Let’s get hipsteryzed! Kultur, Gentrifizierung und Nachtleben in Plovdiv
Die Verkündigung, dass Plovdiv die Kulturhauptstadt 2019 wird war ein Startschuss. Nun findet die Stadt langsam ihren Weg aus der kulturellen Depression.
“In which neighborhood do you live in Plovdiv?” “I live in Kapana and you?” “Nice! I live there too! It’s the best location of the city!”
Eine Konversation, die ich wohl schon ca. 10 Mal geführt habe, diesmal mit Ljubo. Ljubo ist einer der Organisatoren der One Architecture Week in Plovdiv und vermutlich der beste Ansprechpartner, wenn es um Stadtentwicklung geht. Bei der diesjährigen Ausgabe des Architekturfestivals steht zwar die bessere Integration des Flusses Maritsa im Vordergrund, doch auch in Kapana kennt Ljubo sich ziemlich aus.
Als der Stadtteil gegründet wurde war es ein Viertel für Handwerker. Aufgrund der planlosen Aneinanderreihung von Häusern gleicht Kapana einem Labyrinth. „Kapana“ ist das bulgarische Wort für „Falle“ und das habe auch schon persönlich zu spüren bekommen wenn ich nachts den Weg von einer Bar zu meiner Wohnung gesucht habe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Kapana ein Ort des kulturellen Austausches. Bulgaren, Türken, Griechen und Rumänen lebten hier friedlich zusammen. Zu Zeiten des Kommunismus jedoch änderte sich dies und der Stadtteil verlor an Attraktivität.
„Vor 2 Jahren war hier alles ziemlich tot. Nachts war hier niemand auf der Straße zu sehen“ erklärt mir Ljubo. Doch das sollte sich ändern, als Plovdiv zur Kulturhauptstadt 2019 erklärt wurde. Jetzt siedeln sich hier langsam Bars, Cafés und Läden an. Längst ist Kapana kein Geheimtipp mehr: jeder bestätigt mir hier, dass es der coolste Ort zum Leben ist. Einmal fragt sogar jemand verwundert, wie ich dort eine Wohung finden konnte. Strategisch ist das Viertel ideal gelegen, direkt zwischen der historischen Altstadt und der Innenstadt. Falls sich jemand Kapana jetzt wie Kreuzberg vorstellt muss ich diese Illusion schnellsten zerstören. Man kann hier nicht Nächte lang in Clubs durchfeiern und von einer Bar zur nächsten ziehen. Im In-Viertel von Plovdiv zu leben, bedeutet vielmehr, dass es überhaupt Bars gibt und dass man nachts Menschen auf der Straße trifft. Clubs gibt es hier kaum. Zum Feiern nimmt man hier im Sommer lieber ein Taxi und fährt zu einem der Open Airs in der Natur um Plovdiv herum.
„Bisher sind alle Intellektuellen und kulturelle Aktivisten weggezogen in eine bessere Stadt. Das ist jetzt immer noch so, doch ein paar Leute bleiben jetzt. Der einzige Grund, warum die Einwohnerzahl von Plovdiv stabil ist, ist das Menschen von den umliegenden Dörfern in die Stadt ziehen, weil es hier eine bessere ökonomische Perspektive gibt.“ erzählt mir Ljubo. Der Run auf Kapana hat sich mittlerweile auf die Mietpreise des Viertels ausgewirkt. „Es gibt keine freien Wohnungen mehr in Kapana. Alles ist entweder belegt oder in einem so schlechten Zustand, dass es nicht bewohnbar ist.“ Die erhöhte Nachfrage und das knappe Angebot setzt den Lauf der Gentrifizierung in Gang. Ljubo muss Lachen als ich das Wort ins Spiel bringe, er ist begeistert, dass ich es kenne. Gentrifizierung ist der Fachbegriff für den in Kapana gestarteten Entwicklungsprozess: aufgrund der kulturellen Attraktivität wird der Wohnraum aufgewertet und wegen der Beliebtheit steigen auch die Mieten. Nun setzt die gewinnorientierte Immobilienbranche ein, welche jetzt versucht hier großes Geld zu machen. Im Haus neben uns wird jeden Tag gebohrt und gesägt was das Zeug hält, hier entsteht gerade eine sehr moderne Wohnung, die für bulgarische Verhältnisse unglaublich teuer sein wird. Das Ende vom Lied: die einheimische Bevölkerung wird verdrängt, weil sie sich die hohen Mieten nicht mehr leisten kann. Wenn die Preise weiter steigen, sind sie irgendwann auch zu teuer für die Kreativlinge und kulturellen Aktivisten die hier leben. Dann wird das Viertel wohl wieder ausgestorben und still sein. Doch ob das tatsächlich eintrifft kann im Moment keiner sagen, vom Endstadium der Gentrifizierung ist Kapana noch einige Jahrzehnte entfernt.
Vielleicht ist dies ja der beste Zeitpunkt um hier zu leben. Das Viertel erwacht aus seiner kulturellen Depression und wann immer ich mich auf den Weg zum artnewscafe aufmache treffe ich den Organisator von irgendeiner kulturellen Veranstaltung. Mal ist es die Nacht der Museen und Kunstgallerien, mal die One Architecture Week, mal ein Open Air. Jeder hier ist DJ, Barbesitzer oder Journalist irgendeines Musikblogs. Trotzdem kommen die Dinge nur sehr träge in den Gang. Ich frage nach einem Ort, wohin ich weiterziehen kann zum Tanzen. Schulterzucken. „Ich kann dir wirklich nichts empfehlen.“ Einmal folge ich einer Empfehlung, welche bereits mit dezentem Sarkasmus ausgesprochen wird. Tatsächlich treffe ich als ich im „Grammophon“ ankomme nur sieben Leute, die an der Bar sitzen und an ihren Drinks nippen.
An einem Abend treffe ich Vesselin, er ist Teil des Kollektives „Melformator“. „Mel“ ist der Bestandteil eines Wortes für Musiknerd. „Formator“ ist aus dem Englischen und bedeutet etwas zu „formen“, zu „schaffen“ oder zu kreieren“. Melformator kreiert vor allem Partys mit Fokus auf elektronischer Musik. Vesselin nimmt mich mit in eine andere Bar, hier wird sogar ein wenig getanzt.
Wir verabreden uns für den nächsten Tag im artnewscafe, von dort möchte mir helfen mit dem Taxi zu ihrem Open Air in Markovo, am Fuße der Rhodopen zu kommen. Er ist der erste wirklich hilfsbereite Bulgare, den ich treffe. Als Ausländer ist man hier immer auf Hilfe angewiesen, in Plovdiv spricht schließlich kaum einer Englisch und Taxifahrer neigen dazu Ausländer auszunutzen indem sie riesen Umwege fahren um die Rechnung in die Höhe zu treiben.
Am nächsten Tag kommt jedoch alles anders: Ich lerne Ivan kennen und ich kann mit ihm und seinem Freund Emil nach Markovo fahren. Dort erwartet uns eine Location, die mein Herz höher schlagen lässt. Wir befinden uns auf einer kleinen Anhöhe und in der Ferne erblicke ich die zahlreichen Lichter der Stadt. Auf der anderen Seite erheben sich in der Dunkelheit die Rhodopen. Wir befinden uns mitten in der Natur, hier steht nur ein Haus, welches gerade gebaut wird. Die Fassade wird genutzt um bunte, geometrische Visuals daran zu beamen. Die einzige weitere Lichtquelle ist der kugelrunde Mond. Und die Lichterkette der Bar, okay! Etwa 200 Leute haben sich versammelt um um das massive Soundsystem herumzusitzen. Der Sound ist ziemlich beatbetont, aber vor allem melodiös. Immer wieder schimmern experimentelle Elemente durch. Als der DJ HVOB spielt bin ich entzückt. Im Sounddreieck tanze ich zusammen mit Ivan als wären wir total verrückt. Wir bleiben lange die einzigen. Eine Weile lang gesellen sich weitere Tänzer zu uns, doch mehr als 10 werden wir nicht. Als ich nach einer ganzen Weile erschöpft eine Pause einlege tanzt keiner mehr.
Dieser Anblick deprimiert mich und ich bekomme Heimweh. Ich denke an die zahlreichen Open Air Raves meiner Heimatstadt, an die zahlreichen fröhlich tanzenden Menschen. Nie hatten wir eine Location so schön wie diese, nie hatten wir Visuals und auch das Soundsystem war meistens kleiner. Immer wussten wir, dass die Polizei jeden Moment auftauchen konnte um die illegale Party zu beenden. In Bulgarien muss man sich hingegen keine Gedanken machen. Man brauch hier keine Genehmigung, so lange sich niemand über den Lärm beschwert ist alles okay. Als es etwa halb 2 wird gehen die ersten Leute. Ich bin fassungslos. Wer zahlt denn umgerechnet insgesamt 9 Euro für Taxifahrten um dann zu gehen ohne getanzt zu haben?! Die Veranstalter tun mir Leid, doch sie scheinen dieses Szenario gewohnt zu sein.
Nach meinen positiven Erfahrungen in Sofia bin ich etwas ernüchtert. Samuil ist auch ein Teil des Melformator Kollektivs. „Wir organisieren auch Partys in Sofia. In Plovdiv schafft man es nicht mehr als 200-300 Leute zu mobilisieren. In Sofia hingegen kann man richtig große Partys veranstalten. Bald wollen wir eine Rooftop Party dort machen.“ Der gebürtige Sofioter zieht es jedoch vor in Plovdiv zu leben. „Es ist kleiner und überschaubarer. Man fühlt sich geborgen.“
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