L'viv, czyli Breslau I
"Wie lange will ich schon in die Ukraine? Seit ich das erste Mal in Warschau war." Endlich setzt Johannson seinen Plan in die Tat um und macht sich über Ostern nach L'viv auf.
Ukrainizacja
Wie lange will ich schon in die Ukraine? Seit ich das erste Mal in Warschau war. Ich kam in mein Zimmer im Wohnheim der evangelischen Akademie und mir entgegen kam ein berucksackter Pole gestürmt. Er fährt in die Ukraine, und ich müsse auch hinfahren. Recht hat er. Nach der orangenen Revolution entdeckte das junge Polen seinen östlichen Nachbarn. Und ich laufe natürlich mit der Mode.
Lvivizacja
L'viv, Lwów, Lemberg – das ist Polens Breslau, die schöne verlorene Stadt im Osten. Jeder behauptet, sie gehöre ihm. Sicher ist nur, dass es in Polens Blütezeit sowie der Zwischenkriegszeit einer der wichtigsten Orte des Landes war. Und dann kam der Krieg und die Sowjets und die gaben es nicht mehr her, so wurde es Ukrainisch, schließlich waren nicht viel weniger Ukrainer als Polen ansässig. Die Polen wurde "umgesiedelt", ein guter Teil von ihnen nach Breslau.
Und keiner war zufrieden damit. Polnische und ukrainische Partisanen gingen sich jahrelang an die Gurgel und den Sowjets sowieso. Die ersten wollten ihre gerade befreite Heimat von den Ukrainern zurück, die anderen auch die letzten Polen raus, die ihre Heimat so lange besetzt hatten. Das wurde erst gelöst, als sämtliche Ukrainer aus dem polnischem Grenzstreifen in die Ukraine transportiert und die Grenze dichtgemacht wurde.
Wie für die deutschen Breslauer war der Ort lange kaum zu erreichen. Jetzt jedoch ist er ein beliebtes Ziel polnischer Touristen, ganz im Westen der Ukraine, schön nah an der Grenze.
Dafür sind die Verbindungen aber schlecht ausgebaut. Ohne die EVS Freiwilligen in Lublin hätte ich nicht erfahren, dass es doch eine direkte Verbindung gibt. Freitagmorgen, im Büro hat sich vor Ostern ohnehin jeder frei genommen, setzte ich mich in den Bus voller Arbeitsemigranten, die wenigstens die Feiertage mit der Familie verbringen wollen. Auch ich werde bei einer Familie wohnen, die ich über eine dieser Übernachtungsbörsen im Internet gefunden habe.
Über die Grenze
Ostpolen. Ich fühle mich wie zu Hause: schöne Landschaft, arme Städtchen. Seen auf denen die Sonne glitzert, Wälder, alte Herrenhäuser, Läden in Blechhütten.
Kurz nach Mittag kommen wir zur Ostgrenze der EU. Wie auf dem Weg nach Bulgarien wird man ordentlich gefilzt, dabei ist es noch weit einfacher rauszukommen als wieder rein.
Die Ukraine. Die Rezeptionistin im Warschauer Wohnheim meint noch, da im Osten, da gibt’s doch soviel Verbrechen...
Man merkt sofort, dass man die Grenze passiert hat. Die Straße so löchrig, dass die in Polen schon wie Autobahnen wirken. Aber auf ihnen fahren Mercedes und in jedem verfallenen Dorf glänzt die goldene Kuppel einer neuen Kirche über die Felder.
L'viv
Im Abendrot kommen wir in L'viv an. Vor den Kirchen stehen bereits lange Schlangen. Im Bus habe ich schon Leute kennen gelernt. Einen haitisch-stämmigen Polen mit seiner ukrainischen Verlobten, die beide in Warschau arbeiten. Das hilft, sie zeigen mir den Weg und handeln einen günstigen Geldtausch mit einer anderen Passagierin aus. Alle sehr nett hier.
Als erstes verliere ich meine Stadtkarte. Zum Glück lässt sich die Verkäuferin im Allzweckladen per symbolischen Sprachanstrengungen genauso zur Hilfe bezirzen wie in Polen und Bulgarien. Sobald ich von der Hauptstraße weg bin, dunkle Straße, keine Beleuchtung und auch an der Tür keine Klingeln.
Westbesuch
Zum Glück ist der Empfang so freundlich wie man das erwarten kann hier im Osten. Die Familie, das ist Vlad der mittdreißiger Programmierer, seine Frau Olga und der fünfjährige Artem. Vlad ist begeisterter Internationalist und immer froh über Gäste um seinen Sohn zwangsweise Englisch üben zu lassen. Artem kommt zügig über die erste Kleinkindscheu vor dem großen Fremden hinweg, auch wenn er für mich sein Zimmer räumen muss. Damit nicht genug, ich kriege Borszcz und die erste Scheibe Pas’cha. Das ist das traditionelle Osterweißbrot, süß, mit Streuseln oben drauf. Eigentlich erst nach der Weihung am Samstag zu essen... aber Gast im Haus, Gott im Haus.