Innere Sonnenfinsternis vor dem Lichtblick des 1. Zwischenseminares
Unerwartet übertrug mir mein Mentor die Verantwortung für das Seminar meiner Freiwilligengruppe. Sein einziger Tipp: Lass deine Phantasie spielen. Wie ich trotzdem von dem Seminar profitiert habe.
Seit meinem ersten Zwischenseminar Ende Oktober hat sich mein Leben hier stark verbessert. Oder ist es nur meine Einstellung?
Das Seminar hat in den Räumen von TRATWA stattgefunden, weil sie bei Bedarf Betten in zwei Räume stellen können und so eine Art Hostel anbieten können. Am Vormittag war ich mit Wojtek in Sektor 3, das befindet sich im hinteren Teil von zajezdnia, allerdings ist dies eine andere Organisation. Nach Abschluss der Besprechung für die Ehrung der Freiwilligen (Gali na Hali) am 6.12. sagt mir Wojtek einfach so, dass ich jetzt die gesamte Verantwortung für das Seminar übernehme. Nach dem ersten Schock habe ich gesagt, gut, wenn du mir sagst, was ich machen soll, kein Problem. Sein Tipp: Lass deine Fantasie spielen. Und das meinte er wirklich ernst. Er ginge jetzt ins Büro und wenn er wiederkommt, dann sei bitte alles fertig. Wir haben uns dann auf Deutsch vor den ganzen Polen gestritten, mega peinlich, aber ich wollte wissen, was ich machen soll, schließlich soll das Seminar, auf das ich mich eigentlich als Lichtblick schon lange gefreut hatte, nicht meinetwegen den Bach runtergehen. Asia, 21 Jahre alt und Teamerin in zajezdnia, hat gesehen, dass meine Augen ganz rot wurden und ist dann mit mir rausgegangen. Und draußen als Wojtek mich nicht mehr hören konnte, konnte ich mich einfach nicht mehr zusammenreißen. Ich wurde von Asia und Maczek, 27 und angestellter Animateur in zajezdnia, in den Arm genommen und er hat mir versprochen mir alles zu erklären und zu helfen, wo ich Hilfe brauche. Was, naja, bei meiner ersten unerwarteten Seminarführung überall ist. Diese Unterstützung erwarte ich aber eigentlich von meinem Mentor! Der ruft mich dann an und fragt, was er jetzt für Kaffee und Kuchen besorgen soll. Und dann muss ich ihm ernstaft erklären, was ich mit Keksen meine. Was ist denn das?!
Am Ende war die Vorbereitung für das Seminar gar nicht so schlimm, wie befürchtet. Nur hätte mir Wojtek das mal eher gesagt, dann wäre meine Laune nicht im Keller gewesen als die Teilnehmer kamen. Ich war dazu noch so mega aufgeregt und durch den Wind, das Seminar hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Am Abend sollten wir über unsere Probleme in der Einsatzstelle reden. Da habe ich dann Wojtek gebeten bitte rauszugehen. Klar fühlte er sich vor den Kopf gestoßen, aber ich finde es so blöd, dass alle Seminare in zajezdnia stattfinden. Alle Freiwilligen kommen raus aus ihrer Umgebung, gewinnen Abstand und können frei über ihre Probleme reden. Da ist es doch mein Recht zumindest für 30 min mal ohne Wojtek zu sein. Er hat das in der Seminarbesprechung mit mir zwei Wochen später überhaupt nicht verstanden, warum er rausgehen sollte. Es sei sehr schade, dass ich ihm die Probleme nicht direkt sagen könne. Aber das ist doch normal, dass man auch mal mit einer anderen Person redet. Und außerdem habe ich ihm all das schon gesagt, aber er hört nicht richtig zu und haut gleich seine Meinung raus. Bei der Besprechung hat er mir dann auch gesagt, ich sabotiere mit meiner Einstellung die Arbeit von TRATWA. Es sei egal, was als Produkt meiner Arbeit herauskäme, solange meine Einstellung stimme. Auf meine Bitte nach ein paar mehr Erklärungen, antwortete er nur: Zuerst erlebe ich eine Aufgabe, dann merke ich wo die Probleme liegen, dann verbessern wir gemeinsam, dann merke ich wieder wo Probleme liegen und so geht das immer weiter. Aber es ginge doch viel schneller, wenn wir es einmal im Voraus besprechen und ich die Theorie dann in die Praxis umsetzen kann. Zu all unseren biologischen Unterschieden kommt jetzt noch Praktiker vs Theoretiker dazu. Das kann ja … interessant …. werden.
Während des Seminares hat sich meine Stimmung dann nach und nach aufgeheitert. Wohl vor allem dank Romy. Neben einer ausführlichen Problemanalyse, waren wir klettern, haben mein Spinatlasagne-Rezept gekocht (danke, Papa) und haben uns Anekdoten aus unseren bisherigen zwei Monaten Dienst erzählt. Romy hat es ganz gut zusammengefasst: „Freiwilligendienst, das ist unerwartet neue Probleme zu bekommen.“ Ganz so hart ist es natürlich nicht, aber manchmal wünsche ich mir schon, dass einfach alles mal klappt.
Insgesamt war die „Verantwortung tragen“ dann doch echt gar nicht so dramatisch wie befürchtet, meine spontane Einheit des allmorgendlichen Warm-ups lief auch gut und am Ende habe ich erfolgreich alle Schlüssel zurückgeben und eine Abrechnung mit der Referentin des Freiwilligendienstes auf deutscher Seite machen können. Ich kann mir vorstellen, beim nächsten Seminar im Januar, das natürlich auch wieder in zajezdnia stattfindet, die Verantwortung zu übernehmen, jetzt wo ich weiß, was das bedeutet. Anscheinend bedeutet Freiwilligendienst mit Wojtek Sprünge ins eiskalte Wasser.
Nach dem Seminar hat Elizabeth, die neue in unserer Tandem-Gruppe, von Donnerstag bis Sonntag bei mir übernachtet. Ihr Freiwilligendienst in einer Schule in Lubań begann nämlich erst am 3.11.. Es war schön, mal nicht alleine zu kochen, zu essen und Sport zu machen. Auch die Zeit im Büro verging mit ihr viel schneller als sonst. Elizabeth hatte noch diesen verklärten Blick mit der rosaroten Brille drauf, der mich an meine ersten drei Wochen hier erinnert hat. Ich werde versuchen, mich wieder an diese Zeit zu erinnern und nicht alles in grau zu sehen. Romy hat angemerkt, dass ich ein bisschen negativ geworden bin in Polen. Also ist es wohl nur eine Frage der Einstellung (das würde Wojtek freuen).