Janka Tanya im Kino
Über die Autistenbetreuung, bei der ich innerhalb meines Projekts arbeite, wurde ein Film produziert. Gestern war die Premiere :)
Budapest, 12. November 2019, 18 Uhr Ortszeit. Das „Corvinmozi” Kino zeigt an diesem Abend die Premiere eines ganz besonderen Film's. Der Titel dieses Films.„Hosszú út“. Was soviel wie „ein langer Weg” bedeutet. Hierbei sollte es sich um einen Dokumentarfilm über die Autistenbetreuung „Janka Tanya” handeln. Produziert wurde dieser Film von „Spar Magyarország” (Spar Ungarn).
Was genau ist „Janka Tanya”?
Janka Tanya ist eine Autistenbetreuung, die sich in der Gemeinde Tótvázsony befindet. Wobei das nicht ganz richtig ist. Betreuung ist das falsche Wort. Es ist ein Platz, eine kleine Farm, wo Menschen mit Autismus einer geregelten Arbeit nachgehen können. Die Arbeiten sind sehr vielfältig. Auch werden anfallenden Gemeindearbeiten erledigt. Das örtliche Hotel dient ebenfalls als Arbeitsplatz. Jeder, egal wie beeinträchtigt sie oder er auch sein mag, hat dort einen Platz. Es gibt keine Hierachie, alle sind gleichgestellt. Natürlich erhalten auch alle eine Bezahlung.
Ein Konzept, welches in Ungarn einzigartig ist. Wohl auch mit ein Grund für den Dokumentarfilm.
Der Umgang mit geistig beeinträchtigten Menschen in Ungarn und Osteuropa
Wie bereits erwähnt ist "Janka Tanya" wohl deshalb so besonders, da das Konzept der Inklusion von Menschen mit Behinderungen, einzigartig in Ungarn und sehr selten in Osteuropa ist. Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen stehen am Ende der immer noch sehr hierarschischen Gesellschaft in Osteuropa. Sie werden viel mehr als Belastung gesehen, nicht als Chance. Wie weit die Verachtung reichen kann, möchte ich an einem Beispiel aus der Nähe von Budapest klar machen.
Im Jahr 2017 hatte die britisch-ungarische NGO "Mental Disability Advocacy Centre" schier unfassbare Zustände in einem Heim für Menschen mit Behinderungen in der Stadt Göd aufgedeckt. Zustände, die eigentlich ins Mittelalter gehören und von denen man nicht glauben kann, das sie im Europa des 21. Jahrhunderts immer noch existieren.
Das Heim, um das es ging, wurde im Jahre 1977 in einer ehemaligen Burg eröffnet. Hier sollten 220 Menschen, die geisitg und/oder körperlich beeinträchtigt sind, betreut und in ihrem Alltag unterstützt. Dies geschah dort allerdings nicht. Im Gegenteil.
Unter dem Titel "Gestank, Wunden und Zwangsjacken" wurde die Untersuchung veröffentlicht. Im Bericht ist von Fesselungen, Unternährung, unbehandelten Wunden und sogar Folter die Rede. Es wird über Zustände wie aus einem Horrorfilm berichtet.
Ein weiteres Beispiel stammt aus dem Jahr 2013 aus dem Städchen Szilvásvárad. Im Rahmen eines EU-Projekts sollten Menschen mit Behinderungen aus einem Heim bei Miskolc denzentral untergebracht werden, um so deren Lebensstandard zu erhöhen und die Integration zu verbessern. Ein Teil der Bewohner wehrte sich mit Hände und Füßen gegen die Unterbringung in ihrem kleinem Städchen.
Das sind nur zwei kurze Beispiele (beide sind in den Quellen verlinkt), die aufzeigen sollen, was für eine Bedeutung das Projekt "Janka Tanya" besitzt.
Umso besser, dass ein Film darüber entstanden ist. Hoffen wir, dass soviele Menschen wie möglich, ihn sehen werden.
Spar Magyarország und Janka Tanya
Doch warum wurde dieser Film gerade von „Spar Magyarország” produziert? Die Frage ist einfach zu beantworten. Denn neben Janka Tanya, der Gemeinde und dem Hotel, arbeiten die Kolleginnen und Kollegen auch im „INTERSpar” in Veszprém. Dort sind sie beispielsweise für die Warenverräumung zuständig. Außerdem verteilen sie einmal pro Woche, das Werbeblatt von Spar und INTERSpar.
Es herrscht eine enge Verbindung zwischen Spar und Janka Tanya. Diese wird im Film ebenfalls gezeigt.
Die Premiere
Am 12. November war es dann schließlich soweit. Nach wochenlangen Dreharbeiten, wurde der Film endlich im Kino gezeigt. Geladen waren 150 Gäste, darunter die Filmemacher, Vertreter von Spar Magyarország sowie der niederländische Botschafter.
Außerdem gehörten zu den Gästen die Eltern der Kolleginnen und Kollegen aus Janka Tanya, der Bürgermeister von Tótvázsony sowie dessen Vorgänger und viele Freunde.
Natürlich waren auch die Stars des Films, die Hauptdarsteller, die Kolleginnen und Kollegen aus Janka Tanya sowie die zwei Gründerinnen Janneke und Kati dabei.
Ach so. Und ich stand auch noch irgendwo rum.
Der Premierentag verlief erstmal wie gewohnt. Morgens arbeiteten wir normal. Jedoch konnte man jedem die Nervosität schon anmerken. Auch für mich war es ein besonderer Tag. Sogar ein Hemd habe ich mir für die Vorstellung angezogen. Normalerweise hasse ich das. Jedoch war auch mir diese Premiere wichtig.
Um 14 Uhr war es dann schließlich soweit. Ein von Spar organiserter Bus, hielt direkt vor Janka Tanya, um uns nach Budapest zu bringen. Mit kurzen Zwischenstopps in Némesvámos und dem INTERSpar in Veszprém, ging es schließlich auf direktem Wege zum Kino nach Budapest.
Mit einer kleinen Vespätung von 15 Minuten kamen wir am Kino an. Dort warteten bereits Vertreter von Spar Magyarország. Für uns Gäste wurde bis zur Vorstellung um 18 Uhr ausreichend gesorgt. Sogar mit eigenen Kellnern.
Um 18 Uhr betraten wir den Kinosaal. Ich saß mich direkt neben bzw. zwischen unsere Kollegen sowie deren Eltern. So konnte ich sehr gut beobachten, wie stolz sie während der Filmvorführung waren. Für mich persönlich, der schönste Moment am ganzen Abend.
Bevor der Film jedoch los ging, wurde nach einer kleinen Einführung seitens des Moderators, sowohl Kati als auch Janneke interviewt. Da alles ausschließlich auf ungarisch war, habe ich natürlich jedes Wort, ohne Probleme verstehen können.
Nach den Interviews, sollte der Film beginnen. Dieser war auch nur auf Ungarisch. Allerdings, braucht es manchmal keine Sprache um zu verstehen.
Obwohl ich so gut wie kein Ungarisch spreche, verstand ich doch jedes Wort. Eigentlich will ich nicht näher auf den Film eingehen, schaut ihn euch einfach an. Mittlerweile steht auch eine Version mit englischen Untertiteln auf YouTube bereit.
Da ich wie bereits erwähnt, in unmittelbarer Nähe zu unseren Kolleginnen und Kollegen und deren Eltern saß, war es sehr schön ihre Reaktionen zu beobachten. Zum Beispiel Fárkas, der sich gefühlt alle 30 Sekunden umdrehte und ein breites Grinsen auf dem Gesicht hatte. Zoli, der direkt neben mir saß und ebenfalls durchgehend am Lächeln war. Oder Patricias Vater, der links von mir saß und sehr gerührt war, seine Tochter auf der großen Leinwand zu sehen.
Eine halbe Stunde ging der Film ingesamt. Danach wurden Kati und Janneke nochmal interviewt. Janneke war den Tränen nahe. Mir ging es genau so. Zum einen, weil ich einfach nicht sehen kann wie jemand weint aber auch überwältigt von dem Gefühl, ein Teil von dem hier zu sein.
Nach den Interviews wurden alle Kolleginnen und Kollegen mit Namen aufgerufen und nach unten gebeten. Es wurde nämlich ein großes Bild mit allen Beiteiligten gemacht.
Zum Abschluß des Abends gab es noch ein Buffet, bei dem ich ordentlich zugeschlagen habe. Um kurz nach 20.00 Uhr ging es wieder in den Bus zurück nach Tótvázsony. Natürlich, wie sollte es auch in Ungarn anders sein, durfte hier auch der Pálinka nicht fehlen. Ausnahmsweise trank ich auch mal zwei Shots mit. Mach ich sonst so selten.
Gegen 22.15 Uhr kamen wir schließlich, nach einem wirklich schönen Ereignis, wieder zu Hause in Tótvázsony an.
Persönliche Worte
Zum Schluß dieses Artikels, möchte ich noch gerne ein paar persönliche Worte loswerden.
Den Stolz in den Augen der Kolleginnen und Kollegen und deren Eltern zu beobachten. Wenn man sich vorstellt, dass Menschen mit Behinderungen normalweise in Ungarn und wohl auch in großen Teilen Osteuropas keine Chance auf Teilhabe in der Gesellschaft bekommen. Und jetzt sind sie auf einer Kinoleinwand zu sehen. Ein riesen Verdienst von allen. Den Einwohner von Tótvázsony, den Eltern, den Kolleginnen und Kollegen. Aber ganz besonders von Janneke und Kati, die das alles aus dem Nichts, aus dem Boden gestampft haben.
Im Film war auch kurz zu sehen, wie das Grundstück, auf welchem sich Janka Tanya heute befindet, zu beginn aussah. Das Haus in einem sehr schlechten Zustand, die Werkstatt von Asbest befallen, der Garten zugewachsen. Und wenn man sich ansieht und klar macht, was daraus letzten Endes wurde. Ein Strahl der Hoffnung, ein Lichtblick für die Menschlichkeit in Ungarn und in Ostereuropa. Wie viel Mut diese zwei Frauen gehabt haben. Alles hinter sich zu lassen, jeden Cent in eine Idee stecken und gegen Widersprüche und Widerstände, in einem osteuropäischen Land sowas Wunderbares zu erschaffen.
Persönlich muss ich sagen. Janneke und Kati sind eine Inspiration und die zwei größten Badass – Frauen, die ich jemals kennenlernen durfte. Ich bin sehr stolz mit Euch und unseren Kolleginnen und Kollegen arbeiten zu dürfen. Danke für die Chance. Und möge Eurer Licht nicht nur Ungarn, sondern ganz Osteuropa erhellen.
Link zum Film mit englischen Untertiteln: https://www.youtube.com/watch?v=Vx3bdny-fVA
Quellen:
http://politicalcritique.org/cee/hungary/2017/silent-horror-hungary-disabled/
https://www.derstandard.at/story/2000056939722/schwere-missstaende-in-ungarischem-behindertenheim
https://www.greenpeace-magazin.de/ticker/bericht-horror-zustaende-behinderten-heim-ungarn
http://www.pesterlloyd.net/html/1339lehrstueckszilvasvarad.html