Israel auf Persisch VII: Teheran#2 und Abschied
Monate der gewissenhaften und bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Planung liegen hinter mir, denn ich habe eine aussergewöhnliche Reise unternommen: 2 Wochen Iran! Aber damit nicht genug - meine nächste Destination war ausgerechnet Israel...
Die Nacht im Bus war erstaunlich erholsam gewesen, sodass wir relativ ausgeschlafen in Teheran ankamen. Mit einem sehr lustigen Taxifahrer fuhren wir zu den Jungs und lernten nun erst einmal unseren "richtigen" Gastgeber und Besitzer der Penthousewohnung kennen, der bei unserer Ankunft im Land noch im Urlaub gewesen war. Nachdem wir uns ein bisschen frisch gemacht hatten, fuhren wir mit seinem Porsche in die Stadt zum "House of the Artist". Da gerade eine neue Austellung vorbereitet wurde, konnten wir die Raeume nicht besichtigen, wurden aber direkt zur Vernissage um 18 Uhr eingeladen und sagten begeistert zu.
Im Dachcafe staerkten wir uns und gingen anschliessend zu Fuss zur nicht weit entfernt liegenden ehemaligen US-Botschaft (der Hollywood-Film "Argo" zeigt, wenngleich sehr romantisiert, was hier in den 70er Jahren nach dem Putsch gegen den Shah passiert ist). Die USA haben keine Botschaft mehr im Iran; das Konsular fuer amerikanische Staatsbuerger befindet sich in der Schweizer Botschaft, fuer ein Visum in die USA muessen Iraner in der Regel eine Botschaft im Ausland, oft Armenien, aufsuchen.
Die Botschaft selbst kann nicht mehr betreten werden; ihre neu gestalteten Mauern sind ein beispielloses Werk anti-amerikanischer Propaganda. Ein grosses Poster direkt am Eingang zeigt beispielsweise einen grossen Soldaten, der mit dem Stab seiner iranischen Flagge die der USA und Israels zu seinen Fuessen zerbrach. Am Ende der Bildergalerie, die unter anderem die Freiheisstatue als Todesfratze zeigt, steht symbolisch "Down with USA". Wir redeten kurz mit den sehr freundlichen Wachmaennern, die diskutierten, ob man uns ins Innere lassen koennte; dem schob der Chef leider einen Riegel vor. Passanten vor der ehemaligen Botschaft schienen sich nicht weiter um den Bau zu kuemmern, und im Zentrum dieser modernen Stadt wirkte er beinahe surreal.
Die Jungs brachten uns als naechstes zum Wahrzeichen der Stadt, dem Azadi Tower, der an der groessten Kreuzung ueber die Stadt blickt. Den Aufstieg sparten wir uns (immerhin hatten wir die gleiche Aussicht auch von "unserem" Balkon), aber das Monument selbst war sehr beeindruckend! Wir nahmen die U-Bahn zurueck zur US-Botschaft. In dieser gab es, wie auch in anderen Laendern, getrennte Abteile fuer Frauen. Anders als in Bussen aber ist die Trennung nicht strikt, das heisst die Frauen duerfen auch in die Maennerabteile - die Frauenabteile sind allerdings "Ladys only" und damit eine eigene Welt! Denn hier koennen die Frauen, waehrend sie von A nach B fahren, noch ihre privaten, "weiblichen" Einkaeufe machen: An jeder Station steigen Frauen ein, die Schminke, Unterwaesche, Frauen-Hygieneartikel und so weiter verkaufen - und sie finden immer Kundinnen! Selten gibt es auch einmal maennliche Haendler im Frauenabteil, aber wohl aus Angst vor der Sittenpolizei sind sie immer schnell wieder draussen. Sooft ich mich auf dieser Reise geaergert hatte, dass mir auf Grund meines Geschlechts so viele Perspektiven verschlossen blieben - dies war eine Welt, die allein den Frauen vorbehalten war.
Wir gingen zurueck zum Artist's House und kamen gerade rechtzeitig zum Beginn der gut besuchten Vernissage. Die Sektglaeser fehlten ein bisschen im Bild, aber die Fotoausstellung selbst war sehr beeindruckend. Verschiedene Fotografen stellten auf drei Etagen ihre Werke aus, von traditionellem iranischen Kunsthandwerk bis zu eindrucksvollen Portraits aus einem Waisenhaus fuer geistig und koerperlich behinderte Kinder. Auch Kriegsfotografien aus dem noch sehr praesenten Krieg mit dem Irak, mit dem treffenden Titel "In the Name of God", waren ausgestellt - schwarz-weiss zwar, aber doch mit schrecklich genauen Bildunterschriften, die etwa angaben, einen sterbenden Mann nach einem Gefecht abzubilden.
Wir kamen mehrere Male in nette Gespraeche und tauschten Kontaktdaten aus. Meine Lieblingsgallerie zeigte Bilder aus dem iranischen Kino - vor dem Putsch eines der modernsten und experimentellsten der Welt, heute strikter Zensur unterworfen (das Thema "Zensur" wird uebrigens in dem im Iran verbotenen und nur im Ausland gezeigten Film "Manuscripts don't burn" des Regisseurs Mohammad Rasoulof wunderschoen und tragisch dargestellt). Zum Abschluss suchten wir noch das vegetarische (!) Restaurant im Seitenfluegel des Gebaeudes auf und assen endlich den beruehmten iranischen Kebab im Brot, wenngleich in der Seitan-Variante.
Auf Grund des grossen Andrangs gelang es uns zunaechst nicht, ein Taxi zu finden, und als wir schliesslich eines hatten, versuchte der Fahrer uns komplett ueber den Tisch zu ziehen. Der Koordinator der Taxen kam herueber und sprach uns zunaechst unfreundlich auf Farsi an. Als deutlich wurde, dass wir Auslaender waren, stimmte ihn das augenscheinlich milder, und als wir noch ein paar Brocken Italienisch mit ihm austauschten, bekamen wir ploetzlich einen Sonderpreis. Eine komische (im Sinne von Komik) Situation.
Fuer unsere letzte Nacht im Iran luden uns die Jungs zu einer ausschweifenden Party in ihrem Ferienhaus in den Bergen ein. Das Apartment war wirklich beeindruckend, und sie erzaehlten uns, dass alle, die es sich leisten konnten (wie gesagt, das sind nicht viele) solche Apartments mieten, um auch mal "ordentlich die Sau raus lassen" zu koennen. Und so wurde es dann auch - Trommelfell-zerberstende Technomusik und Schnaps bis zum Umfallen wurden verladen, dazu zum Glueck genug Chips fuer die Elektrolyte. Die Aussicht des fast vollen Mondes vor den schneebedeckten Bergen war phaenomenal; da ich die kurvige Fahrt allerdings nur knapp ueberstanden hatte, ohne auf die Ledersitze des Edelwagens zu kotzen, hielt ich mich bei den Getraenken zurueck.
Viel zu hell schien die Sonne am naechsten Mittag fuer die meisten von uns, als wir den Tag mit Kaffee auf dem Balkon begannen. Zurueck in Teheran wollten wir aber nicht unsere letzten Stunden schlafend verbringen und zogen per U-Bahn los zum Ehrendenkmal fuer den verstorbenen Ajatolla Chomeini, der als Leitfigur der Islamisierung des Iran gedient hatte. Praechtig glitzerte uns das goldene Dach der Moschee, in der sein Sarg aufbewahrt wird, schon von der eigens gebauten U-Bahn-Station entgegen, und wir mussten einen Kilometer um das Gebaeude herum zu seinem Eingang laufen. Dort wurden wir mit Tischdecken-aehnlichen Chadors versorgt und verpackten uns mit Hilfe eines sehr amuesierten Aufsehers darin; auch unsere Schuhe mussten wir abgeben.
Wir hatten uns auf aehnliche Szenen eingestellt, wie wir sie am Atatuerk-Denkmal in Ankara beobachtet hatten - Menschenmassen mit Traenen in den Augen, die das Grabmahl kuessten und kleine Zeremonien abhielten fuer ihren Helden. Tatsaechlich war bei den urspruenglichen Feierlichkeiten ein solcher Tumult ausgebrochen, dass die Leiche sogar aus dem Sarg gefallen war! Jetzt aber lag, trotz Gebetsstunde, die Moschee halb leer da; in einem nur maessig abgesperrten Raum beteten einige Maenner und sangen; die Frauen auf der anderen Seite schienen die weichen Teppiche groesstenteils zum Schlafen zu nutzen. Hinter einem grossen, vergitterten Glaskasten lag der Sarg des Ajatolla aufgebahrt; durch einen kleinen Schlitz konnte man Geldspenden hineinwerfen, was in unserer Aufenthaltszeit nur eine Frau wahrnahm. Abgesehen von dem doch sehr penetranten Geruch nach ungewaschenem Fuss war es tatsaechlich ziemlich gemuetlich, und fast haetten wir selbst noch eine Stunde hier geschlafen.
Stattdessen fuhren wir zum Bazar, um Gewuerze als Mitbringsel einzukaufen, sowie Kochzutaten, um uns mit einem festlichen Abschiedsessen fuer die immense Gastfreundschaft zu bedanken. Nach einigem Verlaufen fehlten uns nur noch Reis und Gemuese; solcherlei Dinge findet man am Bazar nicht, und mit der Metro gelangten wir wieder ins das Wohnviertel, aus dem wir gekommen waren. Ein Obststand war schnell gefunden, aber selbst in einem der wenigen Supermaerkte konnte man Reis nur in minimal 10 kg-Portionen kaufen. In einem Kiosk wurden wir schliesslich fuendig und kehrten zu den Jungs zurueck, wo wir ein Reisgericht mit Ofengemuese und Erdnuss-Mango-Sosse in der eigens aus Deutschland importieren Hightech-Kueche zubereiteten.
Nach einem ausgiebigen Mahl sowie einem kleinen Powernap, Packen und einer letzten Dusche stand auch schon das Taxi vor der Tuer. Ein herzlicher Abschied, mehr Schokoladengeschenke und das Versprechen eines Gegenbesuchs folgten, dann waren wir schon auf dem Weg zum Flughafen, den uns der Fahrer mit amerikanischer Housemusik "versuesste".
Vor Ort wechselten wir unser letztes Geld zurueck in Euros und stellten uns in die lange Schlange zur Passkontrolle. Nach den laschen Kontrollen bei der Einreise rechneten wir damit, dass nun das Auge des Gesetzes mit aller Schaerfe auf uns ruhen wuerde, wie wir es auch aus der Ausreise aus Israel kannten. Tatsaechlich aber gaben die Kontrolleure ganz offensichtlich nur vor, irgendetwas in ihr vollkommen veralteten Computer einzutippen, und schindeten bei der Kontrolle unserer Dokumente nur Zeit (mein Kontrolleur schaute tatsaechlich einfach 30 Sekunden in die Luft, nachdem ihm beim Tippen wohl nichts mehr einfiel, und stempelte meinen Pass erst dann).
Durch die ewige Warterei schon ein bisschen unter Zeitdruck kamen wir zur Handgepaeck-Kontrolle (das Aufgabe-Gepaeck war, anders als in Israel, gar nicht kontrolliert worden). Hier herrschte Geschlechtertrennung, aber die Kontrollen selbst waren derart laecherlich, dass ich ziemlich sicher bin, dass sich ein paar Frauen im Gedraenge einfach an den Kontrolleurinnen vorbei geschmuggelt haben. Ich musste kurz meinen Rucksack oeffnen und wurde mit einem Detektor abgesucht. Fragen wurden keine gestellt; offensichtlich wurde auch hier kein gutes Englisch gesprochen. Wir konnten es kaum fassen - all die Sorge und Vorkehrungen waren vollkommen ueberfluessig gewesen, niemand hatte Israel uns gegenueber auch nur angesprochen, und schon sassen wir im Flugzeug nach Israel! Die einschuechternden Massnahmen sind wohl tatsaechlich vor allen Dingen an die iranische Bevoelkerung selbst gerichtet (die einzige von uns, die mit ihrem richtigen Namen bei Facebook registriert ist, wurde sogar am naechsten Tag von dem Grenzbeamten angeschrieben!).
In Istanbul angekommen feierten wir die Rueckkehr in die westliche Konsumwelt mit einem Kaffee (mit Sojamilch!) bei Starbucks und liessen die vergangenen Wochen noch einmal Revue passieren. Trotz aller Strapazen im Vorfeld - wir hatten Blut geleckt, das wird nicht unser letzter Iranbesuch gewesen sein! Dieses wunderschoene, erstaunlich reisefreundliche und immer wieder ueberraschende Land mit der reichen Geschichte und Kultur (so sehr diese sich heute auch oft verstecken muss) hatte unsere Herzen im Sturm erobert.