Kröten, Kohle, Schotter – warum wir über Geld sprechen müssen 1/3
Eine Analyse über die Problematik öffentlicher Verschuldung. Diese Analyse setzt sich aus drei Teilen zusammen.
Letzte Woche haben wir mit unserer WG hier in England, meiner Heimat während meines Europäischen Freiwilligendienstes, einen Film über eine Katastrophe gesehen, dessen Auswirkungen bis heute andauern. „Too big to fail“ - ein sehr gut gespielter, dramatischer Thriller, der ausschließlich aus Dialogen besteht, gesprochen von Männern in schwarzen Anzügen. Andere Elemente des amerikanischen Kinos sind auch vorhanden: Geld, Macht und eine aufgewühlte Nation. Es gibt keine Waffen, keine schöne Frauen, kein Sex, kein Martini – und trotzdem ist der Zuschauer gefesselt, beklemmt und am Ende verstört. Das Werk handelt von den letzten Stunden des Investmentinstitutes „Lehman Brothers“, ehe die Bank notgedrungen schließen musste. Verhandlungen zur Übernahme mit anderen Banken scheiterten, die amerikanische Regierung weigerte sich, dem Kreditinstitut einen notwendigen Kredit zu gewähren. Dieser Crash löste einen Dominoeffekt aus, welcher nur durch massive staatliche Interventionen verlangsamt werden konnte. Die Problematik jedoch, dass ein Zahlungsausfall einer einzelnen Bank zu einem massiven Schaden anderer Banken führen kann, ist bis jetzt noch nicht gelöst. Die Staatsverschuldung ist seit dem Krisenjahr 2007 sprunghaft um mehrere Prozentpunkte angestiegen. Auf die kommenden Generationen kommen hier immense Belastungen zu, deren Ausmaß wir noch nicht abschätzen können.
Die Problematik der Staatsverschuldung ist offensichtlich: Die US-Regierung musste Einrichtungen wie Schulen, Nationalparks, Bibliotheken und andere öffentliche Institute schließen – weil kein Geld mehr da war. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine Schuldenbremse – und regelmäßig trifft sich der Kongress, um eine entsprechende Erhöhung zu beschließen. In England, dessen Staatsverschuldung in relativer Höhe wesentlich dramatischer ist, als die Verschuldung europäischer Staaten, wird das Problem auf eine sehr eigene Art und Weise gelöst: „Solange seine Staatsverschuldung ausschließlich auf Pfund Sterling lautet, muss es grundsätzlich nie in eine Situation der Zahlungsunfähigkeit kommen. Wenn Staatsanleihen fällig werden, kann der Rückzahlungsbetrag jederzeit durch die Bank of England bereitgestellt werden und wenn die Verschuldung erhöht werden muss, können die neuen Anleihen durch die Notenbank erworben werden.“, so formuliert es zumindest der Sachverständigenrat in seinem Gutachten 2010/2011. Mit anderen Worten: Wenn der Regierung Ihrer Majestät das Geld ausgeht, ruft sie einfach in ihrer eigenen Druckerei an und bestellt neues.
Die amerikanische und britische Notenbanken erwerben Staatsanleihen der jeweiligen Länder, um die Zinsen niedrig zu halten. Diese direkte Staatsfinanzierung ist der in Frankfurt am Main ansässigen Europäischen Zentralbank (EZB) untersagt. Über den kurzfristigen „Euro-Rettungsschirm“ EFSF und das langfristige Instrument ESM („European Stability Mechanism“), verwaltet von einer Behörde mit rund 70 Mitarbeitern, erwirbt die EZB trotzdem Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt. Das heißt sie trägt damit über einen Umweg auch zur Finanzierung (und Stabilisierung) angeschlagener Euro-Staaten bei.
Ich habe bereits Artikel zur Staatsrefinanzierungskrise in Europa veröffentlicht. Das Thema ist sehr komplex, dieser Artikel soll ein paar wissenswerte Hintergrundinformationen über die Zusammenhänge liefern.
Über Geld spricht man nicht gerne – manchmal ist es aber notwendig. Wir wollen über Geld sprechen, welches bereits ausgegeben ist. Im Finanz-Deutsch: Verbindlichkeiten – oder auch: Schulden.
Vorweg ein paar schöne Zahlen, zusammengetragen aus Statistiken von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Bundesbank und der OECD:
Die Staatsverschuldung pro Kopf in ausgewählten Ländern am 6. Dezember 2013:
- Vereinigte Staaten von Amerika: 54.442 $
- China: 2.940 $
- Griechenland: 30.364 $
- Großbritannien: 30.364 $
- Deutschland: 26.375 €
Öffentlicher Staatsschuldenstand 2012 in Prozent des BIP:
- Griechenland: 156,9 vH
- Italien: 127 vH
- Großbritannien: 90 vH
- Deutschland: 81,9 vH
- Frankreich: 90,2 vH
- Vereinigte Staaten von Amerika: 107,59 vH
- Japan: 237 vH
- China: 22 vH
- Russland: 11 vH
Rangliste ausgewählter Länder für die Staatsverschuldung in Relation von Verschuldung zum BIP:
- Platz 1: Japan
- Platz 2: Griechenland
- Platz 11: Vereinigte Staaten von Amerika
- Platz: 18: Frankreich
- Platz 19: Großbritannien
- Platz 27: Deutschland
- Platz 162: Russland
Welche Gründe können für die Aufnahme von Schulden aus der Sicht des Staates sprechen:
- Der Staat kann Kredite aufnehmen, um durch kreditfinanzierte Maßnahmen (deficit spending) konjunkturbedingte Schwankungen auszugleichen. Die Idee ist recht simpel: In Zeiten der Rezession finanziert der Staat beispielsweise Infrastrukturmaßnahmen, um die Nachfrage zu stimulieren. In Boom-Zeiten soll der Staat dann diese Verbindlichkeiten begleichen.
- Weiterhin kann die Kreditaufnahme des Staates mit besonders schwierigen Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen oder ähnlichen, einmaligen Situationen legitimiert werden, bei denen besondere Maßnahmen zur Bewältigung dieses krisenhaftes Zustandes erforderlich werden.
- Die dritte Begründung für öffentliche Schulden sind Investitionen, die Gewinne in der Zukunft versprechen. Grundsätzlich ist dieses Attest jedoch sehr weitläufig angelegt, damit können verschiedenste Maßnahmen bescheinigt werden, beispielsweise der Bau von Straßen und Schulen, Kindergärten aber auch das Einstellen des dort beschäftigten Personals, weil man sich in der Zukunft einen höheren Bildungsgrad, damit bessere Jobs und somit zum Einen höhere Steuereinnahmen und zum Anderen einen Wettbewerbsvorteil erhofft. Doch wie erfolgsversprechend sind diese Ansätze? Diese Frage kann eben nicht zum Zeitpunkt der Entscheidung, sondern erst Jahre später beantwortet werden. Das Problem: Politik denkt in der Regel kurzfristig, Anreizstrukturen im politischen Prozess (wie etwa Wahlen) bergen die Gefahr steigender Schulden.
Welche Gründe können aus der Sicht des Staates gegen eine Aufnahme von Krediten sprechen?
- Die Aufnahme von Krediten verletzt die Generationengerechtigkeit. Unsere Eltern haben Investitionen getätigt oder laufende Kosten auf Pump finanziert, ohne uns um unsere Erlaubnis gefragt. Wir müssen ihre Rechnungen zahlen. Wenn diese Investitionen einen Wohlfahrtsgewinn in der Zukunft versprechen, kann es legitim sein, die nachfolgenden Generationen an den Kosten zu beteiligen – aber wer kann schon sicher gehen, dass ein solcher Wohlfahrtsgewinn zu erwarten ist?
- Die immer weiter steigende Zinslast schränkt den Handlungsspielraum der Politik in der Gegenwart sein. Das politische System neigt zu teuren Wahlversprechen – dessen Kosten (und Tilgungsraten und Zinsen) dann über Kredite finanziert werden. So entsteht langfristig ein „Schneeballsystem“, das heißt, wir bedienen die Kredite in dem wir neue Kredite aufnehmen. Dabei schränken uns aber proportional steigende Zinsen immer weiter in unserem Handeln ein.
Die Statistiken zeigen, dass es hier um viel Geld geht. Wenn Staaten sich so hoch verschulden gehen, geht das nur aus zwei Gründen: Zum Einen gehen wir von keinem Ende aus; die endgültigen Rückzahlungen werden auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben und zum Anderen verfügt der Staat über die Währungshoheit – wenn er droht pleite zu gehen, druckt er einfach neues Geld, wie etwa in den Staaten oder in Großbritannien.
Dieses System funktioniert allerdings nur so lange, wie die Finanzmärkte Vertrauen in die Rückzahlung der Kredite haben, die Staaten müssen also über eine hohe Bonität verfügen. Ist diese auf „Ramsch-Niveau“ (wie etwa bei Griechenland), so sind die Risikoaufschläge für einen Zahlungsausfall so hoch, dass sich ein Land nicht mehr refinanzieren kann und es dann tatsächlich zu einem Zahlungsausfall kommt. Da die Staatsverschuldung in Griechenland nicht so hoch ist wie in Japan und die Regierung eine Handlungsfähigkeit aufweist – im Gegensatz zur US-Regierung – spricht man von einer „Refinanzierungskrise“ und eben keiner Schuldenkrise.