Juli Zusammenfassung von meinem Leben auf Kamtschatka
Seit Mai arbeite ich als Freiwillige im Rahmen von dem EFD "Jugend in Aktion" in Russland in einem Naturpark im Herzen Kamtschatkas (am Ende der Welt, mein Dorf "Esso/Эссо" findet nicht einmal Google-Earth!). Nachdem ich mich in Mai und Juni gut eingewöhnt und mich an die örtlichen Gegebenheiten gewöhnt hatte, kam ein undenkbar blöder Zwischenfall, der die kommenden 3 Monate extrem beeinflussen sollte....
Juli Bericht – kleiner Zwischenfall, große Wirkung
Nachdem der Mai und der Großteil vom Juni so schön waren, war dann ab 23.Juni eine Abwechslung von Nöten. Auf dem Neujahres-Fest der einheimischen Ewenen, was ein großes regionales Fest ist, habe ich mir beim Tanzen durch Umknicken im linken Fuß einen Bänderriss zugezogen. Die ärztliche Versorgung ist hier, wie erwartet, anders als gewohnt und so hatte ich 3 Wochen Gips. Die daraus resultierenden Probleme und Schwierigkeiten möchte ich nicht erläutern, es waren zu viele und der ganze Bericht würde nur eine negative Stimmung verbreiten. Derzeit beschäftigt mich das Bein noch immer- oder besser gesagt es behindert mich, obwohl ich nun eine spezielle deutsche Orthese am Fuß trage, welche meine Lage schon deutlich verbessert (Tausend Dank an Familie Grüttner!!!).
Nichts desto trotz habe ich ein paar spannende Dinge erlebt:
• Es gab dann noch das Fischfest in Esso. Es wurden traditionelle Tänze aufgeführt und Musik gemacht. Es gab wie zu allen Festivitäten frisch zubereitete Fischsuppe- kostenlos natürlich. Auch eine Art Out-Door-Disco gab es auf dem Platz neben dem Fluss. Ich hielt mich mit dem Tanzen erst zurück, da mir dazu nur ein Fuß und zwei Arme mit hölzerner Verlängerung zur Verfügung standen. Sitzend schaute ich mir die wie immer spaßige Russen-Disco an. Aber nach einer Weile des Zusehens hielt ich es nicht mehr aus und tanzte zur Belustigung aller mit einem Fuß und den Stöcken, und das recht ausdauernd. Es war der erste Sport für mich nach zwei Gipswochen. Der Sport tat mir sehr gut, auch wenn der Fuß abends etwas dicker war. Ein anderer Effekt war, wie ich die Tage darauf feststellte, dass mich nun fast das ganze Dorf kennt-kann ja aber auch nicht schaden.
• unsere sibirische Hauskatze „Mucha“ (deutsch: „Fliege“) bot mir ein tolles Programm dar, als ich in der Gemeinschaftsküche wohnte, in dem sie einen Kuckuck zubereitete und unter dem Küchenschrank verspeiste
• zwei Tage lang war die Luft von Waldbrandrauch zu genebelt- keiner wusste woher der Rauch kam, es war Weltuntergangsstimmung und das Atmen fiel schwer. Zum Glück verzog sich der Qualm auch wieder und keine Feuerwalze rannte auf Esso zu!
• Es kamen verschiedenste Leute aus Weißrussland, Moskau, Hawai, Israel zu uns zu Besuch und wir hatten einen spannenden Kulturaustausch, wobei ich meist doch eher die Rolle eines Zuhörers übernahm, da mir zu viele Leute auf einmal, oder mir manchmal auch die Sprachbarrieren zu viel wurden und mich lähmten und ruhig stellten. Zu Besuch heißt hierbei, dass sie teilweise in Gruppen bei uns im Freiwilligenhaus nächtigten.
• Da in der Parkverwaltung mindestens immer eine Person Urlaub hatte, und zwei Inspektoren wegen Knie und Blinddarm krankgeschrieben waren, herrschte Mangel für die Besetzung der Inspektor-Hütte „Димичинский-Кордон“. Ich, als nicht mobiles und ständig auf Hilfe angewiesenes und manchmal auch störendes Wesen, fand diese Möglichkeit des Orts- und Alltagswechsels toll und so war ich 5 Tage lang auf diesem wunderschönen Fleck Erde 9km weg von Esso (was ja schon als Ende der Welt gilt). Wir wurden zu dritt vom Chef persönlich hin auf dem neuen Quad hingefahren. Ich betone den neuen Polaris Quad, weil diese 20´000 Euro teure Maschine ein Geschenk von «Золото Камчатки» (Gold Kamtschatkas) an unseren Naturpark war. Das Abbaugebiet dieses Tochterunternehmens von „Камголд“ grenzt direkt an unseren Naturpark. Einmal wurden schon die Grenzen neu verlegt. Aber angeblich war es einfach ein Geschenk um die Freundschaft zu stärken. Das verstehen nur die einheimischen Russen, glaube ich. Also wir hatten diese wilde Quad-Tour zum Inspektorhaus, die beiden anderen wanderten dann nach zwei Tagen nach Esso zurück weil es für sie weiter zu einem anderen sehenswerten Naturpark ging. Die Tage des einsamen Inspektor-Dienstes waren für mich die schönsten seit langem, da endlich mal kein Trubel und keine Menschen um mich herum waren (Ich schlief ja vorher in der Wohn-Küche aller Freiwilligen). Dort las ich bisschen, schlief viel, schnitzte eine einfache und leider etwas schwer spielbare Querflöte aus einem trockenen Bärenklau-Stängel, und übte die einfachen Inspektor-Dienste aus. Diese sind:
- Temperatur und Windbeobachtungen um 8:00 und 20:00 Uhr aufzeichnen
- Quads, Pferde, Menschen die eventuell aufkreuzen zählen und notieren, sowie woher sie kamen und wohin sie gingen
- Tierbeobachtungen aufschreiben- jedoch nur besondere Tiere
Die Tausend Mücken und Bremsen, die mich vom aus der Hütte humpeln abhielten, zählten also leider nicht. Dafür beschäftigten sie mich trotzdem. Wenn ich nämlich zum 30m entfernten Kompostklo/Plumsklo musste, kamen bei jedem Türöffnen kleine fliegende Gäste in die Hütte. Die Mücken kann ich nun gut im Flug mit der Hand fangen- darin habe ich mich geübt. Das zum Klo gehen war aber nicht nur wegen der einfliegenden neuen Übungs-Mücken aufregend, sondern auch weil überall ein an einer geschwächten Krückstock-Rebekka interessierter Bär hinter den Büschen und anderen Hütten auftauchen konnte. Nachdem ich also meine Übungs-Mücken hinein gelassen hatte wanderte mein erkundender Blick erst nach links, dann geradeaus, und nach rechts. Wenn ich keine Gefahr witterte, was stets der Fall war, begann ich ein Lied zu pfeifen, das mir gerade einfiel. Das war dann zum Beispiel: „Bruder Jacob“, „When the saints go marching in“, „Kumbajah my lord“ oder „Im Frühtau zu Berge“. Das stinkende Plumsklo war dann meine verriegelbare Burg in der ich mich dann immer doppelt erleichtert fühlte. Anschließend schob ich den Riegel vorsichtig wieder zurück, die Holztür ging dann von alleine mit Schwung nach außen auf, mir bot sich eine göttliche Sicht auf die schönen Berge hinter dem Fluss, die mich auch gleich wieder daran erinnerte wo ich eigentlich bin- und klack wurde fast automatisch mein Pfeifen wieder angeschaltet und ich „lief“ zurück zum Häuschen. Dort angekommen, konnte ich mich dann meinen Fang-Übungen widmen und danach anderen Dingen. Ich fand die Zeit alleine dort sehr interessant und toll-es war wie ein kleiner Urlaub oder eine kleine Kur für mich. Dennoch freute ich mich auf den Tag der Ablösung, die laut Chef zwischen 9 und 12 Uhr passieren sollte. 9 Uhr waren meine Sachen im Rucksack verstaut, die Hütte geputzt und ich abfahrbereit. Die Ablösung und meine Rückfahrgelegenheit kam dann 15:30 Uhr. In der Wartezeit kam noch eine deutschsprachige Wandergruppe von 9 Leuten am Kordon (Inspektorhütte) an, welche ich ansprach, da ich nach fast drei Tagen ohne Menschen wieder reden wollte. Diese bereits sichtbar erschöpften Menschen in der brennenden Mittagssonne, hatten doch tatsächlich vor, noch bis zum etwa 70km entfernten Itschinski-Vulkan zu wandern. Sie hatten sich über ein Out-Door-Forum im Internet kennengelernt und alles durchgeplant, und natürlich die beste Ausrüstung dabei. Ich wünschte ihnen viel Erfolg und sie begaben sich zur Mittagspause an den Fluss. Drei Tage später traf ich diese Gruppe im Parkbüro wieder- sie sahen entkräftet und verwildert aus - sie waren nicht über den ersten Fluss ihrer Wanderroute gekommen und hatten vergeblich noch die weiteren Tage eine Überquerungsmöglichkeit gesucht und sind dann durch das Dickicht zurück nach Esso gelaufen. Aber- sie haben es als positive Erfahrung angesehen und gemerkt, dass wandern auf Kamtschatka nicht gleich wandern in Europa ist.
• Also, zurück in Esso, machte ich mich zum zigsten Mal ins Krankenhaus um den Gips abzubekommen. Danach konnte ich endlich wieder mit leichtem Auftreten LAUFEN! Das Auftreten entlastete meine Arme und Hände und ich hatte einen großen Teil meiner Freiheit zurück- ich konnte wieder alleine zum Büro laufen und Essen kaufen gehen . Mein Wille und Ehrgeiz zur schnellen Mobilität war auf die Tatsache zurück zu führen, dass Anton in wenigen Tagen in Elisovo, einer Vorstadt von Petropavlovsk, landen sollte und ich ihn unbedingt abholen wollte. So tat ich es dann auch. Ich fuhr die 500km in 10 Stunden mit einem Touristenbus mit 6 Deutschen. Das war angenehm und ich unterhielt mich eine ganze Weile mit meinem Rentner-Sitznachbarn Helmuth, der das schwarze Schaf der Reittour gewesen zu sein schien. Ich begann ihn vorsichtig auszufragen, und er begann mehr und mehr zu erzählen. Er war früher Bauingenieur, hat schon zu seinen frischeren Zeiten solche Abenteuerreisen nach Canada und auch schon nach Kamtschatka, kurz nach Aufgabe der militärischen Sperrzone, gemacht, ist Imker und besitzt ein großes verwildertes Grundstück mit einem Haus. Meinem Anschein nach ist er ein Mensch, der recht einsam ist. Irgendwie erinnerte er mich aber auch an meinen Opa, welcher ebenfalls Imker ist. Wir fuhren einen extra Umweg um den Fluss Kamtschatka zu sehen, über welchen derzeit eine große Brücke gebaut wird. In Milkovo wurde wie üblich zum Mittagessen in der Kantine gehalten. Dort gab es die übliche Verwirrung welche Essen es gibt und wer was nimmt, da die Essenslisten stets russisch und handschriftlich sind. Auf die Vitrinen-Variante wie in der Freiberger Mensa, sind sie leider noch nicht gekommen, den vielen Touristen würde es aber sehr helfen und die Küchenfrauen würden weniger graue Haare bekommen. Die deutschen Männer beschwerten sich über die Spatzenportion. Ach ja, sie hätten wissen sollen, dass die Russen stets mehrere Gänge (Suppe, Salat, Hauptgericht, Kompott) essen und eines dieser Essen garantiert nicht satt macht. In Elisovo verließ ich am frühen Abend als einzige den Reisebus, der übrigens sogar eine Panne hatte, die aber nach 10 Minuten behoben worden war. Bewaffnet oder unterstützt von meinen zwei Wanderstöcken humpelte ich umher um Orientierung zu bekommen von wo aus der Bus zu meinem Nachtlager starten würde, dem Bed and Breakfast von Martha Madson. Ich fand alles und fragte lieber einmal zu viel als zu wenig nach um ohne Fehler zur richtigen Haltestelle zu gelangen. Mit im selben Bus waren zwei andere Männer aus Moskau, welche auch zu Martha wollten. Diese starteten am nächsten Tag auf die Kommandeurs-Inseln- wie gern würde ich diese Inseln auch einmal besuchen. Ich schlief im Wohnzimmer auf dem Ausziehsofa, traf verschiedenste interessante Leute dort- von einem amerikanischen Professor über zwei Schweizer aus Zürich denen Larissa vom Naturpark schon auf dem Tolbatschik geholfen hatte, bis hin zu Howard, der den Tag drauf mit dem Fahrrad nach Esso aufbrach. Als ich den Tag drauf aufbrechen wollte, bemerkte ich, dass meine guten Lederhalbschuhe voneinander getrennt lagen und beim genaueren Hinsehen erkannte ich den Grund dafür. Einer der zwei weißen Labradore von Martha, musste wohl den Drang auf ausländische Küche verspürt haben und so fehlten dem einen Schuh die komplette Zunge, sowie der halbe Schnürsenkel. Dafür war das restliche Leder mit guter Hundesabber eingecremt worden und duftete prima. Ich improvisierte die Schnürung so, dass der Schuh am Fuß hielt, und machte mich auf den Weg, den ich noch nicht kannte. Alles weitere klappte gut, und Anton landete auch gesund und glücklich erst auf dem Boden Kamtschatkas und dann in meinen Armen. Am selben Tag konnten wir noch mit dem leeren Touribus zurück nach Esso fahren. Nagut- leer ist relativ: Drin befanden sich neben uns 6 Menschen auch noch ein große Kühlschrank, ein Fahrrad, zwei Säcke Pferdehafer, neue Zelte und Isomatten, massig Bananen, viel Sekt und Wein, und zwei wunderschön verzierte Sahnetorten, welche nur halb so kaputt in Esso ankamen, wie ich eigentlich erwartet hatte. Anton endlich wieder bei mir zu haben war ein schönes Gefühl, fast wie ein Traum.
• In Esso warteten dann die anderen 8 Leute im Freiwilligenhaus auf uns und die folgenden Herausforderungen waren: das Leben zu 10. Wenn jeder einen anderen Ursprung hat und anders denkt, kann das schon sehr schwer und nervenzehrend sein. Mir fiel es besonders schwer, da ich mich immer wieder von bestimmten Personen kritisiert fühlte und ich mich nicht verstanden fühlte.
• Anton und ich waren bei Oleg im Dorf schnitzen, außerdem waren wir Beeren sammeln, die direkt hinter unserem Freiwilligenhaus wachsen. Aus ihnen haben wir für alle Marmelade (Konfitüre) gekocht- nach gutem Rezept aus dem DDR-Buch von Mutti: „Wir kochen gut“.
• Die erste größere körperliche Anstrengung nach meinem Bänderriss war das Graben, zusammen mit den Jungs, von etwa 40 Löchern der Tiefe 80cm für ein Sommerhaus. Allerdings ist mein Fuß seitdem wieder etwas schlechter.
• Zudem gab es für den Freiwilligen Weißrussen Wowa und seine Begleiterin einen ernsthaften Bärenvorfall den ich berichten möchte, auch wenn ich selbst nicht dabei war- wie auch komme ja nicht weit raus. Es ist allgemein in Esso bekannt, dass derzeit zig Bären um das Dorf lagern. Nachts kommt es auch mal vor, dass alle Hunde zu bellen beginnen, da sie einen Bären aus dem Dorf treiben. Auch meine Deutsch-Schülerin (55 jährige Frau) erzählte mir, dass frühs um 5 ihr Hund zu Bellen begann, und sie darauf hin sah, wie sich ein Bär aus ihrem Garten bewegte. Aber zurück zu Wowas Treffen der sonderbaren Art. Sie waren zu zweit kurz hinter Esso bei den weißen Zeolith-Felsen wandern und kämpften sich gerade durch Zwegkieferngestrüpp, als plötzlich 8-10 Meter vor ihnen ein großer süßer Kamtschatka Braunbär stand. Sie begannen Geräusche von sich zugeben und laut zu pfeifen. Als Reaktion fing der Bär aber an zu Schnaufen und zu Brummen. In dem Moment ist der sonst nie ängstliche Wowa in Panik geraten, hat seine Bärenfackel gesucht und diese zum Leuchten gebracht. Der schlecht gelaunte Bär entferntes sich darauf hin. Die Fackel brannte jedoch lange (ca. 3 min) und ihre Funken und Feuer gingen auf die trockenen Zweige und Gras über. Um also auch noch den drohenden Waldbrand zu vermeiden, warf sich Wowa auf die Flammen und erstickte sie mit seiner neuen Tarnjacke mit Mückennetz (lebensnotwendiges Utensil für uns Freiwillige). Er konnte die Flammen löschen, was danach blieb waren die Brandlöcher in seiner Jacke, und eine ungewollte Kürzung seines Kinnbartes, den er doch schon seit 10 Monaten wachsen ließ. Als sie im Büro ankamen, sah und roch ich sofort, dass etwas nicht stimmte und so erzählten sie mir von eben diesem Erlebnis.
Das waren die spannendsten Neuigkeiten und Erlebnisse der letzten Zeit. Ich hoffe, dass mein Fuß schnell wieder ganz gesund wird, sodass ich nicht immer nur zusehen muss wie alle Freiwilligen „ausfliegen“ und wandern gehen. Ich möchte auch gern mal wieder nicht nur Fotos ihrer Erlebnisse sehen und allein im Büro sitzen und die Touristen bedienen, wie gern würde ich mich selbst mal wieder sportlich betätigen, eine andere Aussicht und die Natur mit all den Pflanzen und Tieren genießen! Aber vielleicht sollte ich nicht nur darauf schauen, was ich im Vergleich zu all den anderen Freiwilligen verpasse, sondern auch daran denken, wie schön es ist, dass ich überhaupt hier sein darf und dankbar für all das sein, was ich auch mit meiner Behinderung alles erleben kann.
Wilde Grüße aus dem warmen und sonnigen Esso,
Rebekka