London II: Urbane Epik
„Hier geht sie also weiter, die Geschichte von den zwei Landkindern in der großen Stadt...“ Hannis und Johannsons Londontrip, zweiter Teil, führt uns von der St. Paul’s Cathedral durch den Hyde Park mit seinen bunt gemischten Sprechern nach Covent Garden und schließlich zurück zur Farm. Dem Ort, wo sich Johannson in aller Ruhe die Sonne auf dem Bauch scheinen lassen kann.
Sonntag: Schlafstörungen
Hier geht sie also weiter, die Geschichte von den zwei Landkindern in der großen Stadt. Natürlich hat das mit den zehn Stunden Schlaf dann doch nicht so ganz funktioniert, weil mitten in der Nacht auf einmal so ein Idiot ins Zimmer gerauscht ist, mit einer Taschenlampe alle Betten ableuchtete und dann einen meiner Wohngenossen aus den Federn jagte, der im falschen Raum war. Ich kann ja gut verstehen, wie man sich fühlt, wenn man um drei Uhr müde zurück kommt und nur noch schlafen will. Aber warum muss man dann anfangen, Leute anzupöbeln?
Der Mensch in seinem Bett war wohl Franzose und konnte sich verständlicherweise schlecht verteidigen, als er sofort angemacht wurde, von wegen „Wo kommst Du denn her? Hier in England wird das anders gemacht!“. Der ist ja auch sofort ohne Widerstand verschwunden. Aber dann war sich der Herr zu fein, in das Bett zu steigen und musste sich unbedingt beschweren gehen. Ich weiß nicht, was die Rezeption mit ihm gemacht hat, jedenfalls kam er kurze Zeit später zurück und stieg doch in seine Kiste. Doch dabei noch was von wegen „Europäer“ in meine Richtung zu nörgeln.
Das nächste Mal, dass ich was von ihm hörte, war gegen sechs Uhr, als er mich mit seinem Schnarchen aufweckte. Ich bin aufgestanden und hab ihn aufgeweckt, woraufhin er sich umdrehte, sofort wieder einschlief und weiter schnarchte. Dabei konnte ich ihn auch mal sehen, so klassischer Typ Charver, mit Glatze und die Sprache aus der MTV-Poser-Hip-Hop-Show geklaut. Immerhin schien er das Basecap und die Goldkette nachts abgenommen zu haben. Als wenn das noch nicht ätzend genug wäre, fing auf einmal auch noch ein anderer im Raum an zu schnarchen.
Soviel zu langem, ungestörtem Schlafen. Wieso muss so was immer bei mir auf dem Zimmer oder im Bus oder im Ort auftauchen?
St. Paul’s Cathedral ins rechte Bild gesetzt
Hanni hatte es im Zimmer nebenan wohl auch nicht besser erwischt, denn sie hatte das Vergnügen mit einer Truppe Schülerinnen. Meine Freunde die 15-jährigen Mädchen auf Klassenfahrt, diese Spezialistenfraktion im Nervtöten und Hassschüren. Warum kann nicht jeder mehr so sein wie… sagen wir mal... ich?
So hatten wir uns beim Frühstück, zu dem ich wieder mein Tablett vorsichtig in eine grüne Laube draußen balancierte, wenigstens etwas zu erzählen. Wieder einmal hatte Hanni eine Überraschung für mich, wieder einmal in Form von mehr Zeit für uns, weil wir ihre bekannte Familie erst nachmittags treffen sollten. Na ja. Mehr Sightseeing.
Leider mussten wir um zehn auschecken und hatten unsere klobigen Reisetaschen an der Hand. Weshalb ich dann nicht wirklich zum nahe gelegenen, aber chronisch überlaufenen Camden Market oder zur Portobello Road wollte.
Aber in London hat man ja immer die Auswahl und diesmal hab ich mich zwischen Greenwich und St. Paul’s Cathedral für Letztere entschieden. Die hat Hanni wieder sehr gut gefallen und musste gleich noch ein paar Fotos von sich mitnehmen. Auch wenn ich sie beschworen hab, noch ein klein wenig zurück zu kommen, damit man auch die ganze Kirche und nicht nur die Pforte sieht. Ich hab mich ein klein wenig geärgert, weil ich jetzt in etwa viermal davor gestanden hab, aber noch nie wirklich rein gegangen bin.
Lustig war eine Truppe Amerikaner, die mich fragten ob das die Kirche sei, wo Diana geheiratet hat. Lustig deshalb, weil sie gerade erst den ganzen langen Weg von Waterloo Station gelaufen waren, was ja direkt auf den anderen Seite von Westminster Abbey liegt, und sie nur die ebenfalls vorhandene direkte Brücke hätten überqueren müssen.
Hyde Park: Publikumsbeschimpfungen
Dann sind wir selbst etwas verloren gegangen, weil ich nur so eine kleine Karte vom Zentrum zur Verfügung hatte, auf der St. Paul’s noch nicht drauf war. Und bei der ich immer ein wenig raten musste, wo wir nun lang müssten.
Ich wollte noch zu einem kleinen Platz gehen, den ich ganz in der Nähe in Erinnerung hatte. Dort, wo ich beim letzten Besuch dieses Streichquintett gesehen hab. Nur kannte ich den Namen nicht und vermutete das falsche Gebilde auf der Karte als diesen Ort, was uns zu einigen Umwegen verleitet hat. Treffen wollten wir uns mit Hannis Bekannter bei Covent Garden, hatten aber bis halb zwei noch ein ganzes Ende Zeit und sind kurz entschlossen zum Hyde Park aufgebrochen, damit Hanni den auch mal sehen und ihren vom Vortag müden Füssen eine Pause gönnen konnte.
Eigentlich wollte ich ja zum See dort, hab dann aber die falsche Route genommen. So sind wir am Festivalgelände für das kommende Live8-Konzert vorbei durch wunderschöne Rosengärten gelaufen und an der Speakers Corner raus gekommen. Was zum einen ärgerlich war, zum anderen toll, weil ich auch dort bisher nie das Glück gehabt hatte, jemanden dann auch mal sprechen zu hören.
Mit Hanni scheint das besser zu klappen und wir hatten gleich ein ganzes Bündel zur Auswahl. Neben Vertretern sämtlicher Religionen, die uns alle vor verschiedensten Verdammnissen bewahren wollten, stand im Zentrum des größten Publikums eine kleine wütende Frau, die uns anschrie, was für kleine, arrogante, hilflose Leute wir sind. Das war wieder recht lustig für mich, nur Hanni nahm die Leute mit den diversen heiligen Schriften natürlich etwas ernster.
Covent Garden: Besser spät als nie
Ernst wurde es dann einige Minuten später, als wir uns zur nächsten U-Bahnstation Richtung Covent Garden aufmachten und eine Strasse überqueren mussten. Mir ist fast mein kleines, arrogantes, hilfloses Herz stehen geblieben als Hanni auf einmal vor einem stehenden Bus lossprintete, gerade als der sich in Bewegung setzen wollte. Oh Gott, ich wäre beinah gestorben. So verwirrt war ich, dass ich eine Minute später fast selbst unter einem Auto gelandet wäre. Bloß weg von der Oxford Street, auch wenn ich sie ihr auch gerne noch gezeigt hätte, und ab nach Covent Garden. Dort stellte ich dann sofort fest, dass das genau das war, wonach ich im letzten Absatz vergeblich gesucht hatte.
Inzwischen war Hanni etwas missmutig, weil sie nicht mehr so ganz sicher war, ob sie Zeit und Ort richtig verstanden hatte und ihre Bekannte nicht anrufen konnte. Nicht einmal das wunderschöne Aussehen und die Atmosphäre des Platzes konnte sie aufheitern. Als wir uns in einem weiteren Starbucks ausruhten, kam aber auch noch ein Anruf von der Mutter der Familie, einer Türkin die seit zwanzig Jahren hier lebt. Sie käme etwas später. Hanni sah aus, als wenn sie sich gerade zwischen einem Jute- oder Hanfseil entscheiden würde.
Sie also wieder raus auf die Strasse, in die inzwischen mal scheinende Sonne geschleppt. So wirklich geholfen hat dann aber nur, dass ihre Bekannte doch noch auftauchte, auch wenn sie sich nur noch für eine halbe Stunde unterhalten konnten. Die hat auch einen weit besseren Eindruck gemacht als dieser Mustafa in Halifax.
Rennen gegen die Zeit
Dann nämlich musste ich sie unterbrechen, da wir noch bis Victoria Station zu unserem Bus mussten. Dort erwartete uns noch ein richtiger Nervenrüttler. Hinkommen war kein Problem, aber dort dann den Fernbusbahnhof zu finden ein sehr großes. Damit rechnet man ja nicht, dass der nicht gleich mit angeschlossen ist in so einem großen Bahnhof. Die eigentliche Schwierigkeit war, dass nicht nur einer dort war, sondern gleich drei.
Wir sind wie die Wahnsinnigen zwischen Bussen hin- und hergehetzt. Keine Sau konnte Englisch – war ja klar – um dann ganz am Ende mit drei Minuten übrig um eine Ecke zu kommen und auf der anderen Straßenseite, mit wahnwitzigem Verkehr zwischen uns, den richtigen Bahnhof zu finden. Da sind wir noch irgendwie rüber gekommen. Aber dann, Überraschung, gab’s gleich 20 Haltestellen zur Auswahl und natürlich nichts, was einem verraten könnte, wo die Busse nach Durham sind. Ich bin wie ein Irrer da durchgehetzt, Hanni auf ihren Klapperschuhen hinter mir lassend. Ohne zu dramatisieren bin ich auf die letzte Sekunde zu unserem Bus gekommen; eine Minute später und wir hätten ein großes, teures Problem gehabt. War ich fertig.
Nachdem wir uns aus London rausgequält hatten, war die restliche Rückreise dafür sehr entspannt und äußerst angenehm. Leider mussten wir uns auf einem Zwischenstopp etwas Fastfood antun, weil wir den ganzen lieben langen Tag das Essen und Trinken ganz vergessen hatten. Ich hab keine Ahnung, wie sie das in all dem Stau geschafft haben, aber wir sind auf die Minute genau sechs Stunden später wieder in Durham gewesen, von wo ich von Hannis Gastvater bis nach Easington gefahren wurde.
Schön ist es, auf der Farm zu sein
Und da bin ich jetzt wieder und Paul ist im Urlaub bei einem Freund und einem Reggaefestival in Schweden. Ich muss mich jeden Tag selbst beschäftigen, was ich gar nicht mag. Nur gut, dass ich ein neues Spielzeug habe. Mit dem Freischneider kann ich lange Spaß haben. Damit lege ich gerade unseren Wildgarten etwas frei, Man sieht endlich wieder, dass wir überhaupt einen Wildgarten haben. Zurzeit werden die Wiesen und Wege gemäht, Ron macht Heu. Wir haben vier weitere neue Kälber und damit inzwischen sechzig Rinder. Rocky frisst meine Handschuhe...
Das nur mal um mal wieder etwas von unserer Arbeit zu erzählen.
Ansonsten genieße ich mein Landleben. Das Wetter ist weiterhin wunderbar; das Meer sieht oft eher aus wie eine Filmkulisse, so un-glaublich schön ist es. Als ob ein blaues Schild hinter die Farm steht. Ein großes, weites blaues Schild. Oder wie flüssige Luft, abends in der Dämmerung, wenn das Wasser so kühl-blau und substanzlos ist, dass man selbst bei genauem Hinsehen keine Trennung zum Himmel weit hinten am Horizont ausmachen kann. Dann ist es, als stünde man hoch auf einem Berg, weit über dem Boden, ohne ein Stück Erde zu sehen.
Ich liege mittags allein mit der Sonne auf den frisch gemähten Wiesen, Rocky springt um mich herum, ich werde richtig braun. Unser Land ist so herrlich und wird mit jedem Tag schöner. Die wilden Felder stehen sogar mir bis zu den Schultern. Eine neue Farbe deckt die Landschaft: roter Mohn füllt die Felder. Paul meint wir sind durch das Schlimmste durch. Letztens bin ich mal wieder Müll sammeln gegangen und habe entlang des gesamten Küstenweges nur einen halben Sack voll gefunden. Ein Schild, das wir vor einigen Wochen aufgestellt haben, ist immer noch da. Nur ein einziges Schimpfwort raufgeschmiert und schon wieder silbern übermalt.
Schulisch stolpere ich von einer unerwarteten Prüfung in die nächste und bin mit den Ergebnissen nicht wirklich zufrieden. Jetzt habe ich erfahren, dass auch der Englischkurs nächste Woche endet. Alles geht zu Ende.
Neu ist ein kleines Schwalbennest direkt vor unserer Tür. Da sitzen drei kleine Küken drin, lugen mit den Schnäbeln über dem Nestrand und werden jeden Abend von ihren Eltern gefüttert. Meine Eltern dagegen schicken mir nur komische Pakete, mit Schwämmen und Badreinigern und Zahnbürsten. So Sachen, die es hier drüben ja bekanntlich nicht gibt. Dafür kann ich mich auf Eines freuen: in einer Woche ist mein Geburtstag und niemand, niemand kann mich nerven. Hurra!