Meadows in the Mountains Festival – die britische Bohème tanzt in den bulgarischen Bergen
Britische Partytouristen im Einklang mit den alten Bauern eines bulgarischen Dorfes – ein kurioses Festivalkonzept.
Jedes Jahr versammeln sich etwa 1000 buntgekleidete Menschen auf dem Gipfel des Munmarberges nahe des Dorfes Polkovnik Serafimovo. Serafimovo ist ein kleines Dorf zwischen den idyllischen grünen Bergen der Rhodopen. Wie alle Dörfer in Bulgarien leidet es unter Landflucht, Armut und Perspektivlosigkeit. Junge Menschen haben das Dorf längst verlassen, niemand scheint hier unter 60 Jahren alt zu sein. Die Zeit ist stehen geblieben. Menschen leben von der Landwirtschaft und bewegen sich mit kleinen Karren, die von Eseln gezogen werden durch die Schotterserpentinen an den steilen Hängen empor. Ein Lebensstil, der von den britischen Festivalpromotern gerne romantisiert wird. Viele Häuser haben ihre Duschen und Toiletten außerhalb des Hauses und da einige Bewohner eine Stunde vom Supermarkt im Ortskern entfernt leben haben sie sich auf ein Leben als Selbstversorger spezialisiert.
Die Festivalbesucher leben während dem Festival mit den Dorfbewohnern zusammen in deren Häusern. Natürlich gibt es keine gemeinsame Sprache zwischen den rüstigen Rentnern und den Briten. Die permanente Kommunikationsbarriere hält die bulgarischen Bauern allerdings nicht davon ab, für die Festivalgäste Frühstück zuzubereiten.
Wummernde Bässe die ganze Nacht und halbnackte Festivalbesucher im Federkleid – für die Dorfbewohner scheint es kein Problem zu sein. Die Briten sind eine willkommene Einnahmequelle, sie bieten eine wirtschaftliche Perspektive und Abwechslung zur Einsamkeit. Die Bewohner der Rhodopen sind in ganz Bulgarien für ihre Gastfreundschaft bekannt, doch auch von spießigem, konservativem Denken ist keine Spur vorhanden.
Vor dem Festival hatte ich Angst eine unpersönliche Beziehung zu meinem Host zu führen und dass ich lediglich einen Schlafplatz angeboten bekomme – doch es kam anders. Als bulgarisch-sprechender Ausländer wurde ich bald zum Übersetzer zwischen den Gästen und Rositsa, eine unglaublich fitte Uroma. „Du bist mein Junge!“ strahlt sie bevor sie sich in ihr Zimmer begibt um vor ihrem kleinen Fernseher aus dem traditionelle bulgarische Musik plärrt einzuschlafen, während ich meine Tanzschuhe anziehe um auf einem kleinen Waldweg zur Festivalarea zur Sunrise Stage hochwandere. Am nächsten Tag wird sie mir beim Frühstück ihren Sohn und ihre 10-jährige Urenkelin vorstellen, die zu Besuch sein werden.
„Friends of friends from the festivals‘ organiser“ – so würden sich circa 80 % der Festivalbesucher bezeichnen. Eine Exklave Londons scheint sich temporär in Serafimovo zu bilden. Dazwischen einige Deutsche und tatsächlich auch eine Handvoll Bulgaren. Um das Festival für Bulgaren zu öffnen, müssen diese statt den 150 Euro nur 120 Leva (=60 Euro) bezahlen. „Wenn man bei einer internationalen Firma in Bulgarien arbeitet ist das okay, man verdient etwa 1000 Leva (=500 Euro) im Monat“, erklärt mir ein Festivalgast aus Sofia. „Aber wenn man wie die meisten nur 500 Leva (=250 Euro) verdient, ist das ein Problem. Man braucht schließlich auch Geld für eine Unterkunft und Essen und Trinken auf dem Festival. Ich bin gerne hier, weil das Festival besser organisiert ist als bulgarische Festivals und weil man den freien, westeuropäischen Geist spürt.“
Tatsächlich sind die Festivalbesucher sehr frei und extrovertiert, nicht nur im Vergleich zur verschlossenen bulgarischen Mentalität, auch gegenüber jeden westeuropäischen Musikfestivals. Radikaler Hedonismus. Das bedeutet, dass jeder verrückte, knallbunte Kostüme trägt, dass man jeden Fremden grüßt, dass man Menschen denen man sich vorstellt nicht die Hand schüttelt sondern auf den Mund küsst und dass man aufgrund der Freizügigkeit so viele nackte Brüste sehen kann bis einem schwindelig wird.
Neben den hedonistischen Idealen verfolgen die Festivalorganisatoren auch strenge Richtlinien zum Umweltschutz. Auf dem ganzen Festival werden zum Beispiel keine Plastikbecher verteilt, jeder bringt seine eigene Blechtasse. Keine Spuren sollen übrig bleiben wenn die Hippiekarawane weiterzieht.
Das Festivalgelände auf der Bergspitze ist aufwendig und künstlerische gestaltet. Alle Bühnen sind aus Holz gebaut, dazwischen Baumhäuser, Hängematten, Komposttoiletten, Plattformen und bunte Tücher.
Das Line-Up spielt keine große Rolle auf dem Festival, manchmal gibt es nicht einmal eine Timetable. Eine bunte Mischung aus verträumtem Indie, Reggae, Jazz, akustischer Musik und Techno sorgt für gute Stimmung. Während die Sonne mittags brennt und für die rote Haut, für die Engländer so berühmt sind sorgt wird es nachts unglaublich kalt. Im Tal sammelt sich Nebel an, der erst wenn die Sonne aufgeht langsam wieder wegschmilzt. Bei der Sunrise Stage feiern die Festivalbesucher diesem beeindruckenden Ereignis jeden Morgen entgegen.
Das Highlight des Festivals bildet der Auftritt des lokalen Chores mit traditionellen bulgarischen Tänzen, Kleidung und Instrumenten. Und die anschließende Hochzeit. Und das rituelle Anzünden einer meterhohen Holzskulptur. „Wir werden gerne helfen, um auch in Zukunft dieses tolle Festival zu realisieren!“ sagt ein Paukenspieler auf Bulgarisch in ein Mikrophon, als sich das Feuer dem Ende zuneigt. Als die englische Übersetzung folgt bricht Jubel aus.
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