Kaffee trinken mit Terroristen
Ein Strudel der widersprüchlichsten Gedanken und Gefühle hat mich durch das Freiwilligenjahr in Palästina begleitet. Mit diesen drei Kurzbeiträgen möchte ich jeden einladen, kurz daran teilzuhaben.
Winter.
Ich wusste noch nicht, dass er ein Terrorist war, als er mir den Zucker reichte. Die PFLP, die Volksfront zur Befreiung Palästinas hat als Ziel das ursprüngliche Palästina zu befreien und durch einen bewaffneten Kampf einen demokratischen und sozialistischen palästinensischen Staat zu errichten. Die PFLP steht auf der Liste der Terrororganisationen der EU.
Wie gesagt, das alles wusste ich nicht, als ich Salah gegenübersaß und meinen Kaffee schlürfte. Ich hätte jeden ausgelacht, der ähnliches behauptet hätte,
„Glaubst du an Frieden?“ Fragt er mich plötzlich und ich muss erst einmal schlucken. Vor ein paar Monaten hätte ich wahrscheinlich ohne zu zögern bejaht, doch nun sieht das anders aus. Nicht meine Antwort. Doch diesmal zögere ich und füge ein, „Ich möchte es glauben“, hinzu.
„Ich glaube nicht mehr an Frieden.“ Stellt er klar und ich muss unwillkürlich auf seine Fingerstummel starren, die wie viele andere Verletzungen Überbleibsel der Intifada sind.
Ohne auf eine Erwiderung zu warten erklärt er: „Stell dir vor du würdest einen schönen Pulli besitzen und eines Tages nähme dir jemand diesen Pulli einfach weg. Da wärst du doch sauer oder?“ Ich nicke.
„Du würdest dich mit demjenigen streiten, der dir den Pulli weggenommen hat. Doch so viel ihr auch diskutiert, es gibt doch eigentlich nur eine Lösung, den Streit beizulegen.“
Mir wird klar, worauf er hinaus will. „Der Pulli muss zurückgegeben werden.“
Er freut sich, dass ich verstanden habe. „Genau. Das ist die einzige Lösung.“
Ratlos schaue ich in die schwarze Brühe, in der gerade mein Optimismus zu versinken scheint.
Der Hass erblindet die Menschen. Doch kann ich diesen Hass verurteilen ohne erlebt zu haben, was die Menschen hier erlebt haben?
Ich leere meinen Kaffee und versuche zu akzeptieren, dass hier jedes meiner Argumente gegen eine Mauer schlagen würde. Eine Mauer, die anscheinend nicht nur um ihr Land, sondern auch um viele Herzen herum entstanden ist.
Frühling.
Wie kann ich es wagen an Palästina zu denken, wenn andere über den Holocaust diskutieren?
Ich fühle mich mehr als alles andere zerrissen zwischen zwei Völkern, zwei Schicksalen, zwei Ansichten.
Irgendetwas stimmt die ganze Zeit nicht, irgendetwas ist falsch auf unserem Ausflug nach Israel.
Nach einer 3-stündigen Busfahrt kommen wir endlich im Haifa an. Leckeres Essen und ein wunderschöner Blick aufs Meer erwarten uns. „Schau mal“, meine Freundin stupst mich an, „das sind ganz sicher Israelfreiwillige.“
Unverschämterweise tragen die Mädchen Shorts und kurze Tops. Open und unten, ja sogar den Rücken kann man sehen! Wir schütteln nur empört die Köpfe und lachen gleichzeitig über uns Verklemmtheit.
Viele Zeitzeugen werden zu dem Seminar eingeladen, erzählen ihre Geschichten, zeigen ihre Bilder, machen mit uns eine Zeitreise zurück in den Nationalsozialismus.
Und wieder die Frage: Sind wir immer noch schuldig?
Dieser Frage gehen die Israelfreiwilligen noch einmal am Abend bei Bier und Zigarette nach. Ich höre ihnen zu, während in mir drinnen ein reger Kampf herrscht.
Lässt sich das Thema hier ganz von den Problemen in Palästina trennen? Warum kann ich nicht einmal jetzt die Besatzung vergessen?
- Warum macht es mich so sauer, dass Palästina bei diesem Seminar total ausgeblendet wird?
- Es ist nun mal nicht das Thema!
- Doch das spiegelt doch mal wieder Israels Einstellung wieder: Palästina wird einfach ausgeblendet.
Ich versuche mich wieder der verbalisierten Diskussion zuzuwenden. Immer noch geht es um Schuld. Wie fremd mir diese Deutschen vorkommen, wie nah ich mich plötzlich den Arabern fühle. Ich zwinge mich, auch die andere Seite zu verstehen und fühle mich mehr als alles andere zerrissen.
Sommer.
Es ist der 23. August 2008 und 2009. Das ein Jahr ältere Mädchen nimmt die Jüngere an die Hand und führt sie in das Land, welches für sie im letzten Jahr eine neue Heimat geworden ist. Die Jüngere vergewissert sich, dass sie auch alles bei sich hat und ihr Rucksack gut geschlossen ist. Dann drückt sie die Hand ihrer Begleiterin und lässt sich von ihr den staubigen Weg lang führen.
Die Landschaft wird trockener und immer mehr Olivenbäume tauchen am Straßenrand auf und scheinen sich auf den Hügeln in der Unendlichkeit zu verlieren. Eine komplett andere Welt, denkt sie sich und versucht jede Kleinigkeit in sich aufzusaugen.
Die Ältere kennt das Knirschen unter ihren Füßen, doch auch sie blickt nachdenklich über die Hügel bis zu den großen Bergen. Ich komme wieder, denkt sie sich, so Gott will komme ich wieder. Denn immer noch kenne ich nicht alle deine Geheimnisse, Palästina.
Schweigend schreiten sie nebeneinander her. Tausend Fragen brennen auf der Zunge der frisch Angereisten. Welche nur zuerst stellen?
Aus der Ferne klingt der Ruf des Muezzins bis zu ihnen und die Ältere lächelte. Wie würde sie diesen Gesang vermissen. „Er ruft die Muslime zum Gebet“, murmelt sie.
Nun lauscht auch die Zweite und wartet mit ihrer Frage bis der Muezzin verstummt ist.
„Den Islam, werde ich ihn verstehen können?“ Es dauert eine Weile, bis die andere zögerlich antwortet.
„Gleich die erste Frage kann ich dir wahrscheinlich nicht zufriedenstellend beantworten. Ich verspreche dir, dass du viel verstehen und lernen wirst, dich vieles aber ebenso an die Grenzen deines Verständnisses bringen wird. Eine Menge verstehe ich immer noch nicht, aber ich habe gelernt damit umzugehen.“
Die Jüngere nickt und fragt sich, was das wohl für Dinge sind, die selbst ihr älteres Ich immer noch nicht verstanden hat.
Vor ihren Augen taucht plötzlich eine seltsame Errichtung auf. Seufzend kramt die Ältere ihren Reisepass hervor und sieht ihre Begleiterin fordernd an.
„Das ist ein Checkpoint. Wir müssen uns ausweisen.“
Nun wühlt auch die Jüngere ihren Pass hervor.
„Wird das so das ganze Jahr lang laufen? Immer Checkpoints und Warten?“
Die Ältere nickt traurig. „Ja. Du wirst dich daran gewöhnen. Es gibt jedoch auch Dinge, an die du dich nie gewöhnen wirst.“ Sie zeigt auf die großen Gewehre der Soldaten.
Die Jüngere mustert die Soldaten, die abschätzig die Araber vor ihnen kontrollieren.
Sehen sie hier in jedem Araber einen Terroristen? Fragt sie sich.
Ihr zweites Ich nickt, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.
„Du wirst alte Frauen und kleine Kinder sehen, die nicht durch den Checkpoint gelassen werden. Alte Männer, die schikaniert werden. Ist das etwa gerecht? Nein! Doch du wirst dem hilflos gegenüberstehen und mit einem Lächeln werden sie dich durchwinken, denn du bist Europäerin.“
Genau in diesem Moment sind die beiden an der Reihe und werden mit einem kurzen Blick auf den roten Pass schnell durchgelassen.
„Wie kann ich denn dann der Situation hier gegenüber neutral bleiben? Das ist doch nicht fair.“ Die Jüngere packt entrüstet ihren Reisepass wieder in die Tasche.
Die Ältere lacht freudlos. „Das sagst du jetzt? Du wirst so viel sehen, das nicht fair ist. Dinge, die nach deinem Verständnis unmöglich sind. Du wirst nicht verstehen, warum Menschen diese Dinge zulassen können, du wirst nicht nachvollziehen können, warum so viele Menschen mit geschlossenen Augen durch die Welt gehen können. Fairness wirst du hier nicht finden. Gerechtigkeit? Die wirst du vergeblich suchen.“ Grimmig marschieren sie weiter.
„Muss ich wirklich so vergrämt werden wie du?“ Die Frage war der Jüngeren rausgerutscht, bevor sie sie zurückhalten konnte.
Die Ältere schaut ihr jüngeres Ich überrascht an. Ihr Gesicht wird weich. „Keine Sorge, ich bin nicht vergrämt. Ich bin immer noch der Meinung, dass es für dieses Land nur eine Zukunft gibt, wenn es optimistische Menschen mit Träumen und Zielen gibt. Resignation und Pessimismus sind keine guten Wegbegleiter für die Zukunft.“
Die Jüngere nickt nachdenklich. Wird sie in einem Jahr auch so hochgestochen sprechen?
Plötzlich nimmt das leise Treiben um sie herum zu.
Es wird lauter und die beiden betreten einen großen Markt. Die frischgebackene Volontärin muss unweigerlich grinsen.
Schuhe werden hier neben Zitronen verkauft, Sofas neben Fleischläden. Gleichzeitig nimmt sie die vielen Blicke wahr, die auf sie gerichtet sind.
Plötzlich verändert sich die Umgebung um die beiden herum und sie stehen am Flughafen. Beide schauen sich an und jeder sieht die Angst in den Augen der anderen.
„Hab keine Angst“, sagt die Ältere und setzt ihren Rucksack auf. „Es wird toll, vertraue mir. Und spätestens in einem Jahr stehst du hier und möchtest gar nicht mehr gehen.“
Sie zwinkert der Jüngeren zu und geht zu ihrer letzten Kontrolle. Dann steigt sie in das Flugzeug, welches sie endlich wirklich nach Hause bringt.
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