Jeszcze Polska nie zginęła*
Während Deutschland dieses Jahr mit ernster Miene dem Ersten Weltkrieg gedenkt, bedeutet der Tag des Kriegsendes für Polen die langerkämpfte Unabhängigkeit. Am 11. November, genau hundert Jahre später, wehen nochmals mehr weiß-rote Flaggen. Eine sehr subjektive Betrachtung des Patriotismus zu diesem Anlass
Der 11. November 2014 überrascht mit so viel Sonnenschein, wie man ihn sich nicht mehr am Tag der Verfassung (3. Mai) wünschen kann. Der Markplatz der Krakauer Altstadt gleicht einem Volksfest: Viele Familien samt Kleinkindern und Großeltern sind versammelt, sowie ein Pfadfinderchor und an jeder Ecke werden kostenlos Papierfähnchen verteilt, damit alle die Parade fröhlich bejubeln können.
Die offizielle Krakauer Parade verläuft vom Schloss durch die Altstadt bis auf die andere Seite der Stadtmauer. Der Platz hier ist mit nationalen Symbolen fast überladen: benannt nach dem polnischen Historienmaler Jan Matejko thront hier ein Denkmal zur Erinnerung an die Grunwald-Schlacht, dem wichtigsten Sieg über den Deutschen Order. Später am Tag wird der Boden vor dem steinernen Reiter mit weiß-roten Blumengestecken übersät sein.
Denn dieses Jahr ist es genau hundert Jahre her, dass der Erste Weltkrieg endete. In Deutschland, aber auch in Frankreich oder England konzentriert sich das Gedenken auf die vier Jahre vor dem Waffenstillstand, die so viele sinnlose Todesopfer forderte. Für Polen hingegen bedeutet die Neuordnung Europas durch den Versailler Vertrag, dass es überhaupt wieder als eigener Nationalstaat entsteht. Die Dreiteilung Polens unter den ewig bedrohlichen Mächten Preußen, Österreich und Russland sowie die hundert Jahre lange Fremdherrschaft beeinflussen noch heute das Selbstbildnis insbesondere konservativer Polen.
Doch an diesem sonnigen Vormittag schwenken Väter mit Kindern auf den Schultern und einem Lächeln im Gesicht die polnische Flagge, während die Parade an der munteren Masse vorbeizieht. Es sind Reiter, eine Militärkapelle und soldatisches Fußvolk, die Uniformen aus all den Jahrhunderten Nationalgeschichte präsentieren. Der zweite Teil der Parade ist politischer. Krakau wählt diesen Sonntag und so nutzen politische Parteien und Organisationen, um ihre glänzenden und allpolnischen Ansichten dem Volk zu präsentieren. Das ist nicht nur fröhliches Rot-Weiß, das sind auch anti-bolschewikische Lieder, Trauerplakate zum Gedenken an Präsident Kaczyński inklusive Mordanklage (an die Russen? an die liberalen Parteien?) und eine große Gruppe der Partei „Nowa Prawica“. Die „neue Rechte“ wie sie übersetzt heißt, wächst sprunghaft in der (vornehmlichen männlichen) Wählergunst. Erstaunlich, dass Frauen Schilder vor sich hertragen für eine Partei, die ihnen das Wahlrecht absprechen will.
Doch bis auf ein paar Störrufe während der Gedenkreden verläuft die Veranstaltung in Krakau friedlich. Vertreter aller öffentlicher Ämter und Organisationen bekunden ihren Nationalstolz, es gibt Salutschüsse und eine Zugabe der Militärkapelle. Damit endet der offizielle Teil und die Cafés in der Innenstadt erfreuen sich an der langsam auflösenden Menschentraube.
In Warschau verläuft der Abend anders. Letztes Jahr brannte ein großer Regenbogen, eine harmlose Kunstinstallation; und Randalierer attackierten die russische Botschaft. Dieses Jahr gab es eine neue Route, weniger Feuer, aber noch immer genügend Verletzte und mehr als 200 Festnahmen. Während Präsident Komorowski seine Landsleute aufrief, „gemeinsam für die Unabhängigkeit“ zu feiern, marschierte eine weitaus größere Anzahl an vermummten Nationalisten der Allpolnischen Jugend und weiterer nationalistischer Organisationen auf. Sie skandieren „Polska tylko dla Polaków“ (Polen nur den Polen) und schließen Juden, Homosexuelle und weitere Minderheiten aus ihrem nationalen Selbstbild aus. Und sie sind bereit, ihre Meinung mit Steinen und Feuerwerkskörpern kundzutun. Ob sie das auch nächstes Jahr auf der Straße dürfen, wird lebhaft diskutiert.
* mit "noch ist Polen nicht verloren" beginnt die polnische Nationalhymmne
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