssen. Noch am selben Tag habe ich auf der Website eines Polen-Kenners gelesen, dass die Polen noch zu Gentleman erzogen werden und dies für sie sehr selbstverständlich sei.
Als wir das Restaurant verließen sagte ich dennoch etwas geschockt und empört, dass er doch nicht einfach für mich bezahlen könne. Aber er hat das nicht verstanden. Ich habe versucht ihm das zu erklären, dass man das in Deutschland hauptsächlich macht, wenn man ein "Date" hat. Er meinte, dass das in Polen ähnlich ist, aber dass er einfach nur freundlich sein wollte und es ihm egal ist. Er fügte noch etwas eingeschnappt hinzu, dass ich ihm ja das Geld zurückgeben könne, wenn ich eine unabhängige Frau sein wolle. Jetzt fühlte ich mich wiederum schlecht, dass ich ihn scheinbar in seiner Gentlemen-Ehre verletzt habe und entschuldigte mich für meine schroffe Art. Daraufhin fragte er mich, warum ich mich denn immer entschuldigen würde und ob ich denn kein Selbstwertgefühl habe.
BÄM! Das war wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Schnell fand ich eine Ausrede und sagte, dass ich nur höflich ihm gegenüber sein möchte, was natürlich der Wahrheit entspricht. Schließlich kenne ich ihn noch gar nicht und weiß nicht, wie empfindlich er in manchen Situationen vielleicht ist. Ich glaube tatsächlich, dass diese Frage nicht verletzend gemeint war. Vielleicht war er einfach nur verwundert und interessiert oder einfach sehr direkt. Der Grund, warum mich das doch echt traf, liegt wohl in mir selbst. Neben einem intelligenten Medizinstudenten, der fast perfekt meine Muttersprache spricht und sie als einfach empfindet, fühle ich mich selbst ziemlich klein. Verstärkt wird das wohl noch durch den Fakt, dass ich tatsächlich kleiner bin als er! :D
Nach dieser Bemerkung jedenfalls fühlte ich mich doppelt schlecht und wäre am liebsten nach Hause gegangen. Aber das ging nun mal nicht. Also machte ich mir Gedanken. Bin ich wirklich so wenig selbstbewusst? Liegt es vielleicht an meiner Herkunft, dass ich es als unangenehm empfinde, wenn jemand für mich bezahlt? Bin ich dann wirklich abhängig und unemanzipiert, wie manche in Deutschland vielleicht sagen würden?
Was denkt ihr? Schreibt eure Meinung mal bitte an die Pinnwand!
Die Stimmung lockerte dann endlich auf, als Marcel am Bahnhof wild um sich blickte, wie ein Verbrecher. „Ist hier irgendwo die Polizei?“, fragte er. Ich wunderte mich. Was war denn jetzt los? Schließlich huschte er blitzschnell über die rote Ampel. Ich fragte ihn lachend, warum er denn so ein Theater machte. Er habe schon mehrmals Geldstrafen dafür bekommen, war die Antwort. Die Polizisten hier seien da sehr streng und die Strafen nicht allzu gering. Gut zu wissen, ich bin hier nämlich schon mehrmals über rot gegangen. #EchterVerkehrsSünderUndSoo // Wo ist bloß die Regeln-liebende-Deutsche geblieben? :D
An der Jahrhunderthalle angekommen, ereignete sich etwas, was mir sehr gut bekannt ist. Wir fanden den Eingang einfach nicht! Wir sind bestimmt drei Mal daran vorbeigelaufen. Zu unserer Verteidigung muss man sagen, dass die Halle echt riesig ist. Aber trotzdem. Tatsächlich lernte Marcel aus meiner Abwehrreaktion und fragte mich am Eingang, ob wir getrennt zahlen wollten. „Ja!“ Thank the Lord.
Ich muss sagen, die Halle war echt riesig und beeindruckend, aber nicht besonders schön. Sehr grau und eintönig, aber damals eine Sensation, wegen der riesigen Kuppel und der größten Orgel der Welt, die sich einmal dort drinnen befand. Jedoch wurden während oder nach dem Krieg einzelne Teile gestohlen. Von der größten Orgel der Welt! :D Die Polen, die Polen... Nein Spaß, damals war das Gebiet ja noch deutsch. Jedenfalls ist die Orgel nun im Dom in Breslau und die Halle wird hauptsächlich für Konzerte genutzt, auch wegen der guten Akustik. Woher ich das weiß? Von „Mister Oberschlau“ und einer interessanten Ausstellung. Der soeben genannte Herr beschwerte sich bei mir darüber, dass die Polen Schlesien in der Ausstellung als wiedergewonnene Gebiete präsentieren. Für ihn sei Schlesien deutsch, was übrigens nun die am Anfang erwähnte deutsch-schlesische Flagge in seinem Zimmer bezeugt. Mir ist das eigentlich echt egal. Schlesien gehört Polen, das ist nun mal so. Auch, wenn ich verstehen kann, dass das die Deutschen sehr geschmerzt haben muss. Bis jetzt finde ich die Gegend hier wirklich sehr schön...
Nach der Jahrhunderthalle landeten wir plötzlich in der Oper. Plötzlich sage ich, weil das ungeplant und spontan war und ich bis dahin nicht wusste, dass seine Oma in der Oper singt! Aus diesem Grund konnten wir umsonst dort hin und ich hatte die Chance, polnische Tradition und Kultur zu erleben. Das Genre an diesem Abend hieß nämlich: „Polnische Volksmusik“. Ich höre schon die ersten „Oh nein!“ schreien, „Volksmusik ist doch schrecklich!“ Ja, sie gehört auch nicht zu meinen Vorlieben, aber es hat sich für mich trotzdem gelohnt. Die Oper war nämlich gesammelt von Frauen, die für ihre Orte typische Trachten trugen und gerne darüber Auskunft gaben. Die Aufführung reichte von langweilig bis lustig, vor allem, weil Marcel total bescheuerte Bewegungen zu der Musik machte und mir die leider wirklich hohlen Texte übersetzte. Doch der letzte Teil des Abends, an dem seine Oma auch teilnahm, gefiel mir tatsächlich ein wenig. Die Omis (hier in Polen babcia genannt) aus der heute ukrainischen und früher polnischen Region wippten begeistert zu der Musik, während eine weitere Gruppe Frauen ihre Röcke hin und her schwang und tanzend sang und immer wieder: JiiiiiiihA!!!„ rief.
Die Gäste der Oper klatschten begeistert Beifall und ich erlöste Marcel, der diese Musik überhaupt nicht mag, mit dem Satz: „Wir können jetzt gehen.“ Er freute sich und meinte, wir könnten nun seiner Oma „Hallo“ sagen. Diese kleine süße und sympathische Frau war wirklich der Inbegriff des Oma Klischees; lachend umarmte sie immer wieder ihren riesigen Enkel, bedankte sich für unser Kommen und schenkte Marcel Schokolade. Er ist schon 25 Jahre alt, aber da mag man ja schließlich immer noch Schokolade. Für so etwas wird man schließlich nie zu alt.
Zuhause angekommen, trank ich einen Tee und Marcel konnte es nicht lassen, mir noch mehr und mehr zu erzählen. Ich glaube ich kenne keinen Mann bis jetzt, der SO VIEL REDET. Er tut dies auch echt gerne, hat er mir bereits erzählt :D Jedoch war das Gespräch auch für mich interessant und ich fing langsam an, mich auch zu trauen, ihm deutlicher meine Meinung zu sagen und auch mal gegen ihn zu argumentieren sowie kritische Fragen zu stellen. Vor allem, wenn es um Politik, Psychologie oder Probleme von großen Menschen geht, mische ich mich ja gerne mal ein.
Marcel behauptete, dass Frauen in Polen sich dem Mann oft unterordnen. Angeblich würden sie nur nach außen hin behaupten, sie seien starke und schöne Frauen, aber in Wirklichkeit glaubten sie sich selbst nicht. Sein Bruder hatte beispielsweise das Problem, dass seine Frau alle Entscheidungen immer auf ihn abschob. Marcel's Mutter allerdings sei eine starke Frau und er wolle ebenfalls eine taffe bessere Hälfte. Einer der Gründe für ihn, nach Deutschland auszuwandern. Seiner Meinung nach seien die Frauen dort stärker. Ob das wirklich wahr ist? Seine Überzeugung ist jedenfalls unumstößlich. Er wird wahrscheinlich eine Deutsche heiraten. Da kann ich ihm jetzt nur noch Glück wünschen!
Ungeplante Ereignisse im Leben sind die besten, nicht wahr? An diesem Abend kam Mattis spontan zu uns in die Küche und Marcel öffnete eine Flasche Wein. Während im Hintergrund Hits aus den 80er und 90er Jahren liefen, hatten wir gute Gespräche und spielten Karten. Marcel zeigte uns seine selten schönen „Dancemoves“ und Mattis präsentierte seine Karten-Tricks. Wir brachten Marcel das Spiel „Arschloch“ bei, bei dem er zu meiner Schadenfreude fast immer die Rolle des Verlierers bekleidete. Doch er trug diese Bürde mit hoch erhobenem Haupt und tröstete sich selbst damit, dass er für ein Arschloch doch ganz schön hübsch sei. Hatte ich sein hoch erhobenes Haupt schon erwähnt? :D
(Legt bitte nicht jedes meiner Worte auf die Goldwaage, ich bin möchte keineswegs arrogant auf ihn herabschauen. Ich mag ihn trotz mancher Eigenarten und bin dankbar für einen so freundlichen und lustigen Mitbewohner!)
Date Nummer „trzy“ (3) erwartete mich am Sonntag. Eine Familie aus der Gemeinde hatte Mattis und mich zu sich nach Hause eingeladen. Nach dem Gottesdienst gingen wir mit ihnen gemeinsam zu ihrer wunderschönen Wohnung. Feruga, die Mutter, ist Architektin und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass diese Wohnung perfekt eingerichtet war. Zu allem Überfluss kann die Frau auch noch fotografieren und kochen. Ich weiß es, denn ich kam in den Genuss ;)
Dank deutscher Wurzeln ist jedes Mitglied dieser Familie der Deutschen Sprache mächtig und so war die Verständigung einfacher als gewohnt. Wir wurden wirklich unglaublich gastfreundlich aufgenommen. Jeder von ihnen stellte uns interessiert Fragen und gab uns Tipps für unsere weitere Zeit in Polen. Den einen Sohn namens Maks begleiteten wir bei seiner Tour mit dem Hund und er zeigte uns schöne Orte in der Stadt. Als hätte das delikate Essen nicht ausgereicht, gab es noch köstlichen Kuchen und Kaffee am Nachmittag.
Lebt man erst einmal alleine und muss für sich selbst sorgen, ist man für solche Einladungen umso dankbarer. Also machen wir es wie die Polen und sagen: „Dziękujemy!“ (Wir danken.)
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