In französischen Hörsälen: Uni auf Französisch
Zu Beginn des Semesters haben die alten Hörsäle und das akademische Monologisieren der Dozierenden noch eine fast magische Wirkung auf mich ausgewirkt. Doch nach einem Semester ist der betörende Nebel der Nostalgie verflogen. Zeit mit dem französischen Universitätssystem abzurechnen.
Montagnachmittag, Hörsaal Fabre der Universität Bordeaux. Der zweistündige Kurs Objet, personne, rituel zu materieller Kultur hat gerade begonnen. Ein kleiner Saal voll mit harten Holzbänken, und schrägen, kleinen Schreibflächen, auf die nicht einmal ein Din A4 Heft passt. Dazwischen gelangweilt wirkende Studierende. Die Professorin liest vor der alten Tafel sitzend aus ihren Notizen vor. Powerpointfolien oder Multimedia zur Veranschaulichung des Gesagten: Fehlanzeige. Dafür gibt es eine Fülle an Informationen, ohne eine wirkliche Erzähllinie, dafür aber mit einer Menge unkoordinierter Umschweifungen. Es fallen Namen wichtiger Theoretiker*innen und deren Konzepte, ohne diese allerdings in irgendeiner Form schriftlich festzuhalten. Da ist es selbst für die Französ*innen schwer, zu folgen. Kein Wunder also, dass der Großteil der Anwesenden oft einfach abschaltet: Smartphones werden gezückt, online Reisen gebucht, gechattet oder einfach geschlafen. In den Augen der Studierenden steht die Langweile und manchmal auch die Enttäuschung. Denn eigentlich sind sie ja hier um zu lernen, wie Anthropologie funktioniert.
Ein festgefahrenes System?
Ein Bild, wie dieses, ist kein seltenes. Als Erasmusstudentin besuche ich nicht alle Kurse des vollgepackten Stundenplans, sondern nur einige Vorlesungen. Wie in Deutschland auch hängt es stark von den Dozierenden ab, wie viel die Studierenden aus dem Kurs mitnehmen können. Manchmal sitzen alle gespannt vor ihrem Laptop und nur das rhythmische Tippen auf der Tastatur bricht die konzentrierte Stille, manchmal jagt eine Frage die nächste. Und doch bleibt das Gefühl, dass die Universität vor allem aus starren Regeln besteht. Ohne den Nutzen der Methoden zu hinterfragen oder Neues auszuprobieren, scheint es manchmal so, als ob sowohl Studierende als auch Dozierende nur zur Uni kommen, um ihre Zeit abzusitzen. Der eigentlich Gedanke universitärer Bildung, nämlich Wissen selbst zu erarbeiten, in ein Thema einzutauchen und Fragen und Problematiken zu entwickeln, geht dabei verloren.
Mit diesem Eindruck bin ich nicht alleine. Andere Erasmusstudierende berichten Ähnliches und sobald ich mit französischen Studierenden spreche, macht sich Unzufriedenheit breit. Vor allem von denjenigen, die ein anderes universitäres System im Ausland kennengelernt haben. Diese Studierenden haben einen Vergleichswert und wollen sich nicht mehr mit dem französischen System zufrieden geben. Das geht sogar soweit, dass einzelne Studierende nicht mehr in die Kurse gehen, weil sie dort nichts mitnehmen und ihre Zeit sinnvoller nutzten wollen.
En anglais…?
Dass Französ*innen nur Französisch sprechen wollen, hatte ich immer für ein unreflektiertes Vorurteil gehalten. Doch im universitären Alltag zeigt sich, dass das Sprechen anderer Sprachen ein ziemlich großes Problem darstellt. Sobald ein Text auf Englisch gelesen werden soll, geht ein Stöhnen durch die Reihen. Doch nicht nur die Studierenden finden sich angesichts der englischen Sprache in einer prekären Lage wieder. Auch die Dozierenden haben ihre Schwierigkeiten: Da werden zum Beispiel englische Zitate nicht vorgelesen, weil die eigenen Sprachkenntnisse nicht ausreichen. In einer fremden Sprache zu kommunizieren scheint vielen Französ*innen Magenschmerzen zu bereiten, so sehr, dass manche es einfach lassen. Das kann sogar so weit gehen, dass ein Dozierender in einem als international ausgeschriebenen Kurs, in dem eigentlich nur Englisch gesprochen werden soll, kurzerhand nur Französisch spricht. Auf mein Nachfragen heißt es dann, dass Französisch zu sprechen für ihn eben einfacher wäre. Bei solchen Vorbildern wundert es nicht, dass sich der Großteil der Studierenden der englischen Sprache verweigert. Das ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass gerade im akademischen Kontext solide Englischkenntnisse Standard sind, um international zu arbeiten und über den nationalsprachlichen Tellerrand hinauszuschauen.
Erasmusstudierende: Mitläufer am Rande?
Als Erasmusstudentin habe ich von Anfang an das Gefühl so nebenbei mitzulaufen. Denn eine Einführung mit gesonderten Informationen gibt es für uns nicht. Da heißt es dann vor allem austesten und einfach mal machen. Als es schließlich um die Evaluation unserer Leistung des ersten Semesters geht, wird schnell klar, dass jegliche Art der Organisation fehlt. Denn auch wenn wir eigentlich einige der Prüfungen schreiben wollen, dürfen wir es nicht. Das sagt man uns aber erst am Montagnachmittag in der Prüfungswoche. Bis dahin gehen wir noch davon aus, wie die französischen Studierenden auch, am nächsten Tag die Prüfung zu schreiben. Dafür haben wir uns schon vorbereitet, französische Aufschriebe durchgeackert, Vokabeln gelernt, Karteikarten geschrieben. Dann heißt es plötzlich: Nein, doch keine Prüfung, wir wollen eine schriftliche Arbeit. Und das gleich für zwei Kurse. Die Zeit rennt und anstatt Ferien, steht Bücherwälzen auf dem Programm. Das wäre alles nicht so schlimm, wäre da nicht die Art und Weise, in der mit uns kommuniziert wird. Anstatt gleich am Anfang des Semesters klare Bewertungskriterien für ausländische Studierende festzulegen und diese deutlich zu kommunizieren, lässt man uns bis kurz vor Schluss im Ungewissen. Ich fühle mich alleingelassen, weil die Kommunikation nicht funktioniert und weil entscheidende Informationen fehlen. Unsere Emails bleiben unbeantwortete und schließlich muss alles in zwei Wochen passieren. Das bedeutet vor allem eines: Jede Menge Stress und Frust. Dieser Frust beeinflusst nicht nur die Leistung, sondern auch die ganze Einstellung zur Uni.
Was muss sich ändern?
Das französische System muss effizienter werden. Stichwort: Mehr Qualität als Quantität. Anstatt die Studierenden mit einem bis zum Rand gefüllten Stundenplan von morgens bis abends in die Hörsäle zu pferchen, sollten sie mehr Zeit für die eigene Lektüre und Entwicklung von Forschungsprojekten bekommen. Lieber kürzere Kurse mit Pausen anbieten, um den Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich nach langen Vorlesungen wieder konzentrieren zu können. Statt Wissen und Theorien vorzukauen, wäre es besser, diese durch Diskussionen im Kurs gemeinsam zu erarbeiten und zu problematisieren – und vor allem besser zu veranschaulichen. Damit ein Gefühl entstehen kann, was die Arbeit von Anthropolg*innen in der Praxis ausmacht und was es heißt akademisch im Feld zu arbeiten. Denn zu studieren sollte nicht bedeuten, seine Zeit in stickigen Sälen abzusitzen, sondern sich mit Fragen zu beschäftigen, die bewegen – auch außerhalb der Uni, im Alltag und zwischendurch.
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