Let’s go out tonight. You don’t need to be frightened
Wenn ein Kollege aus Deutschland plötzlich auch in Stockholm wohnt, dann endet das Wochenende mit Kater und Simpsons zum Frühstück - über das Nachtleben in dieser Stadt...
Das dritte Wochenende war schon super. Und das vierte Wochenende war einfach nur kuhl. Aber erstmal der Reihe nach:
Ich wollte unter Leute kommen. Das ist notwendig, wenn man wie ich in einem Dorf in Schweden wohnt, 3 schwedische Meilen außerhalb Stockholms – 30 km eben – und die Nachbarn alle ihren 60. feiern. Und es gibt in Stockholm einen Club, da gibt’s Livemusik für lau. Und zwar gute Bands aus den übelsthippen Indiecharts. Normale Musik halt, nichts was einem aus den Latschen kippen lässt. Der Eintrittspreis ist allerdings im Bierpreis eingebaut. 50 Kronen das Glas. Ab dem dritten Bier macht der Abend erst Spaß, beim fünften sind die Moneten dann weg – Stockholm ist eine Stadt, in der Geld scheißegal sein muss.
Der Club heißt Debaser und liegt direkt am Medborgarplatsen – eines der sogenannten Partyzentren der Stadt, wo sich ein paar Bars und Clubs den nachtschwärmenden Passanten in den Weg stellen und mit übelst teuren Preisen die Leute anlocken. Es gibt dann auch überall Türsteher, die sind aber nett und in manchen Bars muss man dann Eintritt bezahlen – also man bezahlt 5 Euro dafür, dass man sich für 5 Euro Bier kaufen kann. Im Debaser ist ab 3 die Theke dicht – dann gibt’s nix mehr.
Und ich war im Cafe Tellus, so einen kleinen niedlichen Kulturcafe mit angeschlossenem Kinosaal. Dort gab es nämlich ein Minifestival mit Musik und Theater und Kurzfilm und dort hab ich dann auch Ingo und Mike kennen gelernt, weil sie deutsch sprachen und ich mich gefreut habe, Leute zu treffen, die ich verstehe. Und die wohnen schon ein Weilchen in Stockholm und haben mich gefragt, ob ich abends noch auf eine Punkparty mitkommen möchte, was ich unbedingt wollte, weil das Bier dort nur 20 Kronen kosten soll und ich ja Leuten kennen lernen muss um nicht zu Hause rumhocken zu müssen – aber ich hatte kein Geld mehr und an die neue PIN-Nummer von der schwedischen Sparkasse versuchte ich mich zu erinnern, das klappte aber nicht.
Und dann hab ich mich mit Tobias getroffen, einem Vereinskollegen aus der Heimat. Der wohnt jetzt hier in Stockholm und macht ein Praktikum und bei ihm kann ich nämlich pennen, weil der letzte Zug Richtung Wallachei 10 vor Mitternacht fährt. Man kann natürlich solange die Nacht durchleben, bis morgens die erste Bahn fährt. Aber um 3 wird man rausgeschmissen und bei minus 16 Grad gehört sich das auch nicht.
Mit Tobias war ich Freitag im Debaser. Ich kam mit Johan ins Gespräch, ich weiß nicht mehr wie – auf jeden Fall unterhielten wir uns über das, was wir machen und machten und ich sagte ihm, dass ich in Deutschland Postproduktionsassistent für Filmschnitt war und er hielt dagegen und sagte: „Nee Junge, Filmschnitt ist Produktion.“ und ich sagte „Wo lebst du denn? Natürlich ist das Postproduktion. Mit Avid gestaltet man doch keinen Drehplan.“ und Johan blieb dabei: in Schweden ist Filmschnitt Produktion und Avid Produktionssoftware. Er macht so Visual-FX-Geschichten und behauptet von sich, dass er in der Postproduktion arbeitet – genauso wie ich. Wir tauschten Nummern aus und werden die Diskussion demnächst weiterführen. Und Maik habe ich auch kurz gesehen und es war massig voll im Debaser und die armen Mädels hinter der Theke waren im Dauerstress und haben die ganze Zeit vier Leute gleichzeitig betreut und es hat trotzdem 20 Minuten gedauert, bis ich an der Reihe war und da hat das Konzert auf einmal schon längst angefangen (Junip spielte, mit Jose Conzales am Mikro) und war auch zu schnell zu Ende und dann gingen wir raus, Tobias und ich, in die kalte Nacht auf der Suche nach Essen und Trinken und fanden als erstes einen Gyrosdöner, der war zu klein und kostete so viel wie fünf von der Größe in Deutschland kosten würden.
Und wir standen an der Straße und ich kleckerte die ganze Zeit übelst rum (Döneressen ist eine Kunst, die ich nicht beherrsche) und beobachteten die Polizei. Die ist nämlich omnipräsent an dieser Stelle und winkte ausnahmslos jedes Auto aus dem Verkehr, was nicht Taxi war und zögerte auch nicht, mal eben das Nummernschild abzuhebeln, wenn es nötig wurde. Wir sprachen daraufhin zwei Schweden an, ob das normal sei, dass hier die Polizei mit Wohnmobil und in Stadionmannschaftsstärke ihren Außeneinsatz rigoros durchzieht. Ich glaube, die beiden hießen Erik und Mister X, weil er uns seinen Namen nicht verraten hat. Und sie waren sich sicher, dass die Struktur und Mentalität der Polizei denen der Mafia gleicht und witzelten darüber, wie sich die Uniformierten benehmen.
Satt waren wir nicht und so suchten wir weiter und fanden ein Kebabhaus 500 Meter südlich. Dort gab es Blumenkohldöner und der normale Döner war höllisch scharf – aber gut und teuer. Es gab auch einen Wassertrog, aus dem man so viel schöpfen konnte, wie man wollte. Ein okayer Laden gegen den Mitternachtshunger.
Wieder nüchtern gingen Tobias und ich durch die Straßen auf der Suche nach Bier. Hier gibt es keine Kioske und alle Supermärkte hatten natürlich schon zu und der Irish Pub wollte Eintritt und jede Bar ohne Eintritt wollten 7 Euro für ein Bier und die meisten Läden hatten schon zu gemacht (es war so um 2 Uhr nachts) und wir liefen bis Gamla Stan und fanden noch eine Bar und mussten dort zwar auch 2 Euro löhnen, um reinzukommen – aber egal, uns war kalt und wir hatten Durst. Das Bier kostete 5 Euro und schmeckte nicht. Der Laden war uns suspekt und wir gingen wieder raus und zu Tobi und legten uns pennen.
Tobi wohnt im Studentenwohnheimviertel called Lappis und das ist echt kuhl dort. In der Gemeinschaftsküche stehen 4 Reiskocher und sie riecht nach Fisch. Es scheint viele Asiaten hier zu geben. Es war Samstagabend, wir hatten 3 Sixpack Bier aus dem Supermarkt – das Leichtbier eben – weil wir die Öffnungszeiten vom Systembolaget (die staatlichen Alkoholausschankstellen) verplant hatten, weil wir bei einer Freundin von Tobi waren und zusammen mit noch einer Nachbarin Risiko gespielt haben (nach drei Stunden waren wir immer noch nicht weiter in der Eroberung der Welt) und wir wurden auf einer Abiparty eingeladen, auf der man sich verkleiden muss. Das Motto heißt „adicted“.
Ich saß also bei Tobi und in die Stadt wollten wir nicht, weil wir gestern so viel Geld dort gelassen hatten und liefen durch die Straßen von Lappis in der Hoffnung, dass man was lustiges findet und wir wurden fündig: wir hörten Gelächter und laute Musik und uns war sofort klar: AAAAH PARTY!!! und nix wie hin. Ich stand unten vor dem Haus rief nach oben, doch man hörte mich nicht, die Musik war zu laut und wir wollten schon wieder gehen, als plötzlich zwei Mädels rauskamen und wir fragten, was denn hier gefeiert wird und sie sagten „Geburtstag von Malin. Geht doch einfach mit hoch.“
Oben gab es lauter lustige Menschen. Die meisten waren aus Frankreich und sie tanzten auf den Tischen und Stühlen zu – naja…Partymusik eben. So schlechter Elektro und ein bisschen diggidiggi-Musik eben. Egal. Wir waren am Ziel, unterhielten uns mit den Leuten, die waren alle nett und trafen einen Chinesen, der in Quebec wohnte und in Aachen und der tausend Sprachen beherrscht und schon derbe betrunken war und nette Mädels, die uns Bier und Wein und Zigaretten anboten. Und wir tanzten mit Leuten aus Weißrussland und wir freuten uns über diese Unkompliziertheit, mit der wir wildfremde Leute auf einer privaten Party integriert wurden. Es war eine unglaublich gute Fete, ein schönes Gelage. Ein einziges Fest. So eins, das man immer sucht, das so schwer zu finden ist, wenn man neu in der Stadt ist. In denen das Niveau des Absackens keine Rolle spielt und man sich nicht all zu viel Gedanken machen muss, wenn die Wände im Flur die einzigen sind, die einen noch aufrechthalten können.
Ich glaube, der Grieche war schuld – vielleicht auch der Norweger. Es standen irgendwann norwegischer Vodka und Ouzo nebeneinander. Die Verlockung war zu groß. Das Resultat war nicht ernüchternd.
Gebrochenes Schwedisch ist wenn man kotzt und dabei redet. Ich schloss mich in fremde Badezimmer ein, ließ mir ein Glas Wasser geben, war am Ende so betrunken, dass ich nicht mehr stehen konnte und fühlte mich so, als ob mich jemand von hinten an den Hosenträgern zog. Dieses Gefühl des Besoffenseins hatte ich so noch nie gehabt.
Heute, am Sonntag, stand ich um 3 Uhr nachmittags auf. Die Sonne schien bei 2 Grad plus. Zum Frühstück gab es Kaffee, Brot und Saft auf dem Tisch und Simpson im Fernsehen. Es war ein gutes Wochenende. Ich fühle mich, als ob ich zu viel gearbeitet hätte, aber die Leute, die ich kennen gelernt habe, sind jeden Brechreiz und jeden Kater wert. Und ich glaube, es wird noch mehr davon geben.
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